|
Der Indochinakrieg hat seine Ursache darin, daß sowohl die Vietnamesen als auch die Franzosen das durch die Kapitulation Japans 1945 entstandene Machtvakuum in Vietnam füllen wollten. Vietnam war wie der Rest Indochinas bis zum Zweiten Weltkrieg Bestandteil des französischen Kolonialreiches gewesen. Im Zweiten Weltkrieg rückten die Japaner in Vietnam ein und übernahmen die Kontrolle. Würde Japan statt zu den Verlierern zu den Siegern des letzten Weltkrieges gehören, hieße es zweifellos, Japan habe Vietnam von der französischen Kolonialherrschaft befreit. So schafften die Japaner die Zwangsarbeit ab und machten den noch von den französischen Kolonialherren eingesetzten Marionettenkaiser Bao Dai wenigstens formal zum Herrscher eines unabhängigen Staates.
An eben jenem Tage, an dem Japan die Kapitulationsurkunde unterschrieb, dem 2. September 1945, proklamierte Ho Tschi Minh in Hanoi die "Demokratische Republik Vietnam" (DRV). Die staatliche Kontinuität wurde dabei insoweit gewahrt, als Kaiser Bao Dai nicht nur abtrat, sondern auch das kaiserliche Siegel und das die Souveränität Vietnams symbolisierende Schwert den neuen Machthabern übergab sowie sich vom neuen Präsidenten Ho Tschi zum "obersten Berater" ernennen ließ. Diesem Staate stand jedoch bestenfalls bedingt eine entsprechende Staatsgewalt gegenüber.
Die Alliierten beschlossen in Potsdam, daß die Japaner in Vietnam südlich des 16. Breitengrades von den Briten und nördlich dieser Linie von den Nationalchinesen entwaffnet werden sollten. Die Briten befanden sich als alte Kolonialmacht in einer ähnlichen Situation wie die Franzosen und hatten viel wohlwollendes Verständnis für den Wunsch der Franzosen, ihr Kolonialreich zu restaurieren. Die Engländer erlaubten daher den alten Kolonialherren sich in dem von ihnen besetzten Teil Vietnams festzusetzen und sie allmählich abzulösen.
Bei den Nationalchinesen im Norden stießen die Franzosen auf größere Widerstände. Die Chinesen wollten sich nämlich selber in Nordvietnam festsetzen, denn sie empfanden ihre Zone als Entschädigung dafür, daß im Geheimabkommen von Jalta die China diskriminierenden Rechte Japans im Reich der Mitte nicht etwa aufgehoben, sondern der Sowjetunion übertragen worden waren. So mußten die Franzosen ihnen den Abzug aus Nordvietnam erst abkaufen. Am 28. Februar 1946 verpflichteten sich die Nationalchinesen zum Rückzug aus Nordvietnam gegen den Verzicht Frankreichs auf seine exterritorialen Rechte in China.
Der Rückkehr des französischen Militärs in den Süden konnte die DRV keinen nennenswerten Widerstand entgegensetzen. Im Norden war das etwas anders. Trotzdem stimmte Ho Tschi Minh der Rückkehr des französischen Militärs auch in diesen Teil seines Vaterlandes zu. Am 6. März 1946 unterzeichnete er mit den Franzosen in Hanoi eine Konvention. Darin erkannte die französische Regierung die "Republik Vietnam als einen freien Staat, mit einer eigenen Regierung, einem Parlament, einer Armee und eigener Finanzhoheit, welcher ein Teil der Indochinesischen Föderation und der Französischen Union ist", an. Dafür erklärte sich die Regierung von Vietnam "bereit, die französische Armee auf freundschaftliche Weise zu empfangen, wenn diese in Übereinstimmung mit den internationalen Bestimmungen die chinesischen Truppen ablöst". 15000 Soldaten sollte Frankreich entsenden dürfen - aber bis spätestens 1951 wieder zurückziehen. Diesen unter den Vietnamesen nicht unumstrittenen Kompromiß mit Frankreich rechtfertigte Ho Tschi Minh mit einem ebenso ekligen wie plastischen Bild: "Was mich angeht, ziehe ich es vor, fünf Jahre französischen Mist zu riechen, als für den Rest meines Lebens chinesischen zu essen."
