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Was nach den Ausschreitungen der vorigen Woche zunächst als böses Gerücht kursierte, ist inzwischen von Ministerpräsident Gyurcsány bestätigt worden: Ja, er persönlich habe veranlaßt, daß seine im Mai aufgezeichnete Brandrede an die Öffentlichkeit gelangte, und er habe dies getan, um die Öffentlichkeit wachzurütteln. Doch sagte Gyurcsány, der zugab gelogen zu haben, diesmal die Wahrheit? Oder nahm er auf sich, was er gar nicht getan hat, um als Mann voller Tatkraft zu erscheinen und ab jetzt für ehrlich gehalten zu werden? Irgendwie fühlt man sich an das Paradox on des Kreters Epimenides erinnert, der sagte, daß alle Kreter lügen - log er dabei oder sagte er die Wahrheit?
Daß die ungarischen Regionalwahlen am selben Tag stattfinden wie die österreichischen Nationalratswahlen, ist Zufall. Kaum aber, daß wenige Tage vor diesem 1. Oktober eine grenzüberschreitende Parteispendenaffäre publik wurde: Gelder einer österreichischen Firma gingen zumindest an die Liberale Partei, den kleineren Koalitionspartner in Ungarn.
Und was schließen nicht nur die Ungarn daraus? Wenn kleinere "Spenden" an die kleinere Regierungspartei gingen, müssen größere an die größere gegangen sein. Und wenn bei der jetzigen Regierung, dann auch bei früheren. Und wenn von einer österreichischen Firma, dann wohl auch von anderen. Und da sich nicht nur Österreicher mit "Motivation" auskennen, muß es bei vielen Staatsaufträgen viele Parteispenden gegeben haben.
Die Demonstrationen gehen indessen weiter. Die bürgerliche Oppositionspartei Fidész-MPP hatte ihre angekündigte Großdemonstration in Budapest zwar wieder abgesagt - wegen angeblicher Bombendrohungen, aber wohl eher, weil die Regierung etwaige Gewaltakte sicher dem Parteichef Viktor Orbán in die Schuhe geschoben hätte. Aber trotz der Absage gab es dann die bisher größte Demonstration - ohne Ausschreitungen. Bemerkenswert an der internationalen Berichterstattung ist, daß die Demonstrationen in Provinzstädten so gut wie ignoriert werden. Uninteressant, wenn keine Autos brennen.
Orbán kann eigentlich froh sein, daß Gyurcsány sich so beharrlich weigert, zurückzutreten. Denn auch er hätte nur die Option, sich entweder mit drastischen Sparmaßnahmen unpopulär zu machen oder den Anschluß an Europa zu verspielen. Wirtschaftsforscher sind sich einig, daß die Wirtschafts- und Budgetpolitik sämtlicher Regierungen seit der Wende verantwortungslos war. Und auch schon die davor, denn galt nicht Ungarn als "die lustigste Baracke" im Ostblock? Laut einer Umfrage halten 57 Prozent der Ungarn die gesamte politische Kaste für verlogen und 50 Prozent geben der jetzigen Oppositions- und früheren Regierungspartei Fidész Mitschuld an der Misere.
"Ungarnaufstand" 2006: Die Menschen haben es satt, hintergangen zu werden. (Corbis) |
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