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Islamische Antwort

 
     
 
Am vergangenen Wochenende haben die Proteste in der islamischen Welt gegen zunächst in der dänischen Tageszeitung "Jyllands-Posten" erschienene Karikaturen, die dann in der Folge in verschiedenen europäischen Zeitungen nachgedruckt worden sind, einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Unter anderem griffen in Syrien aufgebrachte Demonstranten die dänische und die norwegische Botschaft an und steckten sie in Brand. In der Stadt Gaza wurde die deutsche Vertretung durch wütende Palästinenser attackiert
, weil die Karikaturen auch in deutschen Zeitungen veröffentlicht worden sind. Bereits Mitte letzter Woche drohten radikale Muslims mit Gewalt gegen Bürger jener Staaten, in denen die Karikaturen abgedruckt worden sind. Die 500 im Irak stationierten dänischen Soldaten wurden von Islamisten bereits für "vogelfrei" erklärt.

Irans Präsident Ahmadinedschad versucht derzeit, die "Gunst der Stunde" zu nutzen, um sich an die Spitze des Protestes zu stellen. Einmal mehr brachte er die Waffe der Wirtschaftssanktionen gegen den Westen ins Gespräch, von der sein Land selbst bedroht ist. So meldete die staatliche iranische Nachrichtenagentur "IRNA", der Präsident habe erklärt, daß man "die Wirtschaftsverträge mit dem Land überprüfen und annullieren" müsse, "das mit diesem abscheulichen Akt begonnen hat, und mit den Ländern, die ihm gefolgt sind". Auch die saudiarabische Regierung brachte dieses Instrument unterdessen ins Spiel. In Ägypten hat das dortige Parlament mit den Stimmen der Regierungspartei eine Entschließung verabschiedet, die zum Boykott gegen dänische Waren aufruft. EU-Handelskommissar Mandelson nahm dies zum Anlaß, darauf hinzuweisen, daß er den Fall vor die Welthandelsorganisation WTO bringen werde, falls auch die ägyptische Regierung den Boykottmaßnahmen folgen sollte.

Diese Vorgänge zeigen, daß sich die Auseinandersetzungen um die zwölf Karikaturen um den Propheten Mohammed zu einem Grundsatzkonflikt zwischen dem Westen und der islamischen Welt auswachsen. Sie werden von Muslimen als beleidigend empfunden, weil sie Mohammed zum Beispiel als Terroristen mit einer Bombe im Turban zeigen. Hier spielt wohl auch eine Rolle, daß sich viele Muslime des pauschalen Verdachts, "Terror-Sympathisanten" zu sein, ausgesetzt fühlen. Die Karikaturen verstoßen überdies gegen das Verbot, den Propheten Mohammed abzubilden. Dieser Auffassung sind selbst "moderate" islamische Politiker wie zum Beispiel der türkische Ministerpräsident Erdogan, der die Karikaturen als "Angriff auf unsere geistig-moralischen Werte" bezeichnete. Und auch der ägyptische Präsident Mubarak unterstrich, daß Pressefreiheit nicht als Entschuldigung für die Beleidigung der Religion dienen dürfe.

Auf der europäischen Seite meint man, eben jene Meinungs- und Pressefreiheit als Grundwert verteidigen zu müssen. "Die Meinungsfreiheit", so Dänemarks Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen Ende Januar, "darf keinen Deut eingeschränkt werden; sie steht nicht zur Diskussion." Dennoch sah Rasmussen sich letzte Woche gezwungen, sich über den Fernsehsender "Al Arabija" direkt an die Muslime in aller Welt zu wenden und zu erklären, daß die Dänen nicht die Absicht hätten, die Muslime zu beleidigen. Auch "Jyllands-Posten" selbst hat sich mittlerweile dafür entschuldigt, "religiöse Gefühle" beleidigt zu haben.

