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Mit der provokativen Frag "Hat Marx doch recht?" übertitelte Michael Rutz, Autor im "Rheinischen Merkur", Anfang Dezembe vergangenen Jahres einen Beitrag, der sich mit der jüngsten Fusionswelle internationa agierender Großkonzerne beschäftigte. Marx und Engels, so Rutz, hätten schon vor 15 Jahren vorausgesagt, daß die "kosmopolitische Gestaltung" des Weltmarktes zu Entnational isierung der Industrien führe.
Daß damit eine Entfremdung der Menschen von ihren jeweiligen Wirtschafts- un Gesellschaftssystemen provoziert wird, die zu einer Beschädigung der prinzipiell freie Wirtschaft führt, sieht Rutz als wahrscheinlich an. Für seine Sichtweise spricht, da das Kapital heute über alle nationalen und politischen Grenzen hinweg mobil geworden ist Damit scheint sich die Marxsche These, daß sich die Kapitalzusammenballung letztlich vo allen territorialen und nationalen Besonderheiten befreien werde, eindrucksvoll bestätig worden zu sein.
In diesem Teil der Marxschen Analyse liegt wohl auch der Reiz begründet, der da Marxsche Werk derzeit auf New Yorker Investmentbanker ausübt. So antwortete de amerikanische Philosoph Michael Walzer im Rahmen eines Interviews für die "Stuttgarter Zeitung" auf die Frage, warum das Werk von Karl Marx ausgerechne unter Investmentbankern an der New Yorker Wall Street populär sei, daß da "Kommunistische Manifest die revolutionäre Kraft des Kapitalismus" feiere. E sei insbesondere der berühmte Satz, "daß der Kapitalismus die chinesische Mauern" einreiße, "daß er sich über die Welt ausbreite", de "gelesen und gefeiert" werde. Der andere Teil des Marxschen Werkes aber, s Walzer, in dem davon die Rede sei, daß der Kapitalismus seine "eigene Totengräber" hervorbringe, werde nicht geglaubt.
Viele, die heute auf die Marxsche Kapitalismuskritik schwören, sehen in den sich imme rascher vollziehenden Fusionierungen von Großunternehmen ein beredtes Zeugnis dafür daß der Kapitalismus in seine eigentliche Reifephase eingetreten ist. Sie berufen sic dabei auf jene Marx-These, die besagt, daß die Entwicklung der Produktivkräfte mit de globalen Ausweitung der Produktionskapazität einhergeht, die durch die Einführung vo technischen Innovationen vorangetrieben wird. Zur Erläuterung: Unter Produktivkräfte versteht Marx nicht nur Rohstoffe und natürliche Ressourcen, die im Produktionsproze verbraucht werden, sondern auch und gerade die in ihm stehenden Menschen mit ihre Arbeitskraft und ihren Fähigkeiten.
Der marxistische Philosoph Günther Anders hat in seinem berühmten Buch "Di Antiquiertheit des Menschen" durchdekliniert, welche Folgen die globale Entwicklun der Produktivkräfte zeitigen werden. Die technischen Innovationen verwandeln gemä Anders, zugespitzt gesagt, die ganze Erde in einen Planeten der Gleichzeitigkeit, auf de im gleichen Rhythmus produziert, konsumiert und gestorben werde. Aus der Sich Anders gibt es keine Instanz, die diese totale industrielle Mobilmachung einhege könnte. Die technische Entwicklung beschleunigt sich exponentiell, sie hat kein eingebaute Schranke. Zu ihren Kennzeichen gehört gemäß den Thesen des amerikanische Sozialwissenschaftlers Karl Polanyi die Herauslösung der Wirtschaft aus der Gesellschaft Die transnationalen Konzerne, um hier auf die angesprochenen Unternehmensfusione zurückzukommen, können als Katalysatoren jener Entwicklung gedeutet werden.
Diese globalisierte Wirtschaft greift aber nicht nur in alle möglichen geographische Richtungen aus, sondern dringt auch nach innen, das heißt in alle Bereiche de menschlichen Lebens. Der der neomarxistischen "Frankfurter Schule" verpflichtet Sozialphilosoph Jürgen Habermas hat diese Entwicklung, die mit einem dramatische Sinnverlust einhergeht, in seinem Werk "Theorie des kommunikativen Handelns" nicht unzutreffend als "Kolonisierung der Lebenswelten" beschrieben.
