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Man kann dem polnischen Außenminister Geremek nur vorbehaltlos recht geben: "Wenn am 9. Mai nicht die ganze historische Wahrheit zur Sprache kommt, kann das Gedenken zu nichts Gutem führen."
Und Vytautas Landsbergis, erster postkommunistischer Präsident Litauens nach der Wiedererlangung der Unabhängigkeit, fügte hinzu: "Falls diejenigen, die sich am 9. Mai (zur Feier des Sieges der Roten Armee über Deutschland) in Moskau versammeln, irgend etwas tun, um die sowjetisch en Kriegsverbrechen zu legitimieren, so erweisen sie sich damit als unempfänglich für die lautlosen Schreie der vielen Millionen unschuldigen Opfer des Zweiten Weltkrieges."
Beklemmend in ihrer unpathetischen Schlichtheit ist die Aussage des Luftwaffen-Hauptmanns Erich Schirmack, dessen Seenotflottille vor 60 Jahren mit ihren zwölf schnellen Flugbetriebsbooten als "Ostdeutschland-Flottille" in die Geschichte eingegangen ist: "Am schwersten von allem hatten uns aber das Leid und die Schicksale der vielen Tausenden von Flüchtlingen beeindruckt. Vertrieben von Haus und Hof, von den Horden der Russen verfolgt und geschändet, kamen sie nach tage- und wochenlangen Fußmärschen oder auf bespannten Trecks über das zum Teil schon brüchige Eis des Frischen Haffs, wo sie in dem Ballungsraum von Pillau und Neutief auf Schiffen und Booten dann ihre erste Seereise, die in die Freiheit führte, antraten ... Ein anderes Mal stürzte eine völlig entstellte Frau auf mich zu und bat mich händeringend um Rettung - sie war von den Horden der Roten Armee 30mal vergewaltigt worden. In meinem zum Teil zerstörten Zimmer auf dem (Pillauer) Seefliegerhorst Neutief, wo ich meine Habseligkeiten abgestellt hatte, waren ständig zehn bis 20 Mütter mit Kleinkindern bis zu ihrer Einschiffung einquartiert. Kurzum, dieses unsagbare Leid, das man nun mit eigenen Augen miterleben mußte, kostete mehr Nerven als die härteste Gefahr."
Schirmacks Flottille unterstand der Seenotgruppe 81, die mit ihren Einheiten insgesamt 146.000 Frauen, Kinder und Verwundete aus den Einschließungskesseln der Roten Armee in Sicherheit gebracht hat.
Mit den großen dreimotorigen Seenot-Flugbooten vom Typ Dornier Do 24 unterhielt die Gruppe vom 24. Januar bis zum 17. April 1945 eine Luftbrücke von Bug auf Rügen nach Pillau, um täglich von dort Schwerverwundete auszufliegen und auf dem Hinweg Verbandsmaterial sowie Medikamente, vor allem das in immer größeren Mengen benötigte Morphium, nach Ostdeutschland zu bringen.
Eine Armada von zuletzt 33 Flugbetriebsbooten holte in pausenlosen Einsätzen insgesamt 100.000 Menschen, zumeist unter Artilleriebeschuß, aus dem Brückenkopf Braunsberg-Heiligenbeil ebenso wie aus dem Samland, aus Pillau, aus Kolberg und aus der bis zuletzt "gehaltenen" Weichselniederung heraus, ebenso vom Ostufer des Stettiner Haffs.
Die mit Bergungskran, großem Transportdeck und Bordhospital samt Arzt ausgerüsteten Flugsicherungsschiffe (Flusi) der Luftwaffe haben 41.000 Menschen gerettet. Das beste Einzelergebnis erzielte das Flusi "Greif", das zwischen dem 25. Januar und dem 17. April 1945 über 30.000 Verwundete und Flüchtlinge in den Westen brachte. Auf zwei Reisen ging es sogar ins weitgehend schon eingeschlossene Königsberg hinein, wobei 4.500 Flüchtlinge, hauptsächlich Mütter mit ihren Kindern, herausgeholt wurden.
