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Der erste Tag des neuen Jahrhun- derts bzw. eines neuen Jahrtausends bescherte den Ungarn einen hochsymbolischen Staatsakt: die Überführung der sogenannten Stephanskrone aus dem Nationalmuseum ins Parlamentsgebäude.
Über 15 000 begeisterte Menschen säumten am 1. Januar in Budapest die Straßen, die der Konvoi mit der reich verzierten Krone passierte. Später sagte Ministerpräsident Viktor Orban in einer festlichen Sitzung des Parlaments, daß "die Heilige Krone für Ungarn vor tausend Jahren die Möglichkeit eröffnet hat, ein Teil Europas zu sein und als solche als ein lebendiges Symbol der eigenen Staatlichkeit und nationalen Einheit gesehen werden sollte und nicht als ein museales Relikt.".
Die linke Opposition, allen voran Laszlo Kovacs als Vorsitzender der Sozialistischen Partei und der Ex-Ministerpräsident Gyula Horn, lehnten die Überführung der Krone ab und boykottierten auch die Feierstunde.
Da die Mehrheit der Ungarn jedoch sehr geschichtsbewußt ist, gibt es in der breiten Öffentlichkeit eine klare Zustimmung zu den sich in der Stephanskrone widerspiegelnden madjarischen Staatstraditionen. Das Gefühl für nationale Symbolik ist in diesem mitteleuropäischen Land ganz anders als in Deutschland bis heute stark ausgeprägt.
Daß die genauen Ursprünge der nun im Parlamentsgebäude auf der Pester Donau-Seite verwahrten Krone im dunkeln liegen, ändert nichts daran. Im Gegenteil: Die Debatte um die Historie der Stephanskrone beschäftigt nicht nur die Wissenschaft, sondern vermag auch in weiten Kreisen der Bevölkerung anhaltendes Interesse zu wecken.
Fest steht nur, daß das heute als "Stephanskrone" verehrte Diadem erst nach der Regierungszeit König Stephans des Heiligen (997-1038) geschaffen wurde. Die Bezeichnung ist seit Ende des 13. Jahrhunderts überliefert. Damals galt es angesichts des Endes der Arpadendynastie die Legitimität der Nachfolger durch die Bezugnahme auf den ungarischen Reichsgründer zu stärken.
Während die ursprüngliche Krone des mit der aus dem ottonischen Herrschergeschlecht stammenden Bayernprinzessin Gisela verheirateten Königs Stephan möglicherweise eine Gabe des deutschen Königs und Kaisers Otto III. war, stellt das erhalten gebliebene Diadem wahrscheinlich ein Geschenk aus Byzanz dar.
Einzig das berühmte schiefe Kreuz, das auf den beiden kreuzförmig auf einem Goldreif angebrachten Bändern aufgesetzt ist, könnte wirklich auf König Stephan zurückgehen. Viele Historiker halten es für ein von ihm getragenes Brustkreuz.
Daß das wichtigste ungarische Staatssymbol seit nunmehr bald einem Jahrtausend nach König Stephan dem Heiligen benannt ist, unterstreicht den außerordentlichen Stellenwert der unter ihm mit deutscher Hilfe vollendeten Christianisierung. Denn diese ebnete für Ungarn wie Ministerpräsident Orban zu Recht betonte den Anschluß an den abendländischen Kulturkreis.
Außerdem war es jener König Stephan, der die madjarischen Stammesgewalten zerschlug und durch die Einführung der auf fränkische Vorbilder zurückgehenden Komitatsverfassung eine starke Zentralmacht schuf, der Ungarn den zeitweisen Aufstieg zu einem der mächtigsten Reiche Europas verdankte.
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