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Ex-Studiosi erkundeten die Heimat

 
     
 
Die Studienreise des „Akademischen Freundeskreises Ostdeutschland“ (AFO), eines Zusammenschlusses der Ehemaligen des früheren „Bundes Ostdeutscher Studierender“ (BOSt), ins südliche Ostdeutschland hatte drei Schwerpunkte: die noch vorhandenen steinernen Zeugen der Vergangenheit, die Schönheit der abwechslungsreichen ostdeutschen Landschaft und nicht zuletzt die Begegnung mit den heute noch dort lebenden Landsleute
n.

Die touristisch interessanten Teile des Landes sind neben der Natur natürlich die noch erhaltenen beziehungsweise teilweise sehr gut restaurierten Städtebilder oder auch nur einzelne Baudenkmäler der Vergangenheit. Hervorragende steinerne Zeugen begegneten dem Freundeskreis auch auf der Hin- und Rückreise, zum Beispiel in Kolberg mit der Kirche und dem Rathaus, in Stolp mit dem Rathaus, in Karthaus mit der Klosterkirche, in Gnesen mit der Kathedrale und in Thorn mit der Marienkirche. Ausführlicher wurde der Raum Danzig / Oliva / Zoppot besichtigt, wobei die obligatorische polnische Stadtführerin sichtlich bemüht war, darauf hinzuweisen, daß ihre Vorgänger die Geschichte der Region rein polnisch darzustellen hatten, während nunmehr auch ein deutscher Anteil an der Geschichte erwähnt werden darf. Zur historischen Wahrheit fehlten jedoch nach wie vor noch größere Schritte. Dabei war es oft schwer auszumachen, ob es an unzureichenden historischen Kenntnissen oder am bewußten Ausblenden von Teilen der deutschen Geschichte lag. Über die Vertreibung der deutschen Bevölkerung nach dem Krieg und die bis heute fortwirkende Wegnahme ihres beweglichen und unbeweglichen Eigentums wurde kein Satz gesprochen.

Die Danziger Innenstadt, von polnischer Hand sehr gut rekonstruiert und schon seit Jahren wieder eine Augenweide, wird ständig durch weitere Arbeiten verbessert. Auch auf der gegenüberliegenden Mottlau-Seite hat der Wiederaufbau der Speicherstadt in einem angepaßten Stil begonnen. Der Freundeskreis bekam jedoch zu hören, daß Danzig kein Unesco-Kulturerbe werden könne, weil es fast ausschließlich aus Nachbauten nach alten Vorbildern bestehe. Den Danziger Raum verließ der Freundeskreis in Richtung Frisches Haff mit Zwischenstopp in Cadinen, wo er feststellen mußte, daß die dortige Sommerresidenz der Hohenzollern weiterhin verfällt. Der anschließende Besuch in Frauenburg war einer der interessantesten Punkte der Reise. Der sehr engagierte, hervorragend gebildete Führer durch den Dom, ein studierter Theologe, Philosoph und Kunsthistoriker, ehemals stellvertretender Bürgermeister der Stadt, beeindruckte durch seine historischen Kenntnisse und seine umfangreiche Allgemeinbildung. Es war angenehm zu erleben, wie gut die Verständigung zwischen Polen und Deutschen sein kann, wenn beide Seiten sich wissenschaftlich und sachlich mit der Geschichte auseinandersetzen und sich der Wahrheit verpflichtet fühlen.

Weitere Stationen auf der Reise durch die Geschichte waren das Herdermuseum in Mohrungen und eine ausführliche Besichtigung Allensteins einschließlich eines Besuchs im Haus der Deutschen Minderheit. Hier war der in Allenstein aufgewachsene Reiseleiter voll in seinem Element. Ein weiterer Erinnerungspunkt der Geschichte, das unweit der „Wolfschanze“ gelegene ehemalige Bunkergelände des Oberkommando des Heeres (OKH) namens „Mauerwald“ erwies sich als nicht mehr eines Besuches lohnend. Die Aussichtsplattform läßt nur noch einen Blick auf die Baumwipfel zu, die das Bunkergelände inzwischen überwuchert haben. Das ehemals prächtige Anwesen der Familie Lehndorff in Steinort wird auch nur noch kurze Zeit einen Besuch wert sein, es verfällt zusehends. In einem der Stallgebäude herrschte allerdings eine emsige Bautätigkeit, wobei die Außenfassade bereits wohlgelungen fertiggestellt, die geplante Nutzung aber noch nicht zu erkennen war. Ein besseres Schicksal scheint der ehemaligen Ordensburg in Rhein, die im 17. Jahrhundert im Barockstil umgebaut wurde, beschieden zu sein. Bei sorgfältiger Rekonstruktion der Außenfassade der Burg wird diese durch einen Hoteleinbau einer zukunftsträchtigen Nutzung zugeführt. Die Baumaßnahmen sind fast abgeschlossen.