Wie riskant die Einsätze waren, beweisen die Totalverluste: Am 8. April fielen das Flugsicherungsschiff "Hans Albrecht Wedel" und am 16. April das Flusi "Boelke" auf See massierten Luftangriffen zum Opfer. Das letztgenannte Schiff hatte zuvor auf drei Reisen von Kiel, Stralsund und Swinemünde Munition und Benzin nach Hela und Pillau transportiert, bevor es insgesamt 3.100 Verwundete und Flüchtlinge nach Stralsund brachte.
Blieben auch die Rettungsleistungen des Seenotdienstes der Luftwaffe weitgehend unbekannt, dann ruft erst recht die Tatsache Erstaunen hervor, daß selbst das Heer über seefahrende Landungspionier-Verbände verfügte, die rund 1,1 Millionen Verwundete, Flüchtlinge und eingeschlossene Soldaten unter zumeist starkem Feindbeschuß aus den eng belagerten Kesseln der Roten Armee herausgeholt und zur Übergabe an größere Rettungsschiffe nach Pillau, schließlich nach Hela verbracht haben. Bei der Kapitulation brachten sie aus Kurland sowie aus der bis zuletzt verteidigten Weichselniederung mit ihren vollgepferchten Siebelfähren und Landungsbooten eine große Zahl zu Rettender direkt in den Westen.
Eine Meisterleistung höchsten Grades war das Evakuieren von 70.000 Flüchtlingen und Verwundeten sowie 5.500 Verteidigern aus dem eng eingeschlossenen, elf Tage lang unter dem Artilleriefeuer der Belagerer gehaltenen Kolberg. Dabei wirkten zunächst Handelsschiffe, schließlich nur noch die Feuerschutz gewährenden Zerstörer Z 34 und Z 43 sowie das große, in Elbing gebaute Flottentorpedoboot T 22 mit Marinefährprähmen und den schnellen Flugbetriebsbooten der "Pommern-Flottille" unter Führung des Oberleutnants v. Aswegen zusammen.
Während die drei genannten Torpedoträger mit ihren Geschützen immer wieder die Artillerie- und Raketenwerferstellungen der Belagerer heftig beschossen, legten bei ihnen kleinere Zubringerfahrzeuge "in Feuerlee", auf der dem Gegner abgewandten Seite, an und übergaben die nächsten 1.000 Flüchtlinge, die sofort mit hoher Fahrtstufe nach Swinemünde transportiert wurden.
Die drei Kriegsschiffe lösten einander im Wechseltakt ab. Ihr erfolgreicher Rhythmus bestand aus Schießen und gleichzeitiger Flüchtlingsübernahme, Abtransport und Neuversorgung einschließlich Munitionsübernahme, bevor sie auf ihre Feuer-
stellung zurückkehrten. Bald spielte es sich ein, daß langsame Marinefährprähme die verängstigten Menschen aus dem unentwegt beschossenen Hafen zu den drei genannten Kriegsschiffen hinausbrachten, während v. Aswegens Boote in jeweils bis zu zwölf Fahrten per Einheit jedesmal 150 bis 250 Evakuierte direkt nach Swinemünde brachten. In der letzten Räumungsnacht holten vier dieser Flugbetriebsboote die tapferen Nachhut-Verteidiger und Versprengten von der Kolberger Seebrücke ab, nachher auch vom Ostufer des Stettiner Haffs.
Der Kolberger Rettungsaktion verdankten übrigens viele Ostdeutschland ihr Leben oder zumindest die Freiheit. Sie waren zu Lande auf dem Treck nach Westen und saßen plötzlich in der Kolberger Falle, nachdem die Rote Armee beiderseits der Stadt zur Ostsee durchgestoßen war.
Total überfüllt, aber der Weg in die Freiheit: Walfangmutterschiff "Walter Rau" mit 8.000 Flüchtlingen /p> Ausführliche Informationen und Buchungen bezüglich der vom Autor in der nächsten Folge angesprochenen Dank- und Wiedersehensreise mit der "Columbus" vom 22. Juli bis 3. August dieses Jahres unter Kennwort "Hilfe" bei TUI Special Tours GmbH, Info-Telefon (04 21) 3 22 68 - 80 / 82 |
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