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Man hat dieses Buch niedergemacht. Systematisch. Sechs Monate nach seinem Erscheinungstag war ein Epochen-Buch über den strahlenden, unvergessenen Volkstribun Willy Brandt und seinen Sturz durch im Hintergrund wirkende Dunkelmänner praktisch vom Erdboden verschluckt. Es wird im Buchhandel nicht vorrätig gehalten, sondern ist nur auf Bestellung zu haben. Das Buch wurde mit kalter Verachtung und unerklärlicher Besessenheit niedergemacht. Das kann man in Deutschland, das lange keine Bücherverbrennungen mehr praktiziert, heute viel eleganter, und viele gute Schreiber, die von der herrschenden Meinung als abweichend von den Tagesparolen oder gar rechts eingestuft werden, wissen davon ein Lied zu singen.
Um rechts eingeordnet zu werden, genügt den herrschenden Meinungsbildern oft allein die Tatsache, daß der Autor nicht links ist. Im Gegensatz zur ordentlichen Justiz genügt ein Anfangsverdacht, rechtfertigen muß sich das Opfer, wenn ihm überhaupt die Gelegenheit dazu gegeben wird, selber. Frau Seebachers Buch, das von einflußreichen Medien als nichtswürdig und nichtsnutzig dargestellt und von wichtigeren Zeitungen, wie der FAZ, einfach wie Luft behandelt wurde, ist aus dem Buchhandel verschwunden. Wir fragen uns, warum. Warum wurde gerade dieses unter vielen anderen Büchern über Willy Brandt ignoriert?
Aus keinem anderen Grund, als weil es von seiner letzten, von ihm mit der Schmerzlichkeit des Alters und Abschieds sehr geliebten Ehefrau Brigitte Seebacher geschrieben wurde und auch diese eindeutig und für alle erkennbar nicht links steht und nicht zum Mainstream der Regierung und der Medien gehört. Hatte sie übrigens bei Ernst Nolte promoviert? So billigte man ihr, der Wissenschaftlerin und brillant schreibenden, in einer unverwechselbaren Art verknappt und frappant formulierenden Publizistin, nicht das Recht zu, das man jeder dümmlichen "Gattin" eines Großen zugesteht: über ihren Mann zu schreiben.
Weil man einfach nicht einzuordnen wußte - da war auch eine gewisse Denkfaulheit und Unlust im Spiel -, daß eine Frau beides sein könnte, die unerbittliche politische Beobachterin und die junge Geliebte, die die heitersten, aber auch heikelsten Dinge aus seinem Leben erzählt, das durfte nicht sein, das hatte nicht stattzufinden, und deshalb wurde dieses Buch im Bewußtsein der gegenwärtig herrschenden Meinung schlicht verdrängt. Im Buchhandel nicht notiert, bei der Aufzählung der vielen guten und schlechten Bücher über Willy Brandt kaum aufgeführt. Unbegreiflich für einen unbefangenen Leser, etwa aus dem Ausland. Der bewundert einen unglaublich feingliedrig und mit großer Zartheit gewebten riesigen, bunten Erzählteppich über den langen und außerordentlich bewegten und bewegenden Lebenslauf des Willy Brandt.
Vom unehelichen Sohn des ebenfalls unehelichen Sohns eines recht- und landlosen Bauern in Mecklenburg. Schon der Schüler stößt mit den älteren SPD-Funktionären zusammen, darf mit Ach und Krach sein von der Partei finanziertes Stipendium an der Oberschule behalten. Bald gründet er eine unabhängige Partei, geht für sie nach Schweden in die Emigration, wird vom Krieg überrascht und überlebt den Krieg in Norwegen. Durch den Generationen-Wandel und die Gunst der Stunde nach oben befördert, wird er in historischer Krisensituation Mitarbeiter von Ernst Reuter und Mitkämpfer gegen die Kommunisten in Ostberlin: "Schaut auf diese Stadt."
Frau Seebacher erinnert daran, daß Willy Brandt, der Emigrant und Kämpfer gegen Hitler auf eigene Faust, auch national dachte, ja, er begründete seinen Widerstand gegen das NS-Regime patriotisch: Hitler hätte dem deutschen Volk geschadet und so furchtbare Verluste zugefügt, war sein größter Vorwurf an den Diktator.
Wir könnten seinen Kniefall in Warschau als das größte Ereignis in seinem Leben bezeichnen und die Ostverträge, die offizielle Zustimmung zur endgültigen Abtretung der schon 1944 von Churchill und Roosevelt an die Russen verschenkten deutschen Ostprovinzen. Das ist der eine Brandt. Aber wir können auch den Wahlkampfaufruf von 1972 als die wichtigste Station betrachten, die Wende zur selbstbewußten Nation: "Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land!". Das war nun wahrlich etwas anderes als Humba-Tätärä und der Sieg bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Stolz sein auf unser Land. Es führt eine klare Linie von diesem Satz zu dem Schlußwort des alten Politikers von 1989: "Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört!" Sein fragwürdiger Freund Bahr hatte noch zwei Monate zuvor auf die Frage nach der Wiedervereinigung nur ein einziges Wort gesagt: Quatsch!
"Kriemhilds Rache", scherzten die Gebildeten unter den Auguren, als sie hörten, daß Brigitte Seebacher in diesem Buch Herbert Wehner als den Mann angeschuldigt habe, der den beliebtesten SPD-Politiker hinterrücks zu Fall brachte - nicht ohne Beteiligung des kommunistischen Ostens und einiger Finsterlinge am Hof des Kanzlers - gar nicht so abwegig der Nibelungen-Vergleich. Haben wir da nicht tatsächlich alle Figuren der Siegfriedsage versammelt: den strahlenden Liebling des Volkes, den Friedensnobelpreis-Träger, mit der Unbekümmertheit und auch mit der Gutgläubigkeit Siegfrieds, und den finsteren, seelisch verkrümmten und im Hintergrund Fäden ziehenden Waffenmeister - und eine schöne junge Frau, die betrübt und empört über den Sturz des geliebten Mannes ist. Doch was Brigitte Seebacher wollte, war nicht Rache, sondern Aufklärung über die "ruchlose" Tat und ihre Hintermänner in Moskau. Eine Aufklärung, die sie durch die Entdeckung einer Protokoll-Notiz in einem Moskauer Archiv über ein geheimes Treffen Herbert Wehners mit den Sowjets unmittelbar vor dem Sturz Willy Brandts anstoßen wollte. Für einen Augenblick taten sich Abgründe für die Sozialdemokratische Partei auf, wie sollte sie mit einer solchen Vergangenheit unbefangen weiter gedeihen? Dann schloß sich die Kluft wieder, einheitlich wie durch gemeinsame Abrede entschied das Meinungskartell, das Buch und den Namen der Autorin wenn möglich ganz zu vergessen. Die Archive in Moskau bleiben geschlossen. Willy Brandt weiter ein Rätsel. Herbert Wehner? Da war nichts. So einfach ist das in Deutschland. |
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