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Rechtsprechung ist keine Garantie für Recht, denn Zurufe - ob von Mächtigen oder vom "Volk" - lassen sich nicht immer ignorieren. Bekanntlich gab es einen Statthalter, der seine Hände in Unschuld wusch, aber einem nach Kreuzigung lechzenden Pöbel nachgab, um keinen Aufstand zu riskieren - das hätte sich in Rom nicht gut gemacht. Auch die europaweit etwa 250.000 in Hexen-"Prozessen" Verurteilten wurden de facto Opfer von Lynch-Justiz. Die von Bolschewisten , Nazis und allerlei Nachahmungstätern inszenierten Schauprozesse waren nicht minder anrüchig. Und ebenso gilt das für Kriegsverbrecherprozesse, mit denen Sieger von eigenen Verbrechen ablenken: Man denke etwa an das Massaker von Katyn, für welches die wahren Täter unschuldige Wehrmachtsangehörige hinrichten ließen.
Selbst in Demokratien ist die Justiz gegen Beeinflussung nie völlig gefeit, denn die "öffentliche Meinung" (die meist das Produkt einer "veröffentlichten Meinung" ist), aber auch gewisse politische Kräfte selber können massiven Druck ausüben. Gut veranschaulichen läßt sich diese Problematik anhand einiger aktueller Fälle in Österreich.
Soeben begann der Strafprozeß um den Tunnelbrand in Kaprun, bei dem 155 Menschen starben. Technisch scheint alles geklärt zu sein, doch selbst die Staatsanwaltschaft spricht von einem "Mosaik von Fehlern". Gemeint ist, daß es ein Zusammenwirken mehrerer Faktoren gab, von denen kein einziger für sich allein zur Katastrophe geführt hätte. Aber irgendwer muß schuld sein, und darum gibt es 16 Angeklagte (vom Betreiber der Standseilbahn, von Zulieferern und von Aufsichtsbehörden).
Richtern und Verteidigern ist klar, daß der Strafprozeß enorme zivilrechtliche Konsequenzen hat. Besonders widerwärtige Effekte ergeben sich jedoch daraus, daß Betreiber und Lieferfirmen Vermögen in den USA besitzen, weshalb auch der selbsternannte "Opferanwalt" Fagan und sein Münchner Famulus Witti mitmischen. Für die Urteilsfindung sollte es zwar keinen Unterschied machen, ob bloß ein Toter oder 155 Tote zu beklagen sind, ob die Opfer Inländer oder vorwiegend Urlaubsgäste waren und ob "etwas rauszuholen ist" oder nicht. Doch ob es wirklich so sein wird angesichts des zwar verständlichen, aber zusätzlich noch zweckgesteuerten Medieninteresses und der internationalen Verquickungen?
Ein anderer "internationaler" Fall: Vor zwei Jahren war es einem Mann namens Sholam Weiss gelungen, aus einer US-Haftanstalt zu entfliehen und sich nach Österreich abzusetzen. Weiss war zu 845 Jahren Haft verurteilt worden, weil er Tausende Pensionisten um den Gegenwert von einer halben Milliarde Euro betrogen hatte. In Österreich wurde er zwar auf Grund des internationalen Haftbefehls festgenommen, da aber jemand eine Kaution von 1,45 Millionen Euro stellte, konnte er den US-Auslieferungsantrag auf freiem Fuß anfechten. In Österreich stehen auf sein Delikt maximal zehn Jahre, weshalb die Anwälte alle Rechtsmittel in allen Instanzen ausschöpften.
Während sich Gerichte hinter Formalismen verschanzen können, wurde es eine heikle Gratwanderung für den letztlich zuständigen Justizminister, denn auch in Österreich ist der Vorwurf des Antisemitismus bei Bedarf schnell zur Hand, und andererseits kann man sich einem nachdrücklichen Wunsch von Onkel Sam heutzutage kaum widersetzen. Nun, Weiss wurde dieser Tage ausgeliefert, und prompt wird dem Minister vorgehalten, es habe dafür keine taugliche Rechtsgrundlage gegeben. Da die Anwälte offenbar nicht um Hono- rare bangen müssen, wird es beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weitergehen - und am "Asylland" bleibt so oder so etwas hängen.
Zwei medienrechtliche Fälle wiederum zeigen, wie unterschiedlich die Risiken sein können: In einem kritischen Buch über Bundespräsident Klestil wird ein anderer Präsidentschaftskandidat zitiert, der Klestil mehrfach öffentlich beschuldigte, seine jetzige (zweite) Frau zu einer Abtreibung gedrängt zu haben. Es mag zwar geschmacklos sein, ins Privatleben von Politikern einzudringen, doch steht fest, daß der von der ÖVP nominierte und bei der Wiederwahl 1998 auch von der FPÖ unterstützte Klestil seiner Wählerschaft ein heiles Familienleben vorgetäuscht hatte, während längst ein Verhältnis mit der "Zweiten" bestand. Klestil klagte, und der Verlag wurde zu einer Geldstrafe verurteilt, die - falls rechtskräftig - durchaus existenzbedrohend wäre.
Ganz anders lief es mit einem Buch, das große öffentliche Erregung auslöste, weil es Jesus, Maria und die Apostel durch Karikaturen verächtlich macht. Hier wurden die Strafanzeigen abgewiesen und das Verfahren eingestellt. Theoretisch hätte der Justizminister von seinem Weisungs- recht an die Staatsanwaltschaft Gebrauch machen können. Doch da er ein FPÖ-Mann ist, hätte er damit einen "weltweiten" Aufschrei wegen Gefährdung des Rechtsstaates ausgelöst. Und ein Jesus hat eben auch heute keine "Lobby" ... Prof. Dr. Küssner |
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