|
Die Freundeskreis Ostdeutschland hat sich aus dem Nachlaß des ehemaligen Direktors der Bernsteinmanufaktur Königsberg, Gerhard Rasch, wertvolle Exponate sichern können, die sie nun als Leihgabe dem Ostdeutschen Landesmuseum Lüneburg überläßt. Es sind Arbeiten von ostdeutschen oder mit Ostdeutschland eng verbundenen Künstlern wie Hermann Brachert, Eduard Bischoff und Hans Kallmeyer sowie Bernsteinarbeiten aus der Königsberger Manufaktur und deren Nachfolgerin, der Bernstein-Manufaktur Hamburg (BMH), die als einzigartige Dokumentation dieser letzten Produktionsphase anzusehen sind. Gerhard Rasch leitete das weltberühmte Königsberger Unternehmen bis zu dessem bitteren Ende, baute nach der späten Flucht die Manufaktur in Hamburg auf, bis sie um 1960 aus Materialmangel die Pforten schließen mußte. Mit den von ihm nach dem Krieg zusammengetragenen Kunstgegenständen bewahrte er die Erinnerung an eine glanzvolle Kulturepoche unserer Heimat, dem Bernsteinland Ostdeutschland.
Der in Westpreußen geborene, in Danzig aufgewachsene Gerhard Rasch hatte als Prokurist das Aufblühen der noch jungen Manufaktur erlebt, 1941 übernahm der damals 36jährige die Leitung des Handelshauses in der Königsberger Sattlergasse. Durch seine in Königsberg geborene Frau Selma fühlte er sich der Pregelstadt noch enger verbunden. Die tausendjährige, wechselvolle Geschichte des Bernsteinhandels war erst um 1900 in fest gefügte Bahnen geleitet worden, als das Bernsteinregel wieder in die Hände des preußischen Staates gekommen war. Damals eine königliche Manufaktur, die vor dem Ersten Weltkrieg einen jährlichen Gesamtumsatz von rund vier Millionen Mark verzeichnete. Es kamen ungewisse Zeiten, bis 1926 auf Anregung des Preußischen Staates die Staatliche Bernsteinmanufaktur (SBM) durch Zusammenlegung von fünf selbständigen Handelsbetrieben gegründet wurde. Der Klinkerbau in der Sattlergasse reichte für Produktion und Handel bald nicht mehr aus. Der große Komplex, der fast bis zur Kaiserstraße reichte, war ein sichtbarer Maßstab für das Wachsen und Blühen dieses ostdeutschen Handelszweiges. Auch in der Herstellung, vor allem in der künstlerischen Gestaltung, wurden neue Wege beschritten, ein leichter, facettenreicher Stil entwickelt, der die Schönheit der "Träne der Vorzeit" zum Leuchten brachte. Kein Besucher der Pregelstadt versäumte einen Blick auf die Auslagen der Manufaktur am Paradeplatz. War das nach der Junkerstraße gelegene Schaufenster die große Schmuckvitrine, so zeigte das andere zumeist eine Kollektion, die geschickt die Weltweite des Bernsteinhandels verdeutlichte. Hier lagen die Sortimente, die in den Orient oder nach Übersee gingen, Gebetsketten, Pfeifenköpfe, Opferschalen, Schmuck für die Haremsdamen, aber auch kostbare Inklusen - Einschlüsse aus grauer Vorzeit -, auf die besonders die Amerikaner versessen waren. Drei Viertel der Produktion gingen in das Ausland - aber keine Bernsteinperlen waren so riesig wie die fast faustgroßen in dem Brautschmuck der Bückeburgerinnen, die hier in Königsberg geschnitten und geschliffen wurden.
