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Das Ansehen der USA in der Welt und auch in Deutschland stürzt ab. Wen soll das wundern angesichts der Folterbilder, die einer Geschichte aus Lügen und Täuschungen die häßliche Krone aufsetzen.
"Selektive Moral" wird der Supermacht vorgeworfen - eine Doppelmoral mit zweierlei Maßstäben. Abu Ghureib vor Augen mag dem kaum jemand widersprechen. Indes, wer sich einige besonders laute Kritiker näher ansieht, entdeckt gerade bei ihnen einiges von dem, was die Welt (zu Recht) an der Bush-Regierung auszusetzen hat: Doppelmoral.
Wir müssen uns gar nicht erst in den Kellern jener orientalischen
Despoten umsehen, die jetzt entrüstet Anklage erheben gegen die Supermacht, um einiges an Heuchelei zu entdecken. Dazu reicht der Blick auf die Debatte in Deutschland selbst: Von dem in der Tat üblen Lager in Guantánamo ist beispielsweise viel und heftig die Rede. Doch wenn die Sprache auf den Rest der Insel kommt, auf welcher sich jener US-Stützpunkt befindet, wird die Schar der Empörten plötzlich recht klein und der Ton verdächtig lau. Die Toten in Castros Gefängnissen zählen? - "Billiger Antikommunismus".
Diese "selektive Moral" hat Tradition in der Bundesrepublik. Durch die Straßen zogen einst linke Demonstranten, um den Schah von Persien anzuprangern oder den brutalen Umgang mit der Opposition in Pinochets Chile. Wer in diesem Klima schüchtern auf die schlimme Lage der politisch Verfolgten im Bautzener Knast aufmerksam machte, bekam das Etikett des Hetzers verpaßt, der den Frieden gefährde, und das gedeihliche Miteinander von Ost und West. Der damalige niedersächsische SPD-Chef Gerhard Schröder stritt in den 80ern dafür, der "Erfassungsstelle Salzgitter" die Mittel zu streichen. Dort wurden Menschenrechtsverletzungen in der DDR erfaßt. Berichte freigekaufter Opfer des SED-Regimes bestätigten, daß sich ihre Behandlung sofort verbesserte, sobald die DDR-Behörden erfuhren, daß ihr Fall in Salzgitter bekannt ist. Gerhard Schröder wollte die Einrichtung weghaben. Heute wendet er sich mit hochgezogenen Augenbrauen an die Adresse der USA: "Wichtig ist vor allem, daß die Menschenrechte gewahrt sind." So ändern sich die Prioritäten.
Um nicht mißverstanden zu werden: Die harschen Vorwürfe an Wa-shington sind in der Sache berechtigt. Doch wer den Finger ausstreckt und "Doppelmoral" ruft, der muß sich die Überprüfung seiner eigenen Prinzipienfestigkeit schon gefallen lassen. Als außerordentlich schändlich wird hervorgehoben, daß gerade die USA als Demokratie moralisch versagt hätten - damit würde die ganze Idee besudelt. Bei den kommunistischen Diktaturen hingegen wurde stets versucht, ihren angeblich "humanistischen Grundansatz" als entlastendes Moment herauszukramen, wenn jemand auf ihre Verbrechen hinwies - die eigenen Maßstäbe werden so je nach ideologischem Nutzen einfach auf den Kopf gestellt.
Dies kann kein Aufruf zum Fatalismus sein nach dem Motto: Haben halt alle Dreck am Stecken. Doch das Schlimmste, was dem Begriff der Moral widerfahren kann, ist, daß er zum billigen Prügel der Heuchler herabsinkt. Erst dann nämlich hat die Lüge wirklich gesiegt.
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