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Die älteren Deutschen kennen ihn noch recht gut, jenen Ende Januar 1945 in den Filmhäusern Berlins und anderswo gelaufenen Streifen "Kolberg", den der große Heinrich George verantwortete und in dem er auch die Hauptrolle des tapferen Bürgers Joachim Nettelbeck in faszinierender Form zu spielen wußte. Der historische Hintergrund in Gestalt erfolgreicher Abwehr einer massiven Umzingelung der Stadt durch Napoleons Truppen im Jahr 1807 war gleichsam eine Apotheose des NS-Reiches angesichts der unerbittlich vorwärtsstrebenden sowjetisch en Militärmaschinerie. Der Ausgang der Geschehnisse ist bekannt, auch der Fall des Ende März 1945 wieder eingeschlossenen Kolbergs.
Die Filmfachwelt beschrieb das Opus "Kolberg" immer wieder kritisch und verächtlich zugleich als typisches Propagandamachwerk der NS-Gewaltigen. Mag es auch in einem gewissen Sinne Berechtigung dafür geben, die zentrale Persönlichkeit in dem Streifen, der furchtlose Verteidiger Nettelbeck, bleibt letztendlich unantastbar und steht für die mithin wesentlichsten preußischen Tugenden: Bürgersinn und Mut.
Nettelbeck wurde am 20. September 1738 in eben jenem pommerschen Kolberg geboren. Den Sohn eines angesehenen Brauers und Branntweinbrenners reizte jedoch zunächst weniger das Leben auf dem Festland, vielmehr erlag er der Faszination der Seefahrerei, bei der er es bis zum Schiffskapitän brachte. Als junger Mensch hatte er noch, zusammen mit seinem Vater, die Verteidigung Kolbergs gegen die Russen während des Siebenjährigen Krieges miterlebt.
Er war ein selbstbewußter, bisweilen auch aufbrausender Charakter, der als Kapitän daran gewöhnt war, sich Disziplin und Achtung zu verschaffen. Als es dabei zu Differenzen kam, quittierte er kurzerhand den Dienst, kehrte nach Kolberg zurück und übernahm den elterlichen Betrieb. Es hätte sich indes nicht um Nettelbeck gehandelt, wäre er in seiner Heimatstadt nicht bald zu Ehren und hohem Ansehen aufgestiegen. Er war ein Patriot, Pommer und Preuße, der seine Mitbürger, um mit der heutigen Sprache zu sprechen, für den Staat zu motivieren wußte.
Die Zeit nahm ihren Lauf, Napoleon begab sich auf seinen Siegeszug auch gegen Preußen. Ende 1806 drang schließlich die Kunde nach Kolberg, daß Friedrich Wilhelm III. die Schlacht von Jena und Auerstedt verloren hatte und mit Königin Luise auf der Flucht nach Ostdeutschland sei. Magdeburg oder später Stettin fiel ohne nennenswerten Widerstand den vorrückenden Franzosen in die Hände, die Lage war verzweifelt. Solches dürfe in Kolberg nicht geschehen, schwor sich Nettelbeck, der inzwischen von den Bürgern zum Sprecher gegenüber dem Festungskommandanten bestimmt worden war. Oberst von Loucadou, der zunächst den Oberbefehl innehatte und im alten Sinne nur König und Offiziere gelten ließ, bekam sehr bald die Hartnäckigkeit Nettelbecks zu spüren. Der alte Seebär forderte bessere Verteidigungsstrategien als Sprecher der Bevölkerung, die ihr Schicksal mitbestimmen wollte. Es geschah dies lange vor den Steinschen Reformen und wurde zu einem richtungsweisenden Zusammenwirken zwischen Königtum, Armee und den bisherigen Untertanen. Und plötzlich war das Volk zur Stelle, wie ein Zeitgenosse sagte.
Im März 1807 schließlich schlossen die Franzosen Kolberg mit badischen und sächsischen Truppen ein. Der umtriebige Nettelbeck rief zur Verteidigung bis zum letzten Mann auf, setzte beim König die Abberufung des Obristen Loucadou durch und bewirkte die Einsetzung eines neuen Kommandanten – des damaligen Majors Neithardt von Gneisenau, des späteren preußischen Heeresreformers. Kolberg hielt trotz heftiger Beschießung und Sturmangriffen bis zum 2. Juli 1807 aus, als die Nachricht eintraf, daß der König mit Napoleon in Tilsit Frieden geschlossen hatte. Nettelbecks praktizierter Patriotismus hatte sich zusammen mit dem Genie Gneisenaus ganz im Sinne Ulrich von Huttens "Ich hab’s gewagt" glänzend bewährt. Aus der Kraft des Volkes war in vorbildlicher Weise für das Volk Wohl erwachsen. Nettelbeck starb 1824, nachdem er zuvor noch eine äußerst lesenswerte Lebensgeschichte verfaßt hatte. |
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