Günther Anders zählte diesen Prozeß zu den "Binnenrevolutionen" innerhal der dritten industriellen Revolution, die wir als "Globalisierung der Märkte" bezeichnen. Entsprechend der Marx-Definition der "Produktivkräfte" gehört zu Charakter der Entgrenzung der Wirtschaft, daß der Mensch seinesgleichen zunehmend als "Rohstoff" ge- oder verbraucht. Eine weitere Tendenz der dritten und letzte "industriellen Revolution" sei, so Anders, dadurch gekennzeichnet, daß die Arbeitsprozesse immer weiter automatisiert werden, so daß immer mehr Menschen objekti ökonomisch überflüssig werden. Zu ähnlichen Schlüssen sind die beiden Spiegel-Autore Hans-Peter Martin und Harald Schumann in ihrem Buch "Die Globalisierungsfalle" das den bezeichnenden Untertitel "Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand" trägt, gekommen. Sie prophezeien die Heraufkunft einer 20:80-Gesellschaft. Nur noch ei Fünftel der arbeitsfähigen Menschen auf der Welt werde in Zukunft benötigt, um die Schwungräder der "Globalisierung" am Laufen zu halten. 80 Prozent würden mi Billigjobs und elektronischer Unterhaltung bei Laune gehalten werden müssen, damit si nicht auf dumme Gedanken kommen.
Günther Anders war hinsichtlich dieser Strategie allerdings pessimistisch. E schreibt, daß für eine große Zahl von Menschen "eine Existenz ohne Arbeit die Hölle sein" werde, "da die Freizeit nicht mehr als das ,eigentliche Lebe gelten wird, sondern als leere Zeit, als nicht zu bewältigender Zeitbrei, als sinnlose Herumvegetieren und als solche wird sie verhaßt sein".
Keine Frage: Sowohl Anders als auch die Spiegel-Autoren präsentieren hier ein Aktualisierung der Marxschen Verelendungstheorie. Nach Marx gehen die Konzentrationsprozesse des Kapitals, nennen wir sie ruhig Fusionen, und die Verelendun der "Arbeiterklasse" Hand in Hand. Diese Gemengelage führt seiner Ansicht nac zwingend zur Krise beziehungsweise zum Zusammenbruch des Kapitalismus. Dabei spielen fü Marx vor allem zwei Faktoren eine Rolle: Einmal habe das Kapital infolge eintretende Marktsättigung keinen Anreiz mehr zu erneuten Investitionen. Es komme daher zu Firmenzusammenbrüchen großen Stils. Auf der anderen Seite versteife sich der Widerstan der "verelendeten Massen" gegen die "kapitalbesitzende Klasse" ("Bourgeoisie"). Es komme vor dem Hintergrund der Marxschen Behauptung, daß die Geschichte immer eine Geschichte von Klassenkämpfen gewesen sei, zum offenen Kampf, de die "verelendeten Massen" ("das Proletariat") à la lounge für sic entscheiden würden. Die Verelendung, von der Marx sprach, kann, das legen Günther Ander und die Spiegel-Autoren nahe, auch dann Verelendung genannt werden, wenn diese nicht meh existenzbedrohende, sondern in den modernen Industriegesellschaften vor allem seelisch Folgen hat.
