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Gefahr eines zweiten Tschernobyl

 
     
 
Das nördliche Ostdeutschland könnte bald zum zweiten Tschernobyl werden, denn die Ökologie des Königsberger Gebiets wird von 1.200 Tonnen unsachgemäß gelagertem Raketenmüll bedroht. Obwohl der litauische und der russische Verteidigungsminister längst Vereinbarungen getroffen hatten, den Abtransport des giftigen Schrotts nach Rußland sowie die dortige Verwertung zu veranlassen, konnte wegen bürokratischer Hindernisse bis heute keine Entscheidung getroffen werden. Die mangeln
de Einsicht russischer, litauischer und pol- nischer Bürokraten überläßt die Bevölkerung des umgebenden Territoriums damit - sozusagen als "Geiseln" des kalten Krieges - ihrem Schicksal.

Der Chef der Königsberger Eisenbahngesellschaft beklagt sich darüber, daß noch nicht einmal geklärt sei, wann und wo konkret der Abtransport der gefährlichen Fracht stattfinden soll. Für die Überfahrt über litauisches Gebiet liegt keine Genehmigung seitens der litauischen Grenzbehörden vor. Über das Meer ist der Transport gefährlichen Militärmülls aus technischen Sicherheitsgründen untersagt. Außerdem verfügen weder Litauen noch die russische Eisenbahn über geeignete Spezialbehälter.

Infolgedessen bleiben die Behälter, in denen hoch aggressive Raketenbrennstoffe gelagert werden, im Königsberger Gebiet der Korrosion überlassen und bedrohen die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung. Daß es schon früher zu Umweltschäden durch die Lagerung von Raketenabfall gekommen ist, bestätigten ehemalige Angehörige der Militärabteilung, die in der Nähe von Tapiau stationiert war. Schon 1997 sei Gift ins Grundwasser und in den Fluß Deime gelangt, das die ganze Stadt hätte auslöschen können. Zum Glück konnte die Kata-strophe durch Militärchemiker und Ökologen verhindert werden.

Alexander Sarajdas, der früher im Zentralkrankenhaus für den Schutz der Bürger zuständig war und vorher als Major in der Armee diente, führte Journalisten der Nesawissimaja Gaseta (NG, Unabhängige Zeitung) zu Stellen im Tapiauer Rajon, in denen es zu Umweltschäden gekommen war. Nach seinen Worten verloren viele seiner Kameraden, die mit ihm gedient hatten, schon frühzeitig ihre Haare, einige mußten sich wegen Krebserkrankungen behandeln lassen. Andere erlitten Verbrennungen beim Auftanken der Raketen. Nach Angaben des Gesundheitsamtes treten in Tapiau und Königsberg bei Militärangehörigen, die mit Raketen in Berührung gekommen sind, am häufigsten Entzündungen der Schilddrüse auf.

Doch am meisten habe die Natur gelitten aufgrund des Zusammenwirkens erhöhter Radioaktivität und der Raketen-Abgase, die sich auf den Boden niederschlugen. Von den Schäden konnten sich die Korrespondenten der NG überzeugen, als sie sich in dem vor neugierigen Blicken versteckten Militärstädtchen befanden. Der Wald um die ehemalige Raketenabschußzone sah tot aus, und die Erde in der ganzen Umgebung war nackt. Die Stämme der Tannen standen ohne Äste da, auf dem Boden wuchs nicht mal mehr ein Grashalm. Das Dosimeter schlug bei über der Hälfte der untersuchten Tankbunker über die zulässige Höchstgrenze aus; es zeigte 17 Mikroröntgen pro Stunde.

Die Journalisten wunderten sich um so mehr darüber, in dieser unwirtlichen Gegend streunenden Obdachlosen zu begegnen, die ungeachtet der erhöhten Radioaktivität im Wald umherstreiften auf der Suche nach steinernem Staatseigentum: Ziegelsteine von dem Zerfall überlassenen Hangars und Wachtposten-Gebäuden waren das Objekt ihrer Begierde. Sie sammelten die Ziegelsteine auf und transportierten sie in einem Lastwagen in die Gebietshauptstadt, um sie dort günstig an private Bauherren zu verkaufen. Viele "neue Russen" ahnen nicht, daß sie im wahrsten Sinne des Wortes in "strahlenden" Neubauten wohnen.

Osteuropa: Die Zukunft Kaliningrads. Konfliktschichten und Kooperationsfelder, 53. Jg., 2-3/2003, ISSN 0030-6428, 438 Seiten, 15 Euro
 
     
     
 
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