Auch wenn es dieser Tage so scheint, als wenn sich die gesamte islamische Welt gegenüber der Provokation, die die Karikaturen darstellen sollen, einig sei, sollten Töne nicht überhört werden, die auf andere Dimensionen dieses Konflikts verweisen. Vertreter eines moderaten Islams sind zum Beispiel der Meinung, daß das Insistieren des Westens auf Pressefreiheit die Demokratisierung ihrer eigenen Länder gefährden würde, weil es die radikalen Kräfte stärke. Daß die Proteste wohl tatsächlich vor allem ein Phänomen der "Straßen und Moscheen" sind, hat auch der dänische Außenminister Möller festgestellt, der die Kontakte mit Politikern der islamischen Welt als nach wie vor "gut" bezeichnete. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die "FAZ"-Korrespondentin Kristina Bergmann, die berichtete, daß die Proteste gegen die Karikaturen vor allem von "Muslimbrüdern und Islamisten" initiiert worden seien. Sie ist der Meinung, daß die repressiven Regime in Damaskus, Riad, Kairo und anderswo nur hoffen könnten, daß sich die Wut auf die Europäer nicht bald gegen sie richten wird. Der Opposition, der sie sich gegenübersähen, bestünde nämlich vor allem aus Islamisten.

Diese Beobachtungen wären durch weitere zu ergänzen: Auch die Konflikte um die Palästinenser sowie um den Irak und jetzt auch den Iran schwingen mit Sicherheit mit. Überdies spielt auch die aus Sicht der islamischen Welt einseitige Option des Westens für Israel, das in der islamischen Welt als vorgeschobener Posten des Westens wahrgenommen wird, mit dem dieser seine "imperialistischen Ziele" in der arabischen Welt zu verwirklichen trachte, eine Rolle.

Mit einigem Recht wurde dieser Tage, mit Blick auf die Tiefendimensionen dieses Konflikts, auf die These des US-Politologen Samuel Huntington vom "Kampf der Kulturen" hingewiesen. Dieser ist der Überzeugung, daß eine durch Ökonomie und Technologie vorangetriebene soziale Modernisierung weder eine universale Kultur noch die Verwestlichung nichtwestlicher Gesellschaften erzeuge. Im Gegenteil: Das Machtgleichgewicht zwischen den Kulturkreisen verschöbe sich. Der Westen verlöre an relativem Einfluß. Nichtwestliche Kulturen bekräftigten selbstbewußt den Wert ihrer Grundsätze. Huntington sieht so eine auf kulturellen Werten basierende Weltordnung im Entstehen. Gesellschaften, die durch kulturelle Gemeinsamkeiten verbunden seien, rückten zusammen. Die einzelnen Länder gruppierten sich um die Führungs- beziehungsweise Kernstaaten ihrer Kultur. Deshalb provozierten die universalistischen Ansprüche des Westens zunehmend Auseinandersetzungen mit anderen Kulturkreisen. Die Nichtwestler erachteten als "westlich", was der Westen als "universal" betrachte. Was Westler als segensreiche globale Integration anpriesen, so Huntington, wie zum Beispiel die Ausbreitung weltweiter Medien, brandmarkten Nichtwestler als "ruchlosen westlichen Imperialismus".

Um die Kultur des Westens bei schrumpfender Macht des Westens zu bewahren, sei es, so Huntington, unter anderem nötig, "die technologische und militärische Überlegenheit des Westens über andere Kulturen zu behaupten". Demgegenüber steht in der islamischen Welt der Wille zur kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und militärischen Emanzipation, wie er sich aktuell im Iran Ausdruck zu verschaffen sucht. Radikalster Ausdruck dieser Emanzipation ist der Fundamentalismus, der das Subjektivitätsprinzip und den Primat der menschlichen Vernunft ablehnt und deshalb vom Westen als "anti-aufklärerisch" eingestuft wird. Unverkennbar aber ist, daß die islamische Welt eine eigene Zukunftsgestaltung beziehungsweise eine islamische Antwort auf fremde Herausforderungen sucht. Wie sehr der Islam bereits zur Gegenbewegung zu allem, was als "westlich" eingestuft wird, geworden ist, fokussiert sich derzeit exemplarisch im "Karikaturen-Streit".

Karikaturen nur Auslöser: Palästinensische Jugendliche demonstrieren gegen den verhaßten Westen.
 
     
     
 
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