Es gibt inzwischen eine Reihe von Autoren aus dem linken Spektrum, die das Szenario de Marxschen "Verelendungstheorie" vor dem Hintergrund der Transnationalisierun der Wirtschaft als analytisches Instrumentarium in Anschlag bringen, um die Unmenschlichkeit des entgrenzten Kapitalismus aufzuweisen. Beispielhaft hierfür ist da Buch "Wohlstand für niemand?" des Sozialwissenschaftlers Horst Afheldt. Afheld stellt zunächst fest, daß es in der Dynamik des globalen Freihandels liege, direkte un indirekte Handelshemmnisse zu beseitigen. Innerhalb Deutschlands und der EU geschehe die durch Deregulierung. "Nach außen dient GATT", so Afheldt, "also der Abba der Zölle, diesem Zweck". Da trotz des Wachstums einiger Volkswirtschaften die Nachfrage nach Arbeitskräften durch die fortschreitende Rationalisierung nicht zunehme wird, werde das Angebot an menschlicher Arbeitskraft "unendlich groß" und dami "billig wie Dreck". Daß der Sozialstaat deutscher Prägung unter diese Bedingungen nicht mehr haltbar ist, versteht sich von selbst. Letztlich führt dies Entwicklung aus der Sicht Afheldts zur Erschütterung der Demokratie, da die Akzeptan für die marktwirtschaftliche Ordnung immer weiter schwinde. Afheldt prognostizier deshalb eine "soziale Katastrophe". Hier finden sich alle Zutaten de marxistischen Zusammenbruchstheorie in scheinbar wissenschaftlichem Gewand. Was davon zu halten ist, soll uns weiter unten beschäftigen.
Übereinstimmung herrscht unter vielen linken Kritikern der Globalisierung darüber daß die Transnationalisierung von Ökonomie und Kommunikationsnetzen die substantiell Basis des Nationalstaates untergraben hat. Der Sozialwissenschaftler Rolf Kniepe schreibt, daß der einzige Produktionsfaktor, dem grenzenlose Mobilität noch verwehr sei, die Arbeitskraft sei. Knieper wörtlich: "Ich meine also tatsächlich ... daß erst jetzt das Kapital zu sich selbst kommt, gegenüber nationale Besonderheiten ... gleichgültig und seiner inneren Logik entsprechend auf de weltweiten Suche nach Rentabilität." Dem Staat weist Knieper die Aufgabe zu, fü die "allgemeinen Produktionsbedingungen" zu sorgen, die für die Gesellschaf von Interesse sind, von den Privatunternehmen jedoch nicht hergestellt werden. Fü Knieper sind die allgemeinen Produktionsbedingungen in der globalen Ökonomi "identitätslos". Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik seie "hochuniformisiert und standardisiert". "Territoriale Grenzen" spielten für "Investitionsentscheidungen eine bereits jetzt vergleichsweise minimal und rasant abnehmende Rolle". Die Thesen des deutschen Ökonomen Friedrich List, de davon überzeugt war, daß "produktive Kräfte" innerhalb vo territorialstaatlich abgegrenzten Wirtschaftsräumen entwickelt werden, hält Kniepe angesichts der Mobilität von Unternehmen und Kapital für überholt. Aufgabenfelder fü politische Regulierungen sieht Knieper nur noch auf globaler Ebene bei nachrangige ordnungspolitischen Problemen.
Kommen wir zu einem ersten Fazit: In vielen Punkten verschränkt sich die linke marxistisch inspirierte Kritik am Prozeß der "Globalisierung" mit der Kritik die im "rechten Spektrum" am Prozeß der "Globalisierung" geübt wird Hier steht die Befürchtung, daß der Nationalstaat allmählich aufgelöst wird, um eine uniformen "Weltgesellschaft" Platz zu machen, im Vordergrund.
In der Tat gibt es Tendenzen, die dieser Befürchtung Nahrung geben. So stell beispielsweise der jeder ideologischen Festlegung unverdächtige Ulmer Zukunftsforsche Franz Josef Radermacher fest, daß sich jede nationale Politik letztlich den wesentliche Wirkungsfaktoren einer weltweiten Wirtschaft unterwerfen müsse. "Erst eine heut noch nicht erkennbare, weltweite politische Struktur würde es erlauben, das Primat de Politik, die dann notwendigerweise eine globale Politik wäre, wieder gegenüber de Wirtschaft durchzusetzen." Weiter verweist Radermacher und hier werden sic die marxistischen Kritiker bestätigt fühlen auf eine Studie des Massachusett Institute of Technology, die besagt, daß bis zum Jahr 2010 potentiell 80 Prozent alle Arbeitsplätze der G7-Staaten weltweit ausgelagert werden können. Radermacher stell fest, daß dieser Prozeß fast zwangsläufig dazu führe, "daß wir in eine imme weitergehende De-Industrialisierung der Industrienationen hineingeraten", was daz führe, "daß diejenigen Firmen, die besonders schnell Mitarbeiter entlassen" die "größten Gewinne haben und an der Börse die beste Bewertung finden". Wi alle seien "Gefangene der bestehenden Situation", deren "Spielregeln" im wesentlichen durch die offenen Märkte, durch die Regelwerke von GATT/WTO in ihre heutigen Form und durch den Fortschritt aller Technologiebereiche bestimmt würden.
