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Konservativer Nachwuchs

 
     
 
Kippt die deutsche Jugend nach rechtsaußen? So schien es, als nach den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt allenthalben vermeldet wurde, daß die DVU gerade bei den Erstwählern abgeräumt hatte. Eine Untersuchung der Freien Universität Berlin (FU) sollte nun wissenschaftlich fundiert aufklären, was wirklich los ist mit dem Nachwuchs. 1997 befragten drei Forscher insgesamt 6621 Berliner zwischen zwölf und 20 Jahren.

Dabei kam heraus, daß nicht eine linke oder rechte Gesinnung dominiert, sondern eine starkes Desinteresse
an Parteien überhaupt. Bei allen Befragten kam die CDU auf gerade mal 9,8 Prozent, die SPD auf 14,9, die Grünen auf 14,1, die FDP auf 1,2 und die PDS auf 7,7 Prozent.

Als rechtsaußen betrachtete Parteien wie Republikaner oder DVU würden nach einer Grafik zusammen auf etwa zwölf Prozent kommen, unter den Auszubildenden jedoch auf satte 18,8 Prozent, bei männlichen Ost-Berliner Azubis sogar auf 31,1 Prozent. Dominieren tun jedoch diejenigen, die gar nicht wissen, was sie wählen würden.

Linksorientierte Medienmacher und Politiker begleiten rechte politische Einstellungen bei Jugendlichen meist mit völligem Unverständnis. Vor allem: Sie akzeptieren die Meinung der Jungen nicht als deren legitime politische Position. Dabei waren es doch gerade die heute 50jährigen, die einst im Mai ’68 selbst gegen die politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen der Älteren revoltierten. Danach schien Jugend auf links abonniert zu sein, fast drei Jahrzehnte lang. Das lobte man dann wohlwollend als "kritische Protesthaltung". Auswüchse bis hin zu gewalttätigen Demonstrationen und Hausbesetzungen wurden toleriert, wenn nicht gar insgeheim gutgeheißen.

Jetzt aber, da eine wachsende Zahl Jugendlicher nach rechts tendiert, ist keine Rede mehr von "gerechtfertigtem Jugendprotest". Statt dessen geistern Wörter wie "Rattenfänger" und Begriffe aus dem Vokabular von Seuchenbekämpfern durchs Land.

Indessen sollte den Altachtundsechzigern doch klar sein, daß ihr gouvernantenhaftes Gehabe den rechten Protest geradezu herausfordern muß.

Wer heute als Jugendlicher den Staat provozieren will, kann dies nur noch von rechts tun, am besten von ganz rechts außen. Mit linken Symbolen und Parolen kann ein jeder heute durch die Straßen laufen, ohne irgendeine Aufmerksamkeit zu erzielen. "Schlimmstenfalls" wird er noch von der herbeigeeilten Presse ausgiebig gelobt. Von "rechts" aber genügt oft schon eine beiläufige Bemerkung, und die Spießer stieben auf, als sei man in einen Bienenkorb getreten.

Die Berliner Wissenschaftler haben selbst den Beweis geliefert, daß Jugendprotest heute rechts sein muß, wenn er treffen will. So werden Vorlieben für Linksradikale in der Untersuchung lediglich wertneutral vermerkt. Bei der Beurteilung der rechten Jugendlichen hingegen wird sogleich "Besorgnis" zum Ausdruck gebracht: "Es erscheint dringend geboten, mit Maßnahmen der präventiven Jugendhilfe, aber auch im Schulunterricht auf allen Ebenen korrigierend einzugreifen." So ähnlich dürfte das auch in 60er Jahren geklungen haben, als die "sexuelle Revolution" auf die Schulhöfe schwappte.

An eine Art "’68 von rechts" ist wohl dennoch kaum zu denken. Die Situation der heutigen Jugendlichen ist viel schwieriger als die ihrer Altersgenossen vor dreißig Jahren. Auch im Ostteil Berlins: Freiheit und Bürgerrechte sind zwar wichtig auch für die freie Entfaltung junger Menschen. Doch das Problem, sich jetzt selbständig im Leben einrichten zu müssen, macht den Einstieg nicht eben leichter. Am meisten Angst verbreitet bei den Jugendlichen denn auch die Arbeitslosigkeit in Deutschland.

Gerade darin unterscheiden sich die Jugendlichen in Ost- wie in West-Berlin von früheren Generationen. Nicht der Wunsch, gesicherte Strukturen aufzubrechen, treibt sie an. Im Gegenteil, viele wären froh, wenn sie jetzt schon wüßten, welcher Arbeit sie in zwanzig oder dreißig Jahren nachgehen werden. Der "Job fürs Leben", einst ein Schreckbild Jugendlicher, erscheint den heute 18jährigen nicht selten wie ein schöner Traum vom fernen Märchenland.

Damit geraten Jugendliche immer stärker in ein politisches Terrain, daß als "strukturkonservativ" umschrieben wird. Dazu paßt die starke Bindung an die Familie (nur vier Prozent wachsen in problematischen Familienverhältnissen auf) und der sich ausbreitende Wunsch nach festen Freunden. Säubert man die als "rechtsradikal" denunzierten politischen Vorstellungen von dem gefärbten Beiwerk der Berliner Wissenschaftler und den wohl eher Hilflosigkeit entwachsenen Parteipräferenzen wie DVU oder NPD, entwickelt die Studie das Bild einer Jugend, die trotz schwieriger Aussichten den Überblick behält.

 

 
     
     
 
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