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Globalisierung: Der neue Absolutismus

 
     
 
Wenn Globalisierung als die Fähigkeit verstanden wird, weltumspannend präsent zu sein, und zwar an jedem beliebigen Ort und aus jedem beliebigen Anlaß, so bedeutet Globalisierung auch den unbegrenzten Zugang der Kräfte des Weltmarktes und – die wirtschaftliche Entmachtung der Staaten. Für Amerika war und ist es ein Prozeß, den seine wirtschaftliche und politische Elite willentlich in Gang gesetzt hat und aufrecht erhält.

In einer globalen Wirtschaft ist die Schaffung international
er Regelwerke unerläßlich. Dies geschieht heutzutage nicht mehr mit bilateralen Abkommen zwischen souveränen Staaten, sondern mit multilateralen Vertragswerken zwischen Staatengruppen und internationalen Handels- und Wirtschaftsorganisationen. Dabei bedienen sich die Akteure weitgehend mehr oder weniger geheimer diplomatischer Verfahrensweisen.

Es gilt überwiegend, was schon Jacques Delors über die Entstehung des Maastricht-Vertrages sowie des Änderungsvertrages von Amsterdam ausführte: "Der Aufbau Europas wurde lange Zeit in nahezu geheimer Diplomatie vorangetrieben, abgeschottet von der öffentlichen Meinung in den Mitgliedstaaten. Es war die Methode der Gründerväter der Gemeinschaft, eine Art aufgeklärtes Despotentum. Kompetenz und geistige Unabhängigkeit wurden als ausreichende Legitimation zum Handeln, die Zustimmung der Bevölkerung im nachhinein als ausreichend betrachtet." Dabei hat man sich auch relativ leichtfertig über die Einholung solcher Zustimmungen hinweggesetzt.

Jüngstes Beispiel einer solchen Vorgehensweise ist die Vorbereitung eines "Multilateralen Abkommens für Investitionen" (MAI) unter dem Dach der OECD, welches nach jahrelangen Verhandlungen (seit 1995) erst vor Jahresfrist mehr oder weniger durch Zufall über eine Indiskretion in Kanada bekannt wurde. Inzwischen haben sich weltweit Widerstandskomitees gegen das MAI gebildet. In Deutschland hat es gar zu einer besorgten Anfrage des Bundestagsabgeordneten Michael Müller (SPD) geführt, welche am 5. Januar 1998 von der Bundesregierung beantwortet wurde. Der "Konsolidierte Textentwurf" des MAI sowie eine Kommentierung in englischer Sprache liegen mittlerweile ebenfalls vor.

Nach Auffassung der Bundesregierung handelt es sich beim MAI um einen "ersten Schritt zu einem weltweiten GATT (Welt-Freihandelsabkommen) für Investitionen", daß "als Modell für ein die Handelsregeln ergänzendes globales Investitionsabkommen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) gelten" kann. Damit sollen die weltweit über 350 Milliarden US-Dollar Direktinvestitionen pro Jahr gefördert und geschützt werden.

Entgegen einer früheren Äußerung aus dem Bundeswirtschaftsministerium, daß es legitim sei, "den normalen Bürger nicht zu fragen, unter welchen Rahmenbedingungen ein Unternehmen im Ausland investieren kann", ist die Bundesregierung der Meinung, daß "es den international üblichen Gepflogenheiten (entspricht), bloße Arbeitsentwürfe wegen ihres vorläufigen Charakter grundsätzlich nicht zu veröffentlichen". Auf Anfrage will sie aber über den Stand der aktuellen Verhandlungen (vermutlich sehr zurückhaltend ) informieren.

An den Verhandlungen sind derzeit 29 OECD-Mitgliedsstaaten sowie die EU beteiligt, die über 70 Prozent der Investitionen und 72 Prozent des Welthandels auf sich vereinigen. Der OECD-Ministerrat will dieser Tage die Verhandlungen abschließen. Strittig zwischen den USA und der EU ist allerdings noch, ob "ein verbindliches Verbot von extraterritorialen Boykottmaßnahmen (z. B. ,Helms/Burton’ – Sanktionsgesetzgebung der USA gegen Kuba und jeden seiner Handelspartner) enthalten sein soll".

Mit dem MAI-Abkommen werden den weltweit operierenden Konzernen völkerrechtlich wirksame Grundlagen geschaffen, die sie weitgehend von nationalen Rechtsnormen unabhängig machen sollen. Das MAI erweitert und vertieft "die Verfassung einer einheitlichen Weltwirtschaftsordnung" der WTO, legt das Recht auf wirtschaftliche Einmischung fest, indem es z. B. Nationalisierungs- und/oder Abwehrmaßnahmen verbietet. So soll u. a. festgelegt werden, daß die Konzerne gegen Sanktionsmaßnahmen von Regierungen geschützt werden, die gegen sie wegen Tätigkeiten gerichtet sein können, mit denen sie gegen Standards für Arbeit, Umweltschutz und Menschenrechte in anderen Ländern verstoßen. Die Souveränitätsrechte unabhängiger Nationalstaaten werden einmal mehr ausgehöhlt. Die von der Wirtschaft und den Politikern verbreiteten Erklärungen für den eigenen Niedergang gipfeln stets in einem Hinweis auf die Globalisierung. Internet, niedrige Transportkosten und grenzenloser Freihandel lassen die ganze Welt zu einem einzigen Markt verschmelzen. Dies schafft harte globale Konkurrenz auf den Absatz- und Arbeitsmärkten. Die Jobverluste durch die transnationalen Verflechtungen sind bedrohlich. Noch schwerer wiegt aber, daß die alten Gegenstrategien der nationalen Sozial- und Wirtschaftspolitik ausgehebelt werden.

