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Geschichte des Reichssenders Königsberg

 
     
 
Es war eben damals alles sehr unkompliziert, und wir waren ein eingearbeitetes Team, auf das Verlaß war. Es geschah nicht selten, daß ich ein Manuskript erst am Morgen des Sendetages ablieferte. Es wurde vervielfältigt, dann begannen die Proben, und zur Sendezeit stand alles. Natürlich wurde live gesendet – na ja, da gab es schon manchmal Versprecher, zumal manche Kopien kaum leserlich waren. Ich erinnere mich noch an einen, über den wir sehr gelacht haben: Ein neuer, sehr junger Sprecher frisierte im Landfunk "Baconschweine" zu "Balkonschweinen" um.

Die Sprecher! Da gab es eine ganze Reihe, die fast täglich zu hören war, wie Erna Senius, Marion Bonin, Tessa Wolter-Felder, Lita Gadowski, Ruth Norden, Heinz Schacht und Paul Schuch. Mit dem Schauspielhaus standen auch dem Sender große und glänzende Schauspieler zur Verfügung, wie Walter Süßenguth, Albert Lieven, Botho Kaatz, Hermann Speelmanns. Das galt ebenso für die Sänger, gleich ob sie zum Opernensemble gehörten oder in Königsberg gastierten. Einer der beliebtesten war der fast blinde Hans Eggert, der mit seinem volltönenden Bariton zum Sänger des ostdeutschen Liedes schlechthin wurde.

Die Werke zeitgenössischer heimischer Komponisten
wie Otto Besch und Herbert Brust wurden direkt übertragen und sprengten somit die räumlichen Enden des Konzertsaales. So fanden Beschs "Kurische Suite" und seine "Ostdeutschen Tänze", Brusts Werke wie die "Bernsteinkantate" und das "Oratorium der Heimat" über den Rundfunk den Weg zu den Menschen selbst im entlegensten Winkel unserer Heimat. Aber sie gewannen auch darüber hinaus an Bekanntheit und gelangten bald in die deutschen Konzert- und Musikprogramme. Die politische Redaktion unterstand dem Intendanten. Seit 1929 saß der ehemalige Generalmajor Siegfried Haenicke auf dem Intendantensessel. Er wurde sehr populär als Initiator der Sendereihe "Kamerad, ich rufe Dich!" Auch damals, lange Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, versuchten ehemalige Kriegskameraden Verbindung miteinander zu bekommen. Obgleich Haenicke in Goebbels einen Fürsprecher hatte, mußte er 1938 seinen Platz räumen, den nun Dr. Alfred Lau einnahm. Der gebürtige Insterburger war durch seine launigen, oft sehr derben Dialektpoeme bekannt geworden. Lau hatte sich schon früh mit dem Rundfunk befaßt, so redigierte er bereits 1924 die Programmzeitschrift "Der Königsberger Rundfunk". Als Intendant öffnete er das Funkhaus, diesen repräsentativen Neubau mit sieben Senderäumen und einer für die damalige Zeit hervorragenden Kantine, für interessierte Besucher. In einem Stadtführer von 1938 findet sich unter "Sehenswürdigkeiten" folgender Hinweis: "Reichssender Königsberg, Adolf-Hitler-Straße 21/25 – so war der Hansaring umgetauft worden –, Intendant Dr. Lau, Eintritt 20 Pfennig, Voranmeldung erforderlich."

Es fehlen noch viele Namen in diesem Rückblick auf die Glanzzeiten des Reichssenders Königsberg. Da es persönliche Erinnerungen sind, habe ich vor allem diejenigen genannt, mit denen ich zusammengearbeitet habe oder sogar befreundet war. Und wenn ich erst jetzt Erich Börschel nenne, der das Tanz- und Unterhaltungsorchester leitete – Dirigent des Rundfunkorchesters war Eugen Wilken – und der durch seine Kompositionen wie das "Spatzenkonzert" in ganz Deutschland bekannt wurde, hat das einen Grund. Denn er und seine Frau Ruth schrieben das Schlußkapitel des Reichssenders Königsberg, als der große Orlog begann.

Ruth Börschel hat mir ihre Aufzeichnungen über die letzten Tage des Reichssenders Königsberg überlassen, die wir bereits im veröffentlichten. So soll hier nur noch kurz der Endweg verfolgt werden.

