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Kartenhaus Europa

 
     
 
Wo sonst Verfassungen vorbereitet und Vereinigungen in Angriff genommen wurden in der Geschichte, da umweht das Ganze ein Hauch von Größe und Begeisterung. Nichts davon beim EU-Gipfel in Rom. Nicht einmal die unverbesserlichen Schönredner vermochten es zu kaschieren: Dieses Europa ist nicht mehr als ein Basar um Macht, um persönliche Eitelkeiten und nationale Egoismen sowie - um Geld, das man einander abjagen will.

Schon die Vorzeichen warfen ein schales Licht auf den Gipfel: Polens Präsident hatte bei seinem Besuch eine Woche zuvor in Madrid munter drauflos gestichelt, Warschau werde, wenn es erst einmal in der EU ist (ab 1. Mai), sofort mit den Spaniern um Subventionen wetteifern. Dem spanischen König blieb es überlassen, diese wenig diplomatisch
en Worte später in Watte zu packen. Schließlich sollte man sich nicht gleich zerstreiten, wo Spanien und Polen doch in einem anderen Punkt unbedingt gemeinsam auftreten wollen: Obwohl sie nicht einmal zusammen soviel Einwohner haben wie Deutschland, fordern sie im EU-Rat jeweils beinahe genauso viele Stimmen wie Berlin (27, Deutschland: 29). Jetzt wird darüber spekuliert, wie hoch sich der spanische Premier Aznar ein Nachgeben in dieser Frage bezahlen lassen will. Polen hat sich für "nicht käuflich" erklärt. Die stolze Geste verfliegt beim zweiten Hinsehen: Bereits bei den Beitrittsverhandlungen hatten unsere östlichen Nachbarn dem damals dänischen Ratspräsidenten Rasmussen stattliche Sondermilliarden abgerungen.

In dieser Manier geht es weiter. Europa entsteht nach den Regeln des Pferdemarkts. Das Ergebnis ist ein undurchschaubares Knäuel von "Kompromissen" und Bestechungen, in dem Vernunft wie Gerechtigkeit auf der Strecke bleiben. Die Vernunft hätte es geboten, die wachsenden inneren Widersprüche und Fehlentwicklungen der bisherigen EU spätestens vor dem gewaltigen Sprung zur Erweiterung aus der Welt zu schaffen. Die Subventionspraxis mit all ihren Agrar-, Struktur- und Kohäsionsfonds trägt jetzt schon immer absurdere Züge. Statt hier gründlich zu durchforsten, wird dieses aus dem Ruder gelaufene System nun auf einen Koloß von 25 Ländern ausgewalzt. Wer glaubt ernsthaft, daß das gutgehen kann?

Und die Gerechtigkeit? Von ihr war in Rom kaum mehr die Rede. Deutschland hat 99 Mandate im EU-Parlament. Das bedeutet: Auf 830.000 Bewohner kommt ein Abgeordneter. Luxemburg hat sechs Mandate, hier haben also nur knapp 67.000 Bewohner jweiles einen eigen EU-Parlamentarierer. Das heißt, die Stimme eines Luxemburgers wiegt mehr als zwölfmal soviel wie die eines Deutschen. Demokratie? Im südlichen Afrika hatten Weiße vorgeschlagen, ihnen als rassischer Minderheit pro Kopf mehr Stimmengewicht zu geben als der schwarzen Mehrheit, um insgesamt in ein "Gleichgewicht" zu kommen. Mit dem Kampfruf "one man - one vote" (ein Mensch - eine Stimme) wurde dieses Ansinnen als zutiefst rassistisch vom Tisch gefegt. In Europa nennt sich diese Praxis indes "degressiv proportionale Stimmenverteilung" und geht in Ordnung. Wohl gemerkt: Das Stimmenverhältnis Deutsche-Luxemburger auf innderdeutsche Verhältnisse umgemünzt hieße, daß die eine Million Saarländer im Reichstag genauso viele Vertreter hätten wie die zwölf Millionen Bayern.

Vollends jenseits der demokratischen Regeln wird sich die Einführung der EU-Verfassung bewegen. Die Deutschen werden sowieso nicht gefragt. Da sind sich alle Berliner Politiker einig. Schon das Grundgesetz haben sie ohne Volk fabriziert. Doch selbst in Frankreich wachsen die Befürchtungen, die Wähler könnten am Ende Nein sagen, weshalb auch hier hinter den Kulissen nach Möglichkeiten gesucht wird, einen Volksentscheid zu vermeiden - was indes weit schwieriger sein dürfte als im Falle der lammfrommen Deutschen.

Eine wesentliche Gefahr für das künftige Europa besteht überdies darin, daß der bisherige Zahlmeister Deutschland am Rande seiner Möglichkeiten angelangt ist, obschon wir immer noch 25 Prozent des Nettohaushalts tragen und damit Länder wie Irland und Spanien subventionieren, die uns stolz ihre gesunden Haushalts- und Wachstumsdaten vorhalten.

Doch gemeinsam mit Frankreich und vermutlich auch Italien wird Deutschland im kommenden Jahr abermals kräftig gegen den Euro-Stabilitätspakt verstoßen. Dies droht langsam zu einer Gefahr für die Gemeinschaftswährung zu werden. Der Focus spekuliert bereits offen über ein mögliches Auseinanderbrechen der Währung.

Und die EU an sich? Ist sie wirklich für alle Zeiten fest und sicher, egal, was ihre Politiker aufführen? Unverkennbar ist: Neumitglieder wie Spanien (1986) oder Polen (2004) sehen in der Union vor allem ein Geschäft. Sie soll für sie auf Kosten anderer etwas abwerfen. Was, wenn diese Rechnung auf einmal nicht mehr aufgeht? Dann erst, und nicht schon beim nächsten Gipfel im Dezember, schlägt die Stunde der Wahrheit. Dann werden wir erleben, was es mit der "großen Idee Europa" wirklich auf sich hat. Sein wir tapfer.

Noch sind sie Partner: Spaniens Premier Jose Maria Aznar und Polens Präsident Aleksander Kwasniewski sind zur Zeit noch in ihrem Kampf gegen eine übermächtige Stimmgewalt der Giganten Deutschland und Frankreich vereint. Ist Polen jedoch Mitglied in der EU, wird vor allem Spanien auf einige seiner Subventionen zugunsten des neuen Partners verzichten müssen. Der von polnischer Seite schon angekündigte Wettkampf um die Fördergelder wird der Freundschaft nicht zuträglich sein.
Foto: AFP

Großer Festakt: Bundeskanzler Gerhard Schröder (l.) und der ägyptische Staatspräsident Husni Mubarak eröffneten am 5. Oktober in Kairo die "Deutsche Universität Kairo GUC" (German University in Cairo). Es ist die erste deutsche Uni im Ausland.
 
     
     
 
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