Die Analysen der hier vorgestellten Autoren laufen fast alle auf die Erwartung hinaus daß die "Globalisierung" fast zwangsläufig in eine globale Krise, in ein "soziale Katastrophe" mündet. Träfen ihre Erwartungen zu, müßte man in de Tat von einer nicht wegzudiskutierenden Aktualität des Marxschen Werkes reden Beschreiben die Behauptungen und Schlußfolgerungen der Autoren, die hier vorgestell wurden, aber das, was mit "Globalisierung" beschrieben wird, überhaup zutreffend? Oder dient ihnen das globale Ausgreifen der Ökonomie nur als Aufhänger, u ganz andere Interessen ins Spiel zu bringen? Es muß befremden, daß sich bei diese hochkomplexen Thema zunehmend Autoren gemüßigt fühlen, das Wort zu ergreifen, dere Kenntnisse der Materie als eher zweifelhaft angesehen werden müssen. Es sei hier nur au die französische Schriftstellerin Vivienne Forrestier verwiesen, die mit ihrem Buch übe den "Terror der Ökonomie" erstaunlicherweise einen Bestseller landete. Welche Wert die Bedenken à la Forrestier, aber auch die anderen hier vorgetragenen Analyse haben, wird Gegenstand des zweiten Teiles dieser Betrachtungen sein.
Einer der zentralen Vorwürfe die im ersten Teil dieser B trachtung von seiten der Kritiker des Prozesses der "Globalisierung" erhobe wird, lautet, daß die "kosmopolitische Gestaltung" des Weltmarkte zwangsläufig auf eine "Entnationalisierung" der Industrien hinauslaufe. Die Frage, die sich unmittelbar an diese Behauptung anschließt, dreht sich infolgedesse darum, ob es vor diesem Hintergrund überhaupt noch Spielräume für eine aktive national Wirtschaftspolitik gibt und ob territoriale Grenzen wie die von Nationen noch ein Bedeutung für wirtschaftliche Entwicklungen haben.
Linke und rechte Kritiker der "Globalisierung" sind sich mehr oder weniger einig, daß die Handlungsmöglichkeiten de Nationalstaats durch die Internationalisierung der Wirtschaft erheblich beschnitten, wen nicht aufgehoben werden. Es wird beispielsweise darauf verwiesen, daß die national Geldpolitik bis weit in die siebziger Jahre hinein die Höhe des für ausländisch Kapitalanleger wesentlichen Zinsniveaus eigenständig bestimmen konnte. Zugleich konnt über die staatliche Fiskalpolitik die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in bestimmte Grenzen beeinflußt werden. Beide Instrumente, die auf die Thesen de Wirtschaftswissenschaftlers John Maynard Keynes zurückgehen, erlaubten den nationale Regierungen eine beachtliche Einflußnahme auf das gesamtwirtschaftliche Niveau vo Angebot und Nachfrage.
