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Es wird zunehmend schwieriger, die Beweggründe des Vandalismus zu begreifen, der sich in wohlorganisierter Form, vernetzt mit „friedlichen“ Demonstrationen als Tarn- und Schutzschild zugleich, austobt, wenn Institutionen wie etwa die Weltbank oder G 8-Gipfel sich mit globalen Themen befassen. Man kann darüber diskutieren, ob solche Mammut-Treffen der ideale Weg sind, zu nachhaltigen und guten Lösungen anstehender Probleme zu gelangen.
Brennen de Autos, eingeschlagene Fenster unbeteiligter oder von den Leitstellen militanter Berufs-Demonstranten stigmatisierter Unternehmen dürften aber ebenso wie provozierte Prügeleien mit der Polizei der - zweifellos kontraproduktivste - „Lösungsbeitrag“ sein. Auch das totale Nein zu allen Bemühungen demokratisch gewählter Regierungen, in Abwägung der Chancen und Risiken einer fortschreitenden Globalisierung stabilisierende politische Rahmenbedingungen zu finden, kann angesichts des Fehlens überzeugender Alternativen aus dem Lager der Globalisierungsgegner nicht beeindrucken. Oder wollen die hinter den Krawallen stehenden Kräfte zurück zur Autarkie, weg vom freien Welthandel hin zur nationalen Kontrolle aller grenzüberschreitenden Bewegungen von Waren und Kapital, vielleicht auch von Menschen und Meinungen?
Reaktionärer, rückschrittlicher und nebenbei auch preistreibender ginge es wohl kaum. Aber das ist den Berufsdemonstranten offenbar völlig egal. Nicht ausschließen läßt sich als Beweggrund für die Gewalt-Komponente der Protestler die Absicht, medial wirksame Ansatzpunkte zu finden für Kritik am demokratischen Staat, speziell der für den Schutz der öffentlichen Ordnung, des Eigentums und der Sicherheit zuständigen Organe wie der Polizei.
Genua und Göteborg, wie vorher schon andere Anlässe, liefern erneut den Beweis. 1968 feiert qualmende Urständ. Und die Medien befassen sich überwiegend mit echten oder vermeintlichen Fehlern der Ord- nungshüter zu Lasten einer tiefergehenden Beschäftigung mit den Motiven der Krawaller und zu Lasten sachlicher Diskussion über Chancen und Risiken der Globalisierung. Für das Allgemeinwohl wäre es sehr viel dienlicher, sich mit Tendenzen auseinanderzusetzen, die schon seit langem in etlichen (wenn auch nicht allen) Großkonzernen bestehen, Arbeitsplätze aus Gründen reiner Gewinnmaximierung zu streichen. Dabei sind nicht selten - auch, aber nicht nur - als Folge von Fusionen Qualitätsminderungen zum Nachteil der Kunden/Verbraucher feststellbar. Auch im Dienstleistungsbereich mangelt es an solchen Beispielen nicht. Überforderung des reduzierten Personals, speziell in den unteren Rängen, ist hier ein viel zu selten analysierter Aspekt - auch in seiner das Unfallrisiko steigernden „Nebenwirkung“.
Doch auch der wirtschaftskritischen veröffentlichten Meinung täte Selbstkritik wohl. Wenn z. B. Nestlé- und Cadbury-Schokolade moralisch anrüchig sein soll, weil beim Kakaoanbau Kinderarbeit üblich ist, dann wird der Wirtschaft eine Verantwortung zugeschoben, die man nun wirklich nicht bei den Käufern von Agrarprodukten aus den Entwicklungsländern festmachen kann. Die Entkolonialisierung liegt fast ein halbes Jahrhundert zurück. Wenn ein Teil der zu Eigenstaatlichkeit gelangten Entwicklungsländer noch immer zu den Armenhäusern der Welt zählt, so hat das viele Gründe. Einer mag in der unkontrollierten Gießkannen-Entwicklungshilfe liegen, ein anderer in den seltsamen Spielarten von „Demokratie“, die einer gedeihlichen Entwicklung von Wirtschaft und Lebensstandard immer noch im Wege stehen. Die Hilfe zur Selbsthilfe, die hier notwendig ist, dürfte die Möglichkeiten von Cadbury und Nestlé doch um einiges überfordern. Auch die häufig laut werdende Forderung nach Einstellung jeglicher Wirtschaftstätigkeit in Ländern, wo Menschenrechte ständig verletzt werden, verlagert die Verantwortlich- keit für wirksame Maßnahmen zu deren Einhaltung willkürlich auf eine Instanz - die Wirtschaftsunternehmen -, während es doch der koordinierten und nachhaltigen Bemühungen aller Staaten, die sich menschenrechtlichen Wohlverhaltens rühmen können (wie viele sind es überhaupt?), im Verein mit Wirtschaft und Wissenschaft bedürfte, um auch die Menschenrechtsstandards zu „globalisieren“? Das werden „British Petroleum“ oder „Shell“ nicht alleine „wuppen“ können, und wenn „Greenpeace“ noch so drängt.
Die Chaoten von Seattle, Barcelona, Göteborg und Genua mögen glauben, in bester Absicht Rabatz zu machen. Aber auch dann müssen sie sich den Vorwurf gefallen lassen, als „simplificateurs terribles“ das Kind mit dem Bade auszuschütten. Mit „Zurück zur Natur“ und mit Panikmache sind die komplexen Zukunftsprobleme des XXI. Jahrhunderts nicht vom Tisch zu mogeln. Nur die vorurteilsfreie Analyse von Ursache und Wirkung öffnet den Weg zu sachbezogenen und nachhaltig wirksamen Lösungen. Wir müssen uns allerdings ernstlich fragen, ob eine Beliebigkeits- oder Spaßgesellschaft dazu noch in der Lage ist.
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