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Europa hat die Wahl

 
     
 
Vor genau fünf Jahren zeigten die Bürger demonstratives Desinteresse, indem mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten der damaligen Europawahl fernblieb. Nur 45,2 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten sich an dieser Wahl. Diese geriet so zu einer Art Volksabstimmung darüber, was die Menschen in unserem Land vom Brüsseler Treiben der Europäischen Union (EU) halten. Von denen, die sich an dieser Wahl beteiligten, benutzten die meisten die Gelegenheit, der von ihnen schon damals als Chaoten empfundenen rot-grün
en Regierung in Berlin einen Denkzettel zu erteilen. "Europäisch" war auch dieses Motiv nicht.

Auch heute fehlt den Bürgern unseres Landes das Zutrauen zum Brüsseler Europa, in dem sie zu keiner wirklich entscheidenden Frage jemals direkt nach ihrem Wollen befragt worden sind. Auch diesmal reden die Parteien von vielen anderen Themen und stellen nur mühsam den "europäischen Bezug" her, mit dem allein offensichtlich kein Blumentopf zu gewinnen ist. Im Gegenteil: Die Abschaffung der Deutschen Mark gegen den Willen der übergroßen Mehrheit der Deutschen hat unser Land schwer getroffen. Wie zu erwarten war, erbrachte die Zwangseinführung des Euro als Einheitswährung anstelle nationaler Währungen mit unterschiedlicher Kaufkraft eine neue Währung, deren Wert zwangsweise unter dem der stärksten eingebrachten Währung - in diesem Fall der DM - liegt, gleichgültig, ob man dabei an das Prinzip kommunizierender Röhren oder an die Produkte von Milchpanscherei denkt.

Für Deutschland waren Preissteigerungen insbesondere bei Gütern des täglichen Bedarfs die Folge, die zu Kauf-Zurückhaltung und zur Stagnation führten. Deutschland geriet auf den letzten Platz der Wirtschaftsentwicklung in Europa und mußte zugleich trotz hoher Arbeitslosigkeit seine Rolle als Hauptnettozahler der Europäischen Union weiterhin erfüllen. Der sogenannte Stabilitätspakt hingegen, der einst als angebliche Grundlage der Währungsunion erfunden wurde, um den Deutschen die Aufgabe ihrer DM schmackhaft zu machen, wurde und wird ausgerechnet von Deutschland verletzt und zu Makulatur gemacht.

Die Bürger fühlen sich bei alledem über den Tisch gezogen, sehen in anderen Staaten die Möglichkeit zu Volksabstimmungen und Volksbefragungen und fürchten, daß so wie bei der jüngsten EU-Erweiterung, die weitere hohe finanzielle Belastungen mit sich bringen wird, auch die politisch angepeilte Europa-Verfassung über ihre Köpfe hinweg zur Realität werden wird. Ist es doch sicher, daß nach der Wahl, wie immer sie ausgehen wird, diese als Zustimmung zur EU-Verfassung gewertet werden wird. Es ist daher nicht einzusehen, warum heute in Deutschland die Wahlfreudigkeit für das Parlament dieser EU höher sein sollte als vor vier Jahren, für ein Parlament überdies, dessen Zuständigkeiten und politisches Gewicht mit dem demokratischer Parlamente nicht zu vergleichen ist.

Das Kernproblem deutscher Interessen im Rahmen der EU wird weder von den Regierungs- noch den Oppositionsparteien angesprochen, geschweige denn, daß es zum Gegenstand des Wahlkampfes gemacht würde: Es handelt sich dabei um die deutschen Nettozahlungen an die EU. Trotz der immensen Kosten für die Überwindung der Folgen des Sozialismus in den deutschen Bundesländern zwischen Rügen und dem Thüringer Wald als nationale Aufgabe im Rahmen der Wiedervereinigung sind diese Nettozahlungen an die EU unverändert hoch. Sie sind jedoch nicht mehr zumutbar und führen dazu, daß die EU die Kuh schlachtet, von deren Milch sie lebt. Der Heidelberger Professor Franz-Ulrich Willeke hat unlängst anhand von Daten der Deutschen Bundesbank nachgerechnet, "daß Deutschland seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (aus der sich die EU entwickelt hat) im Jahr 1957 über den Zeitraum bis 2002 einschließlich - in der Kaufkraft des Jahres 2002 gerechnet - insgesamt 497 Milliarden Mark oder 254 Milliarden Euro als Nettobeiträge nach Brüssel entrichtet hat".

Willeke wies auch darauf hin, daß Deutschland von 1995 bis 2002 mit 47,5 Prozent an allen Nettobeiträgen der EU beteiligt war. Im selben Zeitraum brachten Frankreich, Italien und Großbritannien zusammen (!) 31,1 Prozent in die Gemeinschaftskasse ein, also gemeinsam zwei Drittel dessen, was Deutschland beitrug.

Zu dem oft gehörten Argument, der ökonomische Nutzen, den Deutschland aus der EU ziehe, "gleiche diese Kosten bei weitem aus", meinte Willeke, Deutschland habe auf der anderen Seite durch diese Belastungen des Staatshaushalts auf sonst erreichbare Ziele verzichten müssen, zum Beispiel, um Lücken im Bildungssystem zu schließen, für das man gern im letzten Jahrzehnt "ein paar Milliarden mehr" zur Verfügung gehabt hätte. Im übrigen brauche man "zur Sicherung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen einschließlich aller Exporte und Importe zwischen den Mitgliedsstaaten international anerkannte Rechtsnormen und Freihandel, aber keine Nettobeiträge". Nettobeiträge seien nur zur Finanzierung von gemeinschaftlichen Institutionen und auch zur Erfüllung von Aufgaben gegenüber Staaten außerhalb der EU notwendig.

Diese Thesen Willekes gehörten vor den Europawahlen in den Mittelpunkt eines ernst zu nehmenden "Wahlkampfes". Sie müßten ebenso offen wie konträr diskutiert werden, wenn es dabei wirklich um Europa und um seine Zukunft gehen soll.

 
     
     
 
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