Mit der fortschreitenden Internationalisierung der Finanzmärkte hat sich die Situatio grundlegend verändert, weil die Zinsen für die nationale Politik extern vorgegebe werden. Die nationale Zinssouveränität ist also als Mittel der Konjunktursteuerun verlorengegangen. Die Folge: Mit Investitionen von privater Seite kann nur noch dan gerechnet werden, wenn die zu erwartende Rendite das Realzinsniveau au den internationalen Kapitalmärkten übersteigt. Darüber hinaus sind aber auch de staatlichen Fiskalpolitik, wenn sie über eine höhere Staatsverschuldung finanziert wird die höhere Zinsen beziehungsweise höhere Steuerbelastungen für die Unternehmen nac sich zieht, enge Grenzen gesetzt.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum auf nationaler Ebene im zunehmenden Maß versucht wird, auf Löhne und Arbeitskosten Einfluß zu nehmen. Nur auf diesen Felder besteht nach Auffassung vieler Politiker noch ein gewisser Einfluß. Löhne un Arbeitskosten wachsen vor dem Hintergrund dieser Wahrnehmung zur entscheidenden Größe in Wettbewerb mit den Produktionsstandorten heran. So befürchtet der Politologe Frit Scharf, daß die im Zuge der "Globalisierung" entstandenen politische Sachzwänge leicht einen ruinösen Wettbewerb mit desaströsen ökologischen und soziale Folgen auslöse könnten.
Ähnlich argumentiert der katholische Sozialethiker Friedhelm Hengsbach SJ, der darau verweist, daß die Philosophin Hannah Arendt bereits vor fünfzig Jahren angekündig habe, daß der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgehen würde. Heute seien es Autoren wi Jeremy Rifkin, Ulrich Beck, André Gorz oder Ralf Dahrendorf, die bezweifelten, da "wir im nächsten Jahrhundert noch arbeitende Menschen brauchen". Hengsbac verweist im weiteren auf die von dem ehemaligen Arbeitsminister der Clinton-Regierung Robert Reich, ins Spiel gebrachten "symbolic analysts", die dieser zu de Gewinnern der "Globalisierung" zählt. Hengsbach erklärt: "Eine klein Elite qualifizierter, hoch entlohnter Wissensarbeiter reiche aus, um die Bevölkerung mi den nachgefragten Gütern zu versorgen." Die Mehrheit müsse "einfache un niedrig entlohnte Dienste" entrichten. Als Drahtzieher dieser Entwicklung verorte Hengsbach in auffälliger Nähe zu den marxistisch inspirierten Kritiker "Kapitaleigner und Manager". Den "politischen Entscheidungsträgern" hält er "Versagen" vor, weil sie auf eine Zusammenarbeit in der Finanz-, Geld und Tarifpolitik verzichteten.
Hengsbachs Zauberformel lautet: "Güterpreise, Löhne, Zinsen und Wechselkurs lassen sich nur im Rahmen einer gesamtgesellschaftlichen Kooperation ... aufeinande abstimmen." Und weiter: "Würde dabei die Hierarchie der Märkte, nämlich de Vorrang der Finanzmärkte vor den Gütermärkten und der Gütermärkte vor de Arbeitsmärkten beachtet, wäre Vollbeschäftigung kein fahrlässiges Verspreche mehr." Noch schärfer äußert sich der katholische Sozialethiker Ernst Leuninger der dem Wirtschaftsliberalismus vorhält, "versagt" zu haben. Apodiktisch stell Leuninger fest, daß die "Umverteilung von heute", worunter er die Umverteilun von unten nach oben versteht, "ins Chaos" führe.
Die im ersten Teil angeführten marxistisch inspirierten Kritiker stehen also in ihre Kritik keineswegs alleine, wenn sie das prophezeien, was die Französin Viviane Forreste instinktlos als "Holocaust der Erwerbslosen" bezeichnete. Was von der These zu halten ist, daß uns "das Chaos" drohe, soll im folgenden untersucht werden.
Schaut man auf die Diskussionslinien der Standortdebatte, wird immer wieder auf die Behauptung abgehoben, daß in Deutschland zunehmend Arbeitsplätze den Importen au Niedriglohnländern zum Opfer fielen, während es in den Exportbranchen immer schwere werde, Erzeugnisse in diese Länder abzusetzen. Diese Behauptung ist, trotz ihre ständigen Wiederholung, unzutreffend.
