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Kurz vor Weihnachten hat Berlin ein Geschenk der besonderen Art bekommen. Die letzte der insgesamt 2.711 Betonstelen des Holocaust-Mahnmals wurde auf das 19.000 Quadratmeter große Stelenfeld in der Mitte der Hauptstadt gepflanzt. In Berlin sind die religiös gebundenen Menschen – einschließlich der gläubigen Muslime – in der Minderheit. Bald aber werden sogar Atheisten wieder Gelegenheit zur sakralen Erhebung haben. Die größte Stele ist fünf Meter hoch, die kleinste 95 Zentimeter. Besucher sollen laut dem Architekt en Peter Eisenman die Gefühle einer Auschwitz-Überlebenden, denen er begegnet ist, nachvollziehen. Im Mai 2005 wird das Denkmal offiziell eröffnet. Bei der letzten Stelenpflanzung waren außer Eisenman und der mittelmäßigen Publizistin Lea Rosh auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) anwesend. Thierse äußerte sich glücklich, weil Zeitplan und Kostenrahmen eingehalten worden seien. So äußern sich Firmenchefs oder Buchhalter über eine gelungene Investition zur industriellen Standortsicherung. Doch leider, darum geht es in Berlin so gut wie nie. „Ein Denkmal für das Volk“ sei entstanden, glaubt der Sprecher der Mahnmalstiftung. Keine Frage, für Touristen und Schulklassen wird es zum Pflichtprogramm gehören. Aber ist es das, was das Volk tatsächlich will und braucht? Nur noch 39 Prozent der Berliner leben von ihrem Arbeitseinkommen (1990 waren es knapp 50), 38 Prozent beziehen Sozialleistungen. Durch Hartz IV gehen der Stadt noch einmal 300 Millionen Euro Kaufkraft verloren, was weiteren Einzelhandelsgeschäften den Garaus machen wird. Für die verrotteten Schulen ist kein Geld da, die Bibliotheken können keine Neuanschaffungen mehr tätigen, nur für Trauerarbeit sind immer noch ein paar Millionen übrig. Die aktuelle Berliner Selbstaufopferung kennt nur wenige historische Präzedenzfälle, und leider sind es nicht die besten. Man kann darin aber auch ein schönes Beispiel sehen, wie radikal ein permanentes Lernen aus der Geschichte das Verständnis von Politik zu verändern vermag. Wohl in diesem Sinne nennt Wolfgang Thierse das Mahnmal „im besten Sinne anstößig“. Leider weiß die Nation das Berliner Notopfer kaum zu würdigen. Die Heilbronner Stimme meint zwar, das Denkmal in der Mitte der Hauptstadt stünde „uns (?) wohl an“, doch in Heilbronn sagt sich so etwas bequem. Berlin wird die Funktion der nationalen Bewältigungszentrale zugewiesen, wenn es aber um den Umzug von Behörden geht, die ein bißchen Finanzkraft in die Stadt bringen könnten, dann zeigt die Provinz sich zugeknöpft. Bonn verfügt noch immer über viel mehr Ministerialbeamte als die offizielle Hauptstadt. Peter Eisenman hatte in einem Interview geäußert, es sei einmalig, so ein Denkmal mitten in ein Stadtzentrum zu bauen. Berlin sei damit eine symbolische Stadt – das Wort Nekropolis (Totenstadt) verkniff er sich –, in der er selber aber nicht leben wolle. Um so größer sei sein Respekt vor der Entscheidung der Deutschen. Doch wer hat die Entscheidung eigentlich gefällt? Letzten Endes der Bundestag. Vorbereitet hatte sie die xanthippische Lea Rosh. Die 68jährige, kinderlose Rosh sieht das Denkmal als ihr „Baby“ an. Zur Erinnerung: Edward Teller, der Vater der amerikanischen Wasserstoffbombe nannte diese Hervorbringung ebenfalls sein „Baby“. Es war nicht so sehr Roshs intellektuelle Sturheit, die überzeugte, sondern ihr schneidender Tonfall. Auch Helmut Kohl wirkte vor der kleinen Frau wie ein tumber Riese. Was sagt uns das Denkmal? Es steht auf geschichtsträchtigem Gelände, in den ehemaligen Ministergärten. Es bildet den Schnittpunkt zwischen Brandenburger Tor, Reichstag, Preußischem Herrenhaus und Goethe-Denkmal. Hier soll sich die Summe der deutschen Geschichte manifestieren. Ist es ein Wunder, daß die Gegenwart dieses Landes von Niedergeschlagenheit, vom Angstsparen und von Pleitewellen geprägt ist?
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