Natürlich gehörte auch die schöne und bedeutende Wallfahrtskirche in Heiligelinde zum Besuchsprogramm, bei der die Begeisterung jedoch geteilt war. Einige der überwiegend protestantischen Mitreisenden empfanden die Kirche innen als zu überladen, Kritik am „Religionskitsch“ kam auf. Doch auch andere, kleinere Kirchen wurden nicht ausgelassen, so die Kirchen in Lötzen und Rößel und die evangelische Kirche in Nikolaiken. Im angrenzenden Museum, das einen beachtlichen Einblick in die Reformation östlich der Elbe gibt, fanden die Reisenden die Vorfahren von Prengel in den Kirchenbüchern als frühere Presbyter der Gemeinde!

Eine Besonderheit war die kleine Kirche der Philipponen in Eckertsdorf. Dank der wieder einmal wertvollen Kontakte des Reiseleiters gelang es, die Küsterin zum Aufschließen der Kirche zu bewegen. Sie schilderte eindrucksvoll die Geschichte der Altgläubigen, einer Abspaltung der orthodoxen Kirche aus Rußland, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts ihr Land verließen, als der Zar sich die Rolle des Kirchenoberhauptes anmaß und den Altgläubigen die Ausübung ihrer Religion verbot. Eine preußische Kabinettsorder erlaubte ihre Ansiedlung unter Gewährung von Privilegien. Sie siedelten in Masuren, gründeten ein Kloster und eine Kirche, lernten Deutsch und wurden in zwei Generationen zu Deutschen. Im vergangenen Jahr ist die letzte Schwester im Kloster verstorben und die Gemeinde wird immer kleiner, hält aber noch immer zusammen und feiert Gottesdienste, zu hohen Festen auch gemeinsam mit den inzwischen in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Familien, die dann die Heimat besuchen.

Dem Ernst Wiechert gewidmeten Museum in seinem Geburtsort Kleinort bei Peitschendorf wurde ein kurzer Besuch abgestattet. Dabei war zu registrieren, daß nicht alle Reiseteilnehmer den Namen Wiecherts schon einmal gehört hatten; im Literaturunterricht an deutschen Gymnasien begegnet man diesem Schriftsteller also vermutlich immer seltener.

Die unvergängliche Schönheit der ostdeutschen Landschaft zeigte sich auf der Reise von ihrer allerbesten Seite. Das jahreszeitlich frische Grün, die blühenden Wiesen, die Störche, die Wälder und Seen konnte der Freundeskreis bei Kaiserwetter in vollen Zügen genießen. Schon auf der Anreiseroute erwartete ihn ein interessanter Ausflug in die Dünenlandschaft im pommerschen Leba. Hier wurde die gewaltige Lontzger Düne erklommen, Mutige waren auch in der Ostsee, die 15 Grad warm war. Das Frische Haff überquerten die Reisenden mit dem Schiff und gedachten der vielen Flüchtlinge, die diesen Weg unter ganz anderen, dramatischen Umständen nehmen mußten und von denen viele das rettende Ufer nicht erreichten. Ein von der Kreisgemeinschaft gestifteter Gedenkstein in Ufernähe in Frauenburg erinnert seit ein paar Jahren an ihr Schicksal. Auf der Frischen Nehrung sah der Freundeskreis sich in Kahlberg um, wo inzwischen ein bescheidener Tourismus zu blühen scheint. Drausensee und Oberlandkanal durften die Reisenden bei strahlendem Sommerwetter erleben und die schöne, friedliche, von menschlicher Hand kaum berührte Landschaft rundum genießen. Technisch Interessierte besuchten in Buchwalde das im Original erhaltene und immer noch in Betrieb befindliche Maschinenwerk, das die Schiffe über die „geneigten Ebenen“ befördert. Die vielen deutschen Reisegruppen bekannte Krystel Koziol aus Kruttinnen stakte die Reisenden höchstpersönlich durch die einmalige Wasserlandschaft der Kruttinna. Den Spirding- und Beldahnsee erlebten sie an Bord des Hotelschiffs „Golebiewski“ von Nikolaiken aus.

Einer der Höhepunkte der Reise, vielleicht in mehrfacher Hinsicht der Höhepunkt schlechthin, war der Besuch beim deutschen Bauern Paul Gollan in Neudims am Daddaysee, einem Aktivisten schon der ersten Stunde im Verein der Deutschen Minderheit. Der Freundeskreis war sein Gast für viele frohe Stunden und wurden von ihm zünftig und perfekt bewirtet. Schon der Weg zu seinem Bauernhof durch die leicht hügelige Landschaft, die Felder, in die noch keine Monokultur Einzug gehalten hat, und schließlich die einmalige Lage des Hofes am See waren ein Naturerlebnis ganz außergewöhnlicher Art. Bei aller Bewunderung der Bilderbuchlandschaft am Daddaysee war aber doch die persönliche Begegnung mit dem Bauern und seiner Familie das Wichtigste. Bauer Gollan berichtete von seinem schwierigen Start nach dem Krieg in polnischer Umgebung und stellte auch die heutigen Probleme der Landwirtschaft dar. Muß man sich Sorgen machen um den Heimatverbliebenen und sein kleines Paradies in Ostdeutschland? Bauer Gollan ist ein Pfiffikus, ein Schlitzohr mit viel Humor und Optimismus und mit dem Herzen auf dem rechten Fleck. Und er hat eine tatkräftige Tochter auf dem Hof, die mit allen Problemen vertraut ist und den Hof eines Tages weiterführen kann. Aber wird sich die landwirtschaftliche Idylle am Daddaysee in der harten EU-Zukunft behaupten können, oder liegt die Zukunft eher in einer Verstärkung der professionellen touristischen Komponente? Bauer Gollan hat bei der Lage seines Hofes auch hier allerlei Optionen. Man kann ihm nur die richtigen Entscheidungen wünschen, damit er seinen wunderschönen Besitz erhalten kann und er ein Stützpunkt für die Deutschen in Ostdeutschland bleibt.