Deutsche Unternehmen schaffen neue Arbeitsplätze nur noch im billigeren Ausland. Die Führungsriege der Republik kennt nur noch eine Antwort: Anpassung nach unten. Die Verteidiger des Sozialstaates kämpfen auf verlorenem Posten. Und wo bleibt die gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmen gegenüber ihren nationalen Gesellschaften? Per Saldo schaffen Deutschlands Konzerne im Ausland kaum zusätzliche Jobs, sondern kaufen zumeist nur dortige Unternehmen, um anschließend die Belegschaft auszudünnen und regionale Märkte zu versorgen. Gleichzeitig aber bauen sie entsprechende Arbeitsplätze im eigenen Land ab.

Manager sind gezwungen, sachlich und international zu denken und zu handeln. Dies gelingt auf Dauer nur jemandem, der auch so empfindet und danach lebt. "Die Globalisierung führt zu einem Tempo des Strukturwandels, der von immer mehr Menschen nicht verkraftet wird", bemerkt Tyll Necker, der langjährige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Eine seriöse Diskussion der Auswirkungen der Globalisierung ist längst überfällig. Die gegenwärtige Dynamik überfordert offenbar alle – keineswegs nur die einfachen Wähler, sondern auch die vermeintlich so verwundbaren Global Player.

Wie aber sollen die Menschen solche Wandlungsprozesse mit- bzw. nachvollziehen können, wenn sie durch eine "absolutistische globale Geheimdiplomatie" von den Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen ausgeschlossen werden? Kompetenz und geistige Unabhängigkeit reichen eben nicht als Berechtigung zum Handeln. Es bedarf in demokratisch aufgebauten Gesellschaften der Zustimmung der Völker. Der moderne Tanz ums "Goldene Kalb" manifestiert sich dabei in einer vielschichtigen Umverteilungspolitik, d. h. der materielle Kampf aller gegen alle wird bestimmt durch das Verlangen, einen möglichst großen Anteil von dem Wohlstandskuchen mit möglichst geringem Leistungsanteil zu erobern.

Eine entscheidende offene Frage ist, ob die globale Zukunft, so sie denn eine unaufhaltsame Entwicklung ist, ein globaler liberalistischer Kapitalismus oder eine globale soziale Marktwirtschaft sein wird? Getrieben und getragen wird die Globalisierung derzeit vom "Globalen Kapitalismus". Aber schon regen sich die linken sozialistischen Kräfte, die eine Befriedigung der sozialen Komponenten einklagen, natürlich mit Forderungen nach dirigistischen gesellschaftlichen/staatlichen Regulierungen. In Sorge um die sozialen Standards in der Welt sind ihnen die zunehmenden Deregulierungsmaßnahmen ein Dorn im Auge.

Die zweite entscheidende offene Frage ist, ob die globale Zukunft einem schrankenlosen internationalistischen Konzept folgt, welches jede nationalstaatliche Souveränität aushöhlt und letztlich in einer "Eine-Welt-Regierung" endet, oder ob es eine, die nationalen Belange berücksichtigende Entwicklung gibt, die sich organisch und schrittweise entfaltet.

Bei der globalen Betrachtung der wirtschaftlichen Zukunft spielt vor allem die Verschuldung der jeweiligen Wirtschaftsräume eine erhebliche Rolle. Wie wirkt sich aber der Globalisierungsprozeß in den Ländern aus, die Rekordsummen an Investitionen der multinationalen Konzerne und Banken aufnehmen? Die Antwort, die wir in diesen Tagen durch negative Schlagzeilen aus allen Teilen der Welt bekommen, zeigt eine zunehmende Abhängigkeit der Staaten von den internationalen Finanzorganisationen. Der Konkurs ganzer Staaten ist nicht mehr nur theoretisch denkbar, sondern kann praktisch eintreten.

Dann erscheinen die Vertreter des "Internationalen Währungsfonds" (IWF) und entwickeln ihre Strategien. Diese bestehen darin, daß ein überschuldetes Land angewiesen wird, seine Währung drastisch abzuwerten. Diese Abwertungen sollen die Exporte wettbewerbsfähig machen. Dann wird dem Schuldnerland auferlegt, die Gesetze zu liberalisieren, ausländische Eigner zuzulassen und den traditionellen staatlichen Sektor zu eliminieren, der für die Entwicklung eines Schwellenlandes von hoher Bedeutung ist. Ausländische Konzerne können nach der erzwungenen Abwertung der Währungen und Öffnung der Märkte einheimische Betriebe in Ostasien oft zum Spottpreis erwerben.

Es ist nicht überzogen, wenn man feststellt, daß das "Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen" (GATT) bzw. in dessen Nachfol- ge die "Welthandelsorganisation" (WTO), der "Internationale Währungsfond" (IWF) und die Weltbank als "institutionelle Brechstangen" arbeiten, um die Globalisierung voranzutreiben. Dies geschieht weitgehend hinter verschlossenen Türen unter Führung ihrer keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegenden Generaldirektoren und deren Stäbe, ganz im Sinne einer Geheimdiplomatie, die nach dem Selbstverständnis der Vereinten Nationen (UNO) eigentlich längst überwunden sein sollte.

 
     
     
 
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