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Die Berichte zum Thema "Das deutsche Watergate" (FAZ vom 29. September 2003) haben Aufsehen erregt. Sie lassen die Erinnerung wach werden an eine politische Affäre, die vor genau 30 Jahren ganz Amerika erschüttert hat und auch die internationale Berichterstattung beherrschte. Mit dem "deutschen Watergate" ist das noch nicht geschehen, obwohl es hierbei um weit mehr geht, nämlich (neben Täuschung und Lüge durch höchste Politiker) vor allem um politische Verfolgung, um staatlichen Vermögensraub, um staatliche Hehlerei und um das Versagen der Gewaltenteilung.
Beide Skandale haben Gemeinsames und Trennendes, Gemeinsames insofern, als zwei Regierungen ihre Macht gegen die Grundsätze der Verfassung, des Rechts und der Moral ausgeübt haben - in Amerika der damalige Präsident Richard Nixon und sein Justizminister, in Deutschland der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl mit den Ministern Friedrich Bohl, Wolfgang Schäuble, Theo Waigel und Klaus Kinkel. Beide Regierungschefs haben auch ihr Parlament und ihr Volk belogen, der amerikanische den Kongreß, der deutsche den Bundestag.
Aber was beide Skandale letztendlich trennt, das ist der große Unterschied in der öffentlichen Resonanz, in der rechtlichen Behandlung der Gerichte, in den Konsequenzen für die Täter und in dem angerichteten materiellen wie immateriellen Schaden.
Der deutsche Skandal hat eine weit größere Dimension. Beim "deutschen Watergate" geht es darum, daß und wie sich die Bundesregierung unter Kanzler Kohl in großem Maßstab fremdes Eigentum angeeignet hat, das aus dem sogenannten Volkseigentum der DDR stammte. Sie verweigerte den eigentlichen Eigentümern die Rück-gabe und verleibte es dem Bundesvermögen ein. Es handelt sich um dasjenige Eigentum, das die deutschen Kommunisten in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (1945 bis 1949) mittels kollektiver Beschuldigung und Verfolgung der Unternehmer in der Landwirtschaft, dem Gewerbe und der Industrie samt ihren Familien als Kollektivbestrafung konfisziert hatten.
Die Bundesregierung begründete die Nichtrückgabe mit der Behauptung, sie habe einem Verlangen der Sowjetunion und der DDR zustimmen müssen, um die Wiedervereinigung zu ermöglichen; sonst wäre diese nicht zu erreichen gewesen. Das Verlangen habe darin bestanden, daß die einstigen Vermögensentziehungen nicht rückgängig gemacht werden dürften. Das Bundesverfassungsgericht folgte dieser Behauptung kritiklos in zwei Entscheidungen mit dem "Erfolg", daß viele 10.000 konfiszierte Grundstücke, Betriebe und Häuser aus Landwirtschaft, Gewerbe und Industrie dem bundesdeutschen Fiskus als Rechtens zugesprochen wurden.
Daß jene Behauptung nicht zutrifft, sondern inszenierte Täuschung war, ist durch die Dissertation der Politikwissenschaftlerin Constanze Paffrath bestätigt worden. Diese Täuschung hatte und hat schwerwiegende Folgen für das Sich-verlassen-Können auf das Eigentumsrecht, für das Ansehen Deutschlands als Rechtsstaat und für den wirtschaftlichen Wiederaufbau im einstigen DDR-Gebiet - in einem Ausmaß, das die Dimension der Watergate-Affäre weit übersteigt. Das "amerikanische Watergate" hat zwar erheblich dem Vertrauen in die amerikanische Regierung geschadet, aber keinen unmittelbaren Vermögensschaden bei den amerikanischen Bürgern zur Folge gehabt. Dagegen hat das "deutsche Watergate" über den Vertrauensschaden hinaus die unschuldigen Opfer der verfolgungsbedingten Konfiskationen um die mögliche Rückgabe der noch verfügbaren Vermögenswerte gebracht, ihnen damit einen schweren endgültigen Verlust zugefügt, den vielen Investitionswilligen unter ihnen die Investitionsfähigkeit genommen, sie damit an Investitionen in der alten Heimat gehindert, ihnen die Rückkehr in die alte Heimat unmöglich gemacht oder unerträglich erschwert sowie auf diese Weise die Wirtschaft der neuen Bundesländer unermeßlich zusätzlich geschädigt hat.