Sie konnten nach dem Krieg nicht mehr gefertigt werden, denn die Manufaktur hatte nur einige Bestände an Rohbernstein vorzeitig auslagern können. Statt über tausend Mitarbeiter, die in Königsberg das "samländische Gold" verarbeitet und verkauft hatten, waren es nur noch 30 Fachkräfte aus dem Königsberger Stammhaus, unter deren Händen in Bergedorf wunderschöne Schmuck-stücke und Kunstgegenstände entstanden. Aber sie gingen auch von Hamburg aus in alle Welt, vor allem als Gebetsketten in die moslemischen Länder. Wie Mohammed befohlen, müssen 99 Perlen jeder Kette aus Bernstein sein. Das hatte Königsberg einst zum "Mekka des Bernsteins" gemacht, als sich im Handelshaus der Staatlichen Bernsteinmanufaktur die Einkäufer trafen, die zu Friedenszeiten schon mal einen Scheck für etliche tausend englische Pfund ausschrieben. Dann konnte das Präsidium der Bank feierlich die Zylinder aufsetzen, wenn Direktor Rasch mit dem Scheck erschien. Der lebhafte Weltmann berichtete gerne von jenen goldenen "Bernstein-Zeiten", und man hörte ihm ebenso gerne zu, denn "Papa Rasch", wie er im Freundeskreis genannt wurde, war ein glänzender, humorvoller Erzähler. Auch die Räume der BMH am Neuen Wall Nr. 10 sahen ausländische Gäste wie einst in Königsberg. Und die Hansestadt war sich dieses neuen Unternehmens wohl bewußt, denn sie gab Staatsgeschenke in Auftrag, so wie für den Schah von Persien und seine damalige Gattin Soraya, für die eine wundervolle Schmuckschatulle gefertigt wurde, bei deren Besuch in Hamburg. Doch dann begannen die Bestände an Rohbernstein zu versiegen. Das neue Hamburg-Emblem mit dem Schiff auf den M-förmigen (für Manufaktur) Wellen mußte das große B-Segel (für Bernstein) streichen. Der Lotse, der es noch so optimistisch durch die Nachkriegsstürme gesteuert hatte, ging von Bord.
Aber Gerhard und Selma Rasch hatten sich in ihren eigenen Wänden ein heimatliches Refugium geschaffen. Obgleich sie selber nichts aus ihrem Königsberger Besitz hatten retten können, da sie erst Ende Januar 1945 geflüchtet waren, gelang es ihnen, mit der Zeit einige Werke bedeutender ostdeutscher Künstler zu erstehen, mit denen sie schon in der Heimat verbunden waren. Wie mit dem Bildhauer Hermann Brachert, der nach dem Ersten Weltkrieg als Professor für Bildhauerei an die Kunst- und Gewerbeschule Königsberg berufen wurde und dessen überlebensgroße Figuren, aus Stein gehauen und in Bronze gegossen, das Stadtbild bereicherten. Er war auch zeitweilig künstlerischer Berater der Bernsteinmanufaktur und schuf figürliche Bernsteinarbeiten wie die "Schwebende", die sich heute im Ostdeutschen Landesmuseum Lüneburg befindet. Dort ist nun auch seine Bronzefigur "Demeter" zu sehen, ein Frauenakt, der Erstguß erfolgte 1939. Für das Museum die vielleicht interessanteste Leihgabe, da es dort Vergleichbares bisher nicht gab. Von den Gemälden und Graphiken müssen vor allem sechs kleine Lithographien mit Königsberg-Motiven von Eduard Bischoff aus dem Jahr 1924 genannt werden, von dem sich auch ein Ölbild, "Pflüger am Galtgarben", von 1948 im Rasch-Nachlaß befand. Von Hans Kallmeyer, dem "Elchmaler", wurde das noch in Ostdeutschland gemalte Aquarell "Elche am Moorloch" ausgewählt wie auch das Aquarell "Zwei laufende Pferde" von Fritz Pfuhle. Von den Bernsteinarbeiten sind vor allem die zahlreichen Exponate aus der Hamburger Zeit zu nennen, die einen guten Überblick über die letzten Jahre der Manufaktur geben - eine einzigartige Dokumentation der Nachfolgeproduktion der SBM, wie der Kustos des Museums, Dr. Barfod, bestätigt. Jedenfalls ist es erfreulich, daß nun diese Werke aus dem Rasch-Nachlaß einen adäquaten Platz im Ostdeutschen Landesmuseum finden. "Papa Rasch", der bereits 1981 verstarb, und seiner Frau Selma, die bis zu ihrem kürzlichen Tod dieses ostdeutsche Erbe verwaltete, wäre es nur recht gewesen.
Zum Schluß ein sehr persönliches Wort. Ich habe mich sehr gefreut, noch einmal dieses außergewöhnliches Mannes gedenken zu können, mit dem ich schon in Königsberg und später in Hamburg interessante und informative Gespräche geführt habe. Immer dauerten sie lange, waren durch brillante Wortwahl und treffende Bonmots geprägt und herrlich unkompliziert. Das zeigte er auch mir gegenüber: Ich war für ihn einfach "Frau Ruthchen". Zu meiner Hochzeit schenkte er mir ein bernsteinverziertes Tischfeuerzeug mit dem Wunsch, "es möge so zünden wie alles, was Sie bisher in Ihrem beruflichem Leben von sich gegeben haben!" Leider platzten die angeklebten Bernsteinstücke bald ab. Ich betrachtete es nicht als ein unheilvolles Symbol - es lag am Nachkriegsleim!
Der ehemalige Direktor der Bernsteinmanufaktur Königsberg, Gerhard Rasch, war ein glänzender, humorvoller Erzähler. |
|