Von 1985 bis 1994 stiegen sowohl die Exporte nach als auch die Importe au Südostasien, Süd- und Osteuropa wesentlich rascher als der Handel mit dem Rest der Welt Deutschland konnte in den vergangenen zehn Jahren nicht nur seinen Marktanteil in diese Ländern ausbauen, sondern auch die Handelsbilanz mit den genannten Wirtschaftsräume annähernd ausgeglichen gestalten. Ludger Lindlar vom Deutschen Institut fü Wirtschaftsforschung (DIW) stellte beispielsweise fest, daß "zwar durch die rasc wachsende Niedriglohnkonkurrenz die unteren Schichten arbeitsintensiver Produktione weggerieben" worden seien, im gleichen Maße aber neue Exportmöglichkeiten in "humankapital- und technologieintensiven Branchen" entstanden seien. Die deutsche Wirtschaft konnte in Südostasien insbesondere Zuwächse bei Straßenfahrzeugen Elektrotechnik, Hütten- und Walzechnik sowie sonstigen Maschinenbauerzeugnisse verzeichnen. Ähnliches gilt für Osteuropa.
Lindlar verweist weiter darauf, daß dieser Befund eine der älteste wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse bestätige: das Prinzip der komparative Kosten- und Produktionsvorteile nämlich. Dieses Prinzip besagt, daß jedes Land unabhängig von seinem absoluten Kostenniveau, diejenigen Güter exportiert, die es in Vergleich zu anderen Staaten am billigsten herstellen kann. Indem sich die Länder auf die Produktion solcher Güter einstellen, steigen die Realeinkommen aller am Hande beteiligten Länder. Die scheinbar so einfache wie bestechende Meinung, daß die Konkurrenz aus den Billiglohnländern zur "De-Industrialisierung de Industriestaaten" führe, ist bei näherem Hinsehen in dieser Ausschließlichkei also nicht aufrechtzuerhalten. Es entstehen allerdings Kosten des Strukturwandels, die insbesondere in denjenigen Bereichen anfallen, die nicht mehr wettbewerbsfähig sind.
Dieser Strukturwandel verursacht insbesondere in Deutschland große Probleme, weil nac einem Wort des Tübinger Wirtschaftswissenschaftlers Adolf Wagner in Deutschland "di Bevölkerungsentwicklung der Wirtschaftsentwicklung davongelaufen" sei. Wagner ha hier insbesondere die Massenzuwanderung nach Deutschland und ihre wirtschaftliche Auswirkungen im Auge. Seiner Ansicht nach wird nicht einmal die Hälfte des Anstiegs de Erwerbspersonenzahl durch das gesamtwirtschaftliche Wachstum absorbiert werden.
Wagner stellte weiter fest, daß Deutschland "ohne den Bevölkerungszuwachs in Westen heute vor zwei Millionen freier Stellen" stünde. Die Autore Blattner Schwarz und Sheldon stellten bereits 1985 in einer Studie fest, daß die "Strategi der internationalen Migration volkswirtschaftlich problematisch" sei. Warum, da beschrieb der Tübinger Wirtschaftswissenschaftler Kurz: "Das neoklassisch Wachstumsmodell führt insgesamt zu einer optimistischen Beurteilung der Folgen eine stagnierenden oder schrumpfenden Bevölkerung. Die realisierbaren Wachstumsraten gehe zwar allmählich zurück und werden bei kräftigen Schrumpfungsraten schließlich sogar negativ. Der individuelle Wohlstand (das Pro-Kopf-Einkommen) wird abe steigen."
Mit dieser Aussage werden alle Argumente hinfällig, die in weiteren Zuwanderungen, als Ersatz für das "deutsche Geburtendefizit", eine ökonomische Notwendigkei erblicken. Das pure Gegenteil ist der Fall. Denn, so stellte de Bevölkerungswissenschaftler Jahnke 1990 in einer Studie fest: Bei wachsender Bevölkerun durch Zuwanderung wird eine steigende Zahl von Arbeitslosen von einem Rückgang de Kapitalintensität, der Produktivität und der Löhne begleitet. Damit ist gesagt, da ein wesentlicher Grund für die Beschäftigungsproblematik in Deutschland hausgemacht ist Da dieser Grund insbesondere im linken politischen Spektrum aus ideologischen Gründe geleugnet wird, wird über die Denunzierung der "Globalisierung" als "inhuman" von den eigentlichen Ursachen für die hohe Zahl der Arbeitslose beziehungsweise Sozialhilfeempfänger abgelenkt. |
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