Eine weitere Begegnung mit der Tätigkeit der in Ostdeutschland verbliebenen Deutschen war das vom Freundeskreis besuchte Heimatmuseum der deutschen Familie Dikty in Zondern, zugleich ein gutes Beispiel für die Belohnung von Tatkraft und Geschäftsidee. In liebevoller Kleinarbeit und Mühe wurde dort eine umfangreiche Sammlung von Hausrat und landwirtschaftlichem Gerät aus der Zeit vor der sowjetischen Eroberung zusammengetragen und in mehreren Räumen ansprechend präsentiert. Auch eine kleine, sehr gut ausgestattete Hotelanlage gehört zum Komplex des Museums. Die lebenslustige, couragierte Chefin des Unternehmens berichtete von weiteren Expansionsplänen.

In Elbing verabredete sich der Freundeskreis mit der Vorsitzenden des deutschen Vereins, Frau Sucharski, die den Kreis im Hotel besuchte und ihm auf einem ausgiebigen Rundgang in Elbing bis spät in die Nacht ihre Stadt zeigte. Sie berichtete auch von ihrem eigenen Anfang in Elbing, wo sie, aus dem hinteren Ostdeutschland stammend, bei der Flucht ihrer Familie in den Westen nicht mehr weiterkam und bleiben mußte. Sie durfte von einem Tag auf den anderen ihre Sprache nicht mehr sprechen, lernte schnell Polnisch und heiratete schließlich auch einen Polen, der inzwischen verstorben ist. Nun könnte sie dem größten Teil ihrer Familie in den Westen folgen. Aber nun erscheint es ihr zu spät; sie fürchtet dort als Polin diskriminiert zu werden.

Eine sehr interessante Begegnung mit Vertretern der deutschen Volksgruppe hatte der Freundeskreis in Mohrungen, wo die Johanniter-Station von Deutschen betrieben wird. Die Johanniter-Station, die im selben Haus wie der deutsche Verein untergebracht ist, betreut vor allem kranke Senioren und kinderreiche Familien, der Bevölkerungsstruktur entsprechend überwiegend Polen. Das christlich-karitative Engagement erlaubt keine Unterscheidung der Hilfsbedürftigen nach Nationen. Die Berichte über die problematische medizinische Versorgung, die Beschaffung von dort unerschwinglichen Medikamenten, die Zustände in den von Armut bedrohten Familien waren sehr erschütternd. Während harte Drogen noch kein Thema sind, ist doch der Alkoholismus weit verbreitet und wirft große Betreuungsprobleme auf. Die Leiterin der Station berichtete unter anderem von einer Familie mit zehn Kindern, deren Eltern bei Überraschungsbesuchen beide betrunken auf dem Boden liegend vorgefunden wurden. Hier ist natürlich Hilfe schwierig.

Der deutsche Verein in Mohrungen, benannt nach dem Sohn der Stadt Johann Gottfried Herder, richtete dem Freundeskreis einen gastlichen Abend aus. Die Berichte aus der Geschichte und der Arbeit des Vereins stießen wieder auf offene Ohren. Bei allen Begegnungen mit der deutschen Volksgruppe entstand der Eindruck, daß die seit den 90er Jahren eingetretenen Erleichterungen einen großen Wandel gebracht haben. Aber alle kämpfen, wie auch die polnische Bevölkerung, gegen die Arbeitslosigkeit, die in der Region zwischen 25 und 30 Prozent liegt. Die deutsche Volksgruppe, so klein sie auch ist, ist doch die größte nach der polnischen und der ukrainischen. Die deutsche Sprache darf wieder gesprochen werden. Sie wird allerdings meist nur privat in den Familien verwendet, denn das öffentliche Leben findet ausschließlich in polnischer Sprache statt. Auch die Gottesdienste der deutschen Volksgruppe werden überall in polnisch abgehalten, wohl auch aus Rücksicht auf die polnischen Familienmitglieder und die Kinder, die der deutschen Sprache nicht immer mächtig sind. Deutsche Gottesdienste gibt es nur, wenn deutsche Touristen vor Ort sind. Dies ist natürlich unbefriedigend, denn das A und O für das Leben einer Volksgruppe ist nun einmal die eigene Sprache.
 
     
     
 
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