Die Franzosen waren allerdings nicht bereit, sich an den Kompromiß zu halten. Am 1. Juni 1946 proklamierte der französische Hochkommissar für Indochina, Admiral Georges Thierry d Argenlieu, im Geiste von "teile und herrsche" im Süden Vietnams die "Autonome Republik Cochinchina". Ein knappes halbes Jahr später kam es zum sogenannten Haiphong-Zwischenfall. Es kam zum Streit zwischen französischen Kolonialbeamten und vietnamesischen Milizionären darüber, ob die Franzosen eine Dschunke im Hafen von Haiphong durchsuchen durften. Die Franzosen nutzten den Vorfall, um "den Vietnamesen eine Lektion zu erteilen", wie es in einer Depesche des Oberkommandierenden der französischen Truppen in Indochina heißt. Auf die Frage des Hochkommissars "Können wir Artillerie einsetzen?" antwortete der Ministerpräsident der Französischen Republik: "Genau das!" Ohne Vorwarnung legen französische Kriegsschiffe und Flugzeuge das Hafenviertel von Haiphong in Schutt und Asche. 6000 vietnamesische Zivilisten werden getötet, 25000 verletzt.
Am 19. Dezember 1946 eskaliert die Situation. Vietnamesen und Franzosen versuchten sich in Hanoi handstreichartig zu entwaffnen, wobei die besser ausgerüsteten Franzosen die Oberhand gewannen und die Vietnamesen sich aufs Land zurückzogen, von wo aus sie den nun einsetzenden Guerillakrieg planten und leiteteten. Sie taten dieses mit derart großem Erfolg, daß sie schließlich zur offenen Kriegsführung übergehen konnten. Am 13. März 1954 begann die Entscheidungsschlacht von Dien Bien Phu (vergleichevom 8. Mai 2004), aus der die Vietnamesen am 7. Mai jenes Jahres als Sieger hervorgingen.
Einen Tag später begannen in Genf Friedensverhandlungen, die zu einem Waffenstillstand zwischen der DRV und der Französischen Republik sowie einer Schlußerklärung führten. Letztere sah eine Teilung Vietnams am 17. Breitengrad vor. Das nördliche Gebiet wurde den Vietnamesen beziehungsweise der DRV zugesprochen, das südliche den Franzosen beziehungsweise dem von ihnen gegründeten "Staat von Vietnam" mit Bao Dai als Staatsoberhaupt. Daß die auf dem Felde siegreichen Vietnamesen sich damit zufrieden gaben, ist bemerkenswert. Die Erklärung liegt zum Teil darin, daß ihnen die Teilung versüßt wurde. So heißt es in der Schlußerklärung vom 21. Juli 1954 eindeutig, "daß die militärische Demarkationslinie provisorisch ist und keinesfalls als eine politische oder territoriale Grenze interpretiert werden darf". "Im Juli 1956", heißt es in der Erklärung weiter, "werden Wahlen unter der Kontrolle der im Waffenstillstandsabkommen über Vietnam vorgesehenen internationalen Kommission stattfinden."
Darüber, wer diese demokratischen Wahlen gewinnen würde, herrschte ein breiter Konsens. "Allgemein herrschte die Überzeugung, im Fall freier Wahlen wäre Ho Tschi Minh zum Ministerpräsidenten gewählt worden ... Jeder Indochina-Kenner, mit dem ich sprach oder korrespondierte, war der Meinung, daß, wäre es zur Zeit der Kämpfe zu Wahlen gekommen, möglicherweise 80 Prozent der Bevölkerung für den Kommunisten Ho Tschi Minh statt für den Staatschef Bao Dai gestimmt hätten", räumt US-Präsident Dwight D. Eisenhower in seinem Buch "Die Jahre im Weißen Haus 1953-1956" offen ein. Daß die USA als Konsequenz hieraus den Versuch unternehmen sollten, diese für 1956 geplanten freien Wahlen zu verhindern und Vietnams Teilung zu verfestigen - und das trotz ihrer Erklärung, "daß sie sich jeder Beeinträchtigung des Abkommens enthalten" würden -, konnten die Vietnamesen nicht ahnen. |
|