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Das Recht auf die eigene Heimat ist nicht nur ein kollektives, sondern auch ein individuelles Recht und eine Grundvoraussetzung für die Ausübung zahlreicher bürgerlicher, politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte. Während meiner Amtszeit als Hochkommissar für Menschenrechte hat die Unterkommission zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte eine wichtige Studie zur "Dimension der Menschenrechte bei Bevölkerung sumsiedlungen" erarbeitet. In ihrem Abschlußbericht zog die Unterkommission die Schlußfolgerung, daß das Recht auf die eigene Heimat ein grundlegendes Menschenrecht ist und daß Staaten nicht das Recht haben, Menschen gewaltsam aus ihrer Heimat zu vertreiben. In der dem Bericht angefügten Erklärung heißt es: "Jeder Mensch hat das Recht, in Frieden, Sicherheit und Würde in seiner Wohnstätte, in seiner Heimat und in seinem Land zu verbleiben." Und weiter: "Jeder Mensch hat das Recht, in freier Entscheidung und in Sicherheit und Würde in das Land seiner Herkunft sowie innerhalb dessen an den Ort seiner Herkunft oder Wahl zurückzukehren."
Auch wenn wir noch weit von der Erreichung dieser Ziele entfernt sind, auch wenn es in der Welt von heute Millionen von Heimatlosen gibt, ist es doch wichtig, diese Grundprinzipien zu bekräftigen und nach Mitteln und Wegen für ihre Umsetzung zu suchen. Aus diesem Grunde unterstütze ich auch die Idee, ein internationales Zentrum zum Kampf gegen Bevölkerungsumsiedlungen einzurichten, dessen Aufgabe nicht nur das Dokumentieren und Erforschen von Vertreibungen in der Vergangenheit sein soll, sondern das sich ebenfalls zum Ziel setzt, zukünftige Vertreibungen überall auf der Welt zu verhindern, indem es Aufklärung betreibt und das öffentliche Bewußtsein schärft für die Schrecken, die durch gewaltsame Bevölkerungsumsiedlungen entstehen, indem es Frühwarnstrategien entwickelt und die Maßnahmen der Vereinten Nationen auf diesem Gebiet unterstützt. Ich bin überzeugt, daß Berlin ein geeigneter Ort für solch ein Zentrum ist.
Ich glaube, daß wir aus dem Beispiel der deutschen Vertriebenen besonders viel lernen können. Wenn wir uns des Umfangs der Vertreibung und der Trauer über den Verlust von Gebieten bewußt werden, die für Menschen wie Immanuel Kant, Arthur Schopenhauer, Johann Gottfried Herder, Joseph von Eichendorff und andere Heimat waren, dann müssen wir gleichzeitig anerkennen, daß die Vertriebenen erhebliche Opfer gebracht haben, indem sie den Weg der friedlichen Integration wählten. Wir können nicht umhin, die moralische Stärke dieser Menschen und die Klugheit ihrer Führung zu bewundern, die jeglicher Art von Gewalt eine Absage erteilten und sich entschlossen, sich eine neue Heimat im Westen aufzubauen, ohne dabei die Liebe zu ihren Wurzeln aufzugeben, zu den Landschaften, in denen sie aufgewachsen sind, zu den Kirchen und Gotteshäusern, in denen sie beteten, zu den Friedhöfen, auf denen ihre Vorfahren begraben sind.
Als ehemaliger Hochkommissar für Menschenrechte füge ich hinzu, daß wir verpflichtet sind, diese Leiden zu mildern, Mitgefühl zu zeigen mit den Opfern von Vertreibung, sie bei der Bewahrung ihrer Kultur und Identität zu unterstützen und, wenn möglich, die friedliche Rückkehr in ihr Heimatland zu ermöglichen. Das Recht auf das eigene Heimatland ist ein grundlegendes Menschenrecht, und die gesamte Weltgemeinschaft ist aufgerufen, dieses Recht zu achten.
Allerdings kann es einander entgegenstehende Ansprüche auf dieselbe Heimat geben. Mit gutem Willen und internationaler Hilfe lassen sich solche Konflikte aber friedlich lösen, so daß alle, die ihre Wurzeln lieben, das Recht auf Heimat genießen können. Die Liebe zur Heimat ist in der Tat ein positiver Wert. Nur wer seine Heimat liebt, arbeitet daran, sie zu verbessern, sie zu einem besseren Ort für Kinder und Enkelkinder werden zu lassen und sie einzugliedern in das höhere Konzept der Weltsolidarität. |
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