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Wer geglaubt hatte, mit ein paar flotten Sprüchen des Kanzlers oder ein paar Falten mehr im Atlas-Gesicht des Außenministers sei die Beziehungskrise zwischen Berlin und Washington zu beheben, der muß sich belehren lassen. Nicht von irgendeinem Politiker - es gibt keine, die mehr oder gar etwas besser wissen als die rotgrünen - nein, der Lehrmeister ist die Wirklichkeit selbst. Diese transatlantische Wirklichkeit ist komplizierter als die comicartigen Weltentwürfe des Kanzlers. Zu ihr gehört die Erkenntnis, die in Berlin freilich angezweifelt wird, daß Bagdad Terroristen der Al Qaida Unter- schlupf gewährt und sie auch im Umgang mit chemischen Waffen ausgebildet hat. Zu ihr gehören Erkenntnisse, die Berlin früher auch mal hatte, über die nicht vorhandenen Kapazitäten der Bundeswehr, in einem möglichen Krieg überhaupt mitmarschieren zu können, selbst wenn man wollte. Zu ihr gehört ferner die Erkenntnis, daß die Übernahme der Führung der Isaf (Internationale Schutztruppe in Afghanistan) die Amerikaner nicht entlastet, es wäre schlicht ein politisches Signal, nicht mehr und nicht weniger.
Die Liste der Illusionen und Wirklichkeitsverzerrungen ließe sich verlängern, übrigens auch in der Innen-, Finanz- und Wirtschaftspolitik. Das für den Beobachter Erschütternde aber ist: Die Regierungsmannschaft in Berlin denkt wirklich so, wie sie sich äußert. Sonst könnte der Kanzler jetzt nach der Wahl einen Entschuldigungsbrief schreiben und mehr Spürpanzer oder sonstige konkrete Hilfe in Aussicht stellen. Auf der auf Dauer unhaltbaren Position des kategorischen Nein - auch wenn die Vereinten Nationen eine Resolution verabschieden und den Feldzug damit legitimieren würden - zu beharren, läßt nur den Schluß zu, daß der Antiamerikanismus echt oder die Regierung dumm ist. Vielleicht stimmt auch beides. Für Deutschland ist diese neutralistisch-pazifistische Haltung, die an die fünfziger Jahre erinnern, jedenfalls eine große Belastung. Sie wird sich auch wirtschaftlich auswirken und uns viele Arbeitsplätze kosten. Aber die Mehrheit hat es so gewollt, und das politische Personal der Minderheit war zu zaghaft und feige, um eindeutig dagegenzuhalten.
Die Haltung im Weißen Haus ist verständlich. Die Deutschen haben die Bringschuld zu tilgen. Ihre jetzt wiedergewählte Regierung hat die Erde verbrannt, diese Erde soll sie nun beackern. Das ist kein leichtes Unterfangen. Verteidigungsminister Struck hat es in Warschau erfahren, wo sein Amtskollege Rumsfeld ihn abblitzen ließ. Schröder hatte es schon vorher erfahren. Denn ein Anruf von ihm - vor der Wahl - kam nicht durch. Der Präsident hatte wichtige Termine. Das wird Schröder noch öfter passieren. Immerhin ließ man dies nicht verlauten und zeigte sich gegenüber Berlin noch nobel. Auch Außenminister Fischer wird das demnächst erfahren, auch wenn er mit seinem Amtskollegen Powell weniger Probleme hat. Powell wird ihm aber deutlich machen, daß es neben dem Begriff der "german Angst" jetzt einen weiteren gibt, den die New York Times schon verbreitet: das "german problem". Man kann nur hoffen, daß der zu seinen pazifistischen Wurzeln zurückgekehrte Grüne dies in der ganzen Tragweite versteht.
Es geht bei diesem Problem nämlich nicht um gekränkte Eitelkeiten aufgrund persönlicher Beleidungen oder dummdreister Töne des Kanzlers selbst ("Abenteurertum", "Wir sind keine Lakaien", "Wir schlagen nicht die Hacken zusammen, wenn das Telefon klingelt", etc.). Es geht um substantielle Interessen, um ein neues Denken. Auch hier wieder die unterschiedliche Sicht der Wirklichkeit. Amerika definiert den Kampf um die Freiheit seit dem 11. September neu. Es hat eine neue Strategie ausgearbeitet. Bush brachte sie jetzt in New Jersey mit Blick auf die Verbündeten auf diesen Punkt: Er habe versucht, der Welt klarzumachen, daß man im "Kampf um die Freiheit und gegen den internationalen Terrorismus "entweder für uns ist, oder für den Feind, und diese Doktrin gilt weiterhin". Darüber hätte man diskret aber offen unter Freunden reden müssen, statt mit neutralistisch-pazifistischen Parolen öffentlich 50 Jahre deutsche Außenpolitik in Frage zu stellen.
Der Streit in Washington um die Irak-Politik zwischen dem Präsidenten und der demokratischen Mehrheit im Senat wäre gründlich mißverstanden, wenn man die Demokraten als Verbündete der deutschen Position ansähe. Es geht in Washington nicht um das Ob, sondern um das Wie. Aber daß Saddam Hussein der Feind ist und dieses Regime eine Gefahr, die beseitigt werden muß, darüber herrscht Einigkeit. Man sieht sich im Krieg gegen einen unsichtbaren Gegner und versucht, ihm die Tarnkappe vom Kopf zu reißen. Dieser Gegner ist überall, und er kann auch überall zuschlagen. Dagegen hilft nur die Entwaffnung vor dem Schlag. Diese präventive Strategie soll im Irak zum Tragen kommen. Das ist der Unterschied zwischen den Regierungen in Berlin und Washington: Am Potomac glaubt man an das, was man sagt, und handelt danach, in Berlin glaubt man nur an sich und die Macht und daß es so weitergehen kann wie früher. Aber auch in Deutschland kann es Anschläge der Terroristen geben, und spätestens dann würde die pazifistische Angststimmung in den panischen Ruf nach Schutz um jeden Preis umschlagen. Schröder würde der Stimmungsschwankung folgen. Diese total opportunistische Haltung Berlins hat die Regierung Bush in dieser Krise erkannt, und diese rotgrüne Haltung hat auch einen Namen: uneingeschränkte Unzuverlässigkeit. Das ist der Kern des "german problem". Dazu kann man die Deutschen nicht beglückwünschen. Das Ausbleiben des Telegramms war durchaus ehrlich gemeint. Es wird demnächst noch mehr ausbleiben. Die Wirtschaft ist schon beunruhigt. Der Blick in den transatlantischen Graben reicht tief. Mit freundlichen Worten ist dieser Graben nicht zu überbrücke |
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