Beim "amerikanischen Watergate" wurde frühzeitig die Judikative wach und nahm ihre Aufgabe der Kontrolle der Regierung mit großer Energie wahr. Beim "deutschen Watergate" hingegen schwieg die Judikative, schlimmer noch: Sie schloß sich der Argumentation der Bundesregierung an, ohne ihrer Pflicht zur Wahrheitssuche nachzukommen. Auch wurde im amerikanischen Fall die Verfassung nicht geändert, um die Täter und ihre Tat zu schützen. Im deutschen Fall haben Regierung und Parlament in das Grundgesetz den Artikel 143 mit seinem Absatz 3 eingefügt, um ihre Tat und den rechtswidrigen Vermögensraub verfassungsfest zu machen.
Zudem haben sich in Amerika beide Kammern des Falles angenommen: der Rechtsausschuß des Repräsentantenhauses (also der Abgeordnetenkammer) und der Untersuchungsausschuß des Senats (also der Vertretung der Einzelstaaten), nachdem der Sonderstaatsanwalt A. Cox und der Oberste Richter des Districts Columbia, J.J. Siriva, ermittelt hatten. Als das Geschworenengericht Nixon als Komplizen der Vertuschung bezeichnete und ihm vorwarf, die Justiz behindert zu haben, stimmte das Repräsentantenhaus mit großer Mehrheit dafür, ein Amtsenthebungsverfahren (Impeachment) einzuleiten. Der Senat stimmte ebenfalls zu. Nixon trat daraufhin zurück. Nichts dergleichen in Deutschland. Hier haben sich Rechtsausschuß, Petitionsausschuß, parlamentarischer Untersuchungsausschuß und Ältestenrat geweigert, die Täuschung überhaupt zu untersuchen, und alle Anträge der Opfer trotz aller Eindringlichkeit abgewiesen. Ebenso der Präsident des Bundestages und der Bundesrat.
Eine starke Opposition gab es leider nur in den USA. Die Demokratische Partei erstrebte den Sturz des Präsidenten und nutzte den Fall dementsprechend aus. In Deutschland hingegen gab es keine nennenswerte Opposition, weil die SPD als damalige Oppositionspartei aus ideologischen Gründen dagegen war, einstigen Großbauern, Gutsbesitzern ("Junkern"), gewerblichen Unternehmern und Industriellen das entzogene Privateigentum zurückzugeben. Die SPD ist an der politischen Verfolgung dieser Bürgerschicht, ihrer Vertreibung, ihrer Entrechtung, ihrer Vernichtung 1945 bis 1949 sogar mitschuldig gewesen, denn durch den Zusammenschluß von KPD und SPD 1946 ist das brutale Vorgehen der kommunistischen Staatspartei SED in der Sowjetischen Besatzungszone und die Wegnahme des Vermögens noch erleichtert worden.
Auch die eigene Partei des Präsidenten hat ohne Rücksicht auf das Ansehen und auf die anzuerkennenden Verdienste ihres Präsidenten konsequent gehandelt. In Deutschland jedoch war von seiten der CDU/CSU, als die Täuschung ruchbar geworden war, kaum Widerstand oder Kritik gegen die Lüge ihres Kanzlers und seiner Minister und gegen die im Parlament vorgenommene Abstimmung zu vernehmen. Auch kam es zu keiner Gegenreaktion. Wie oft hörte der Verfasser, wenn er einem CDU-Politiker die Tatsachen schilderte, die zur Anerkennung der Konfiskationen geführt hatten: "Sie haben ja vollkommen recht, aber bitte haben Sie Verständnis, daß ich nichts tun kann."
Richard Nixon hätte sein Präsidentenamt nie zur Verfügung gestellt, wenn ihn die Medien wegen seiner Lügen und Verschleierungstaktik nicht rücksichtslos angeprangert und einzelne Journalisten sich nicht wie Spürhunde auf seine Fährte gesetzt hätten. In Deutschland dagegen haben sich die Medien - bis auf wenige Zeitungen - des offensichtlichen Skandals nicht angenommen. Das Fernsehen brachte überhaupt keine qualifizierte Sendung oder Talk-Show, in der den Hauptschuldigen Kohl, Schäuble, Herzog, Waigel, Bohl und anderen bohrende Fragen gestellt worden wären.
Doch was geschieht eigentlich in unserem Rechtsstaat, nachdem nun auch eine höchstbenotete Dissertation festgestellt und damit bekräftigt hat, daß die Regierung Kohl das Parlament, das Bundesverfassungsgericht und die Öffentlichkeit vorsätzlich zum Nachteil Tausender von Bürgern aus Ost und West getäuscht hat? Was geschieht mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die auf einem Tatbestandsirrtum beruhen und demzufolge zu einem falschen Urteil geführt haben? Was unternimmt das Parlament, besonders die 112 Abgeordneten, die 1990 dem Eini-gungsvertrag (mit Verfassungsänderung) unter Vorbehalt zugestimmt haben und nun ganz genau wissen, daß sie getäuscht worden sind? Ohne diese Täuschung hätten sie anders abgestimmt, und die erforderliche Mehrheit wäre nicht erreicht worden.
