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Hundert Jahre alt zu werden ist auch heute noch eine Besonderheit, die meist Anlaß zu Feiern und Ehrungen ist. Für den Operetten- und Schlagersänger sowie Schauspieler Johannes Heesters gab es zum Fest Fernsehsendungen und Glückwünsche - aber zugleich auch einige Giftpfeile, in Seidenpapier verpackt. Heesters habe im Dritten Reich eine nicht ganz einwandfreie Rolle gespielt - um im Schauspielerjargon zu bleiben. Er sei als Operettentenor "Adolf H.s" liebster Danilo gewesen, habe vor prominente n NS-Würdenträgern gesungen und so weiter.
Die Anschuldigungen waren absurd: Erstens hat Heesters aus seiner Skepsis gegenüber den nationalsozialistischen Machthabern kein Hehl gemacht. Er hat sich auch geweigert, in seiner niederländischen Heimat unter deutscher Besatzung aufzutreten (allein dazu gehörte schon eine gewisse Zivilcourage). Zweitens aber war Heesters ein junger, talentierter Sänger, der singen und Karriere machen wollte. Soll man ihm das jetzt vorwerfen? Schließlich lebten im damaligen Deutschen Reich Millionen Menschen, die entweder nicht emigrieren konnten oder es nicht wollten. Diese Menschen waren froh, wenn ihnen jemand wie Heesters in einer schweren Zeit ein wenig Freude und Entspannung bot.
Hinter den Giftpfeilen, die jetzt auf Heesters abgeschossen werden, verbirgt sich eine im Grunde totalitäre, erbarmungslose Einstellung. In der Konsequenz besagt diese, daß jeder, der während des Dritten Reiches nicht entweder emigrierte, ins KZ kam oder gleich umgebracht wurde, ein potentieller Mittäter war - vom gefeierten Tenor bis zum letzten Straßenkehrer. Das ist die Kehrseite der These vom "Tätervolk".
Jene, die aus sicherer zeitlicher Entfernung über damalige Zustände und über Heesters urteilen, legen zwar viel arrogante Rechthaberei und Pharisäertum an den Tag. Wie es aber eigentlich gewesen ist - darüber wissen sie nichts. Die Ignoranten führen das große Wort. C.G.S. |
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