In den letzten Tagen des sterbenden Königsberg hing jeder in der Heimat Verbliebene an einem noch funktionierenden Rundfunkgerät. Von Anfang Februar bis Mitte März 1945 herrschte Funkstille, dann wurde bis Anfang April wieder gesendet. Während der Unterbrechung hausten Börschels, deren Wohnung im Maraunenhof unter Beschuß lag, im Keller der Kantinenwirtin des Senders in der Dieffenbachstraße westlich der Zwillingseiche, zusammen mit zwei weiteren Musikern. Der größte Teil der Orchestermitglieder war eingezogen worden. Das Orchester konnte nur existieren, weil es Börschel gelungen war, französische und belgische Musiker aus einem Gefangenenlager zu verpflichten. Der Saxophonist, der wie die meisten Männer noch im Februar zum Volkssturm eingezogen worden war, fiel bei der Verteidigung des Gutes von Gauleiter Koch. Unter größten Schwierigkeiten gelang es Börschels, ihren Freund auf dem Luisenfriedhof unter militärischen Ehren beisetzen zu lassen.

Als die Pillauer Landstraße wieder freigekämpft worden war, wurde beschlossen, den Sender noch einmal in Betrieb zu nehmen, und Börschels zogen in den Keller des Funkhauses. Ruth Börschel, die bisher für ein Nachrichtenbataillon gekocht hatte, wurde für Ansagen eingeteilt. Ende März fanden sich die Mitglieder des Soldatensenders Danzig ein, die sich mit ihrem Tonstudio in den Kellerräumen etablierten.

Dann kam das Ende: Am 7. April begaben sich die im Sender Verbliebenen mit dem Ü-Wagen und drei Lastwagen auf die Flucht. Der Konvoi gelangte unter den größten Schwierigkeiten nach Pillau. Von der Gauleitung in Neutief mußte ein Marschbefehl geholt werden. Ruth und Erich Börschel setzten zusammen mit Dr. Tank, dem Leiter des Soldatensenders Danzig, nach Neutief über. Dr. Tank erhielt den Befehl, alle wichtigen Sendegeräte und Tonbänder im Postamt Flensburg zu deponieren.

Der Transport ging ohne den Ü-Wagen nach zehn endlosen Tagen des Wartens auf dem Seeweg nach Swinemünde. Von dort zogen die Börschels unter den schwierigsten Umständen bis nach Plön. Sie gaben die bis dahin geretteten Musikbänder dem Soldatensender mit, der sich in Hamburg melden sollte. Getreu ihrer Zielvorgabe brachten Börschels dann die Kiste mit den Sendegeräten zum Flensburger Postamt – sie ward nie wieder gesehen. Genau wie die Musikbänder. Das war das endgültige Ende des Reichssenders Königsberg.

Aber die Erinnerung lebt. Das merke ich immer wieder, wenn ich irgendwo lese oder spreche, und ehemalige Mitglieder der Rundfunkspielschar kommen auf mich zu und singen das Kinderstundenlied. Andere Landsleute erzählen von ihren Erlebnissen mit dem Reichssender Königsberg, denn bei den vielen Außenaufnahmen hat ja halb Ostdeutschland mitgewirkt.

Manchen der ehemaligen Mitglieder des Reichssenders Königsberg bin ich auch nach der Vertreibung begegnet. Mit Waldemar Kuckuck bestritt ich bunte Ostdeutschlandabende, Dr. Hilpert habe ich in Hamburg aufgesucht, als er NDR-Intendant geworden war, Hajo Paris habe ich wiedergetroffen, der 1939 in seine Heimatstadt Danzig zurückgekehrt war, Alfred Koch, Marion Lindt, Irene Herr und viele andere. Mit den meisten Literaten festigte sich sogar das früher lose Verhältnis. Wir waren dankbar, daß wir noch lebten und schreiben konnten. Wiederholt habe ich Agnes Miegel auf Schloß Apelern und Bad Nenndorf besucht, ebenso Erminia von Olfers-Batocki in Bad Harzburg, Gertrud Papendick, die Kudnigs, Paul Brock, Hansgeorg Buchholtz, Martin Borrmann – wir waren wieder in Verbindung.

Eine besondere Freundschaft konnte sich noch vertiefen: Ruth Grunewald, die 1938 zum Deutschlandsender gegangen war, kam auf meine Veranlassung als Redakteurin zum . Allerdings hieß sie nun Ruth Maria Wagner, und als solche ist sie als Herausgeberin vieler Ostdeutschlandbücher noch heute bekannt. Die schöne Stimme der leider Verstorbenen ist auf Kassetten festgehalten.

"Land der dunklen Wälder…" Wenn irgendwo unser Ostdeutschlandlied erklingt, muß ich an Herbert Brust denken. Niemand hätte damals gedacht, weder der Komponist noch sein Texter Erich Hannighofer – dieser junge, stille Dichter, der im Heiligenbeiler Kessel blieb –, daß einmal dieser Schlußchor der "Ostdeutschlandkantate" zu unserem Lied werden würde, dem schönsten aller Heimatlieder, das einmal über den Reichssender Königsberg kam und damals offiziell kaum beachtet wurde, weil es "zu choralartig" war. Heute ist es Trost, Bekenntnis und Verpflichtung.

Die Vergangenheit ist eben noch nicht einmal vergangen. (Schluß)

 
     
     
 
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