Noch immer wird dem "deutschen Watergate" die gebührende Aufmerksamkeit nicht zuteil. Noch immer wird dieser Verstoß gegen das Recht geduldet. Aber das Recht für die schuldlosen Opfer wiederher-zustellen ist für den Rechtsfrieden und für das Ansehen Deutschlands als Rechtsstaat unerläßlich.
Dabei geht es nicht darum, das Rad der Geschichte zurückzudrehen, den Zustand von einst wiederherzustellen. Es geht darum, die politisch verfolgten, geächteten und unschuldigen Opfer zu rehabilitieren und ihnen zurückzugeben, was noch in Staatshand und daher verfügbar ist, ohne die gutgläubig erworbenen Rechte von ehemaligen DDR-Bürgern zu beeinträchtigen. Hat der Staat veräußert, was den Opfern gehört, muß er den Erlös an sie herausgeben. Am schlimmsten wäre es, über das "deutsche Watergate" bis in alle Ewigkeit weiter zu schweigen.
Das "US-amerikanische Watergate"
Im US-Wahljahr 1972 beherbergte das Washingtoner Hotel Watergate das Wahlkampfhauptquartier der Demokratischen Partei. Am frühen Morgen des 17. Juni wurden fünf Exilkubaner bei einem Einbruch in die Büros ertappt; es ging ihnen offensichtlich um Wahlkampfspionage zugunsten der Republikaner. Wie sich bald herausstellte, hatten die fünf mit Wissen und sogar im Auftrag hoher Beamter der Nixon-Regierung gehandelt. Die Spur führte schließlich bis ins Weiße Haus, dessen Führung - insbesondere die beiden Nixon-Berater Ehrlichman und Haldeman - monatelang versuchte, die Affäre zu vertuschen. Berüchtigt sind jene Tonbänder geworden, deren Herausgabe Bundesrichter John Sirica erzwang und die eine persönliche Verantwortung von Richard Nixon erkennen ließen. Zwei Jahre nach dem "drittklassigen Einbruch" endete die Affäre mit dem Rücktritt Richard Nixons am 8. August 1974, der damit einem Amtsenthebungsverfahren (Impeachment) durch den Kongreß zuvorkam. Nixons Nachfolger wurde sein Vize Gerald R. Ford.
Das "deutsche Watergate"
Als Begründung für die Nichtrückgabe von Immobilien, die von den Kommunisten in der Zeit zwischen 1945 und 1949 auf dem Boden der SBZ konfisziert worden waren, wurde von der Bundesregierung immer wieder behauptet, daß die UdSSR wie auch die DDR in den Verhandlungen über die Wiedervereinigung als unerläßliche Voraussetzung, als Conditio sine qua non, hierfür den Verzicht auf die Rückgabe genannter Immobilien gefordert hätten. Bundeskanzler Helmut Kohl, Finanzminister Theo Waigel und Innenminister Wolfgang Schäuble, alle von der Union, unterstrichen mit ihrer Persönlichkeit die Notwendigkeit, daß der Bundestag dieser angeb-lichen Conditio sine qua non zustimme. Was dieser dann auch in einer ihm im Eiltempo vorgelegten Gesetzesvorlage tat. Als sich später herausstellte, daß es eine derartige unbedingte Forderung von seiten der UdSSR nie gegeben hat - Michail Gorbatschow und andere damals führende sowjetische Politiker haben das inzwischen mehrfach bestätigt -, hatte das jedoch keinerlei Konsequenzen.
Der Autor Udo Madaus ist promovierter Jurist und selbst Opfer politischer Verfolgung in der Sowjetischen Besatzungszone. Als Geschäftsführender Gesellschafter im Familienunternehmen und als ehrenamtlicher Richter beim Landgericht Köln arbeitete er sich in das Thema "Konfiskationen" ein. Auch ist er Autor des Buches "Allianz des Schweigens", Frieling und Partner, Berlin 2002, 300 Seiten, gebunden. Abgang: US-Präsident Richard Nixon verließ nach seinem von der Öffentlichkeit erzwungenen Rücktritt trotzig 1974 das Weiße Haus. Bis heute ohne Konsequenzen: Helmut Kohl belog die Deutschen hinsichtlich der Bedingungen der UdSSR.
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