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Gespräche

 
     
 
Pro Aussiedlung: Niemand will als letzter der Familie dableiben

Nina K. ist mit einem Russen verheiratet und hat zwei Söhne. Der ältere leistet zur Zeit seinen Wehrdienst ab, während der jüngere noch zur Schule geht. Nina ist aus Kasachstan ins Königsberger Gebiet übergesiedelt. Heute arbeitet sie als Buchhalterin. Ihre Eltern und eine ältere Schwester wohnen im gleichen Ort; eine andere Schwester hat sich in Ragnit niedergelassen. Zwei weitere leben in Moskau. Die Bundesrepublik Deutschland kennt sie von einer längeren Besuchsreise her.

Sie haben einen verhältnismäßig sicheren Arbeitsplatz, und auch Ihr Mann hat eine Anstellung
gefunden. Warum wollen Sie aussiedeln?

Nina: Meine Eltern, meine Schwestern und ihre Familien wollen alle nach Deutschland. Viele Verwandte sind schon dort. Ich will nicht die letzte der Familie sein, die bleibt. Wir wollen als Deutsche unter Deutschen leben! Unsere Eltern sagen: "Wir wollen unter Deutschen begraben sein."

Haben Sie noch andere Gründe für Ihren Aussiedlungswunsch?

Nina: Oh ja, ich habe viele Gründe! Mein Sohn wäre beinahe in den Krieg nach Tschetschenien gekommen, ganz ohne Ausbildung. Überhaupt haben meine Kinder hier kaum Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten. Hier ist alles armselig, es gibt keine Kultur! und es wird nicht besser, nur immer schlechter.

Aber das Warenangebot ist sichtlich größer als vor fünf Jahren.

Nina: Das stimmt. Aber es sind immer mehr Leute arbeitslos, und es ist viel weniger Geld da. Was nützt ein größeres Warenangebot, wenn man sich die Dinge nicht kaufen kann. Jetzt kommt noch Geld durch die Touristen ins Land, aber das sind fast alles alte Leute, die noch einmal die alte Heimat besuchen. Es werden von Jahr zu Jahr weniger, schließlich werden sie ganz wegbleiben.

Ihr Deutsch haben Sie sich erst in den letzten Jahren angeeignet. Haben Sie sich vorher mehr als Russin gefühlt?

Nina: Nein, das nie! Aber unsere Eltern haben mit uns nur wenig deutsch gesprochen, denn wir sollten keine Schwierigkeiten haben. Lange war ja das Deutsche in der Öffentlichkeit sogar verboten, und selbst heute sehen manche es nicht gern, wenn wir in der Öffentlichkeit deutsch sprechen. Doch für die Russen sind wir so oder so immer Deutsche gewesen, auch wenn wir ebenso gut Russisch redeten wie sie. Und ich wollte es auch immer sein. Deshalb habe ich dann ja auch Deutsch gelernt. In unseren Ausweisen stand als Nationalität immer "Deutsch".

Hatten Sie deshalb Nachteile?

Nina: Heute weniger als früher. Aber richtig beliebt sind wir nur, wenn wir etwas geben von den Spenden, die wir aus Deutschland bekommen. Und die Entwicklung hier ist unberechenbar. Es gibt noch viele Kommunisten, und die mögen uns nicht. Wenn sie an die Macht kommen, sind wir wieder der Sündenbock, wir und die Juden. Wir wollen nicht das durchmachen, was die Eltern bei der Deportation und in der "Trudarmija" (der Zwangsarbeits-Armee; Anm. d. Verf.) erleiden mußten.

Wollen Ihre Kinder auch in die Bundesrepublik Deutschland?

Nina: Zunächst wollten beide nicht. Doch Denis, der ältere Sohn, will jetzt – nachdem er das Militär erlebt hat. Der Jüngere möchte eigentlich bleiben. Aber er wird sich früher oder später schon an Deutschland gewöhnen!

Haben Sie selbst keine Angst?

Nina: Doch, ich habe große Angst! Es wird Probleme geben mit der Sprache. Wir werden nur schwer Arbeit finden, obwohl wir jede Arbeit machen werden, die man uns anbietet. Wenn es nötig ist, dann gehen ich auch putzen. Doch wir haben Angst, daß uns die Deutschen nicht wollen, aber hier haben wir noch mehr Angst. Außerdem wollen wir nicht so lange warten, bis die deutsche Regierung die Grenzen für uns ganz zumacht.

 

Lena P. kommt aus Kasachstan. Ihr Mann hat eine deutsche Mutter und einen russischen Vater. Er ist Baggerfahrer, sie arbeitslos. Manchmal nimmt sie Touristen auf und geht putzen. Ansonsten widmet sie sich den beiden Söhnen – der ältere ist arbeitslos, und der zweite geht noch zur Schule – und ihrer kleinen Tochter.

Warum wollen Sie ausreisen?

Lena: Als wir vor sechs Jahren hierher kamen, gab es für jeden Arbeit und für die Arbeit Geld. Heute gibt es immer weniger Arbeit, und auf die Bezahlung muß man oft monatelang warten. Wir leben von den Touristen. Wenn die einmal nicht mehr kommen, weil Rußland mal wieder die Grenzen dicht macht, dann ist es aus!

Sie sprechen sehr gutes Deutsch.

Lena: Ja, wir haben daheim deutsch gesprochen. Auf unserer Kolchose in Kasachstan waren fast nur Deutsche. Und ich habe den Erwachsenen gut zugehört. Wenn ich dann etwas auf deutsch sagte und es war falsch, hat mich der Vater gleich korrigiert: "Seht diese Deutsche an, sie kann nicht richtig Deutsch!"

Haben Sie schon Verwandte in der Bundesrepublik?

Lena: Ja, und alle anderen Verwandten wollen dorthin. Auch mein Sohn Dyma will weg. Er hofft, daß man ihn dann endlich arbeiten läßt.

Könnte man hier bleiben und dann die Kinder als Deutsche erziehen?

Lena: Wenn es ein deutsches Fernsehen gäbe, einen deutschen Kindergarten und eine richtige eigene Schule, dann vielleicht.

Haben Sie Angst vor dem Aussiedeln?

Lena: Eigentlich nicht. Die Leute, die ich kenne, die nach Deutschland gegangen sind, habe es alle geschafft.

 

 
     
     
 
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