|
Es war zunächst eine unbedeutende Fleischwunde, die er sich zugezogen hatte, als er einen Menschen davor bewahrte, von einem Omnibus überfahren zu werden. Eine Blutvergiftung aber mit all ihren schrecklichen Folgen führte schließlich dazu, daß der Königliche Professor und Hofmaler Wilhelm Hensel am 26. November 1861, vor nunmehr 145 Jahren, in Berlin starb. Mit ihm verlor die deutsche Kunst einen der bedeutendsten Porträtisten des 19. Jahrhunderts. Wie bedeutend, das wird offenbar, blättert man in den jetzt herausgekommenen zwei Katalog -Bänden mit Bildnissen, die Wilhelm Hensel von seinen Zeitgenossen schuf.
Nach der umfangreichen Biographie, die Cécile Lowenthal-Hensel im Jahr 2004 über ihren Urgroßvater vorgelegt hat (Gebr. Mann Verlag, Berlin, 383 Seiten, zahlr. Abb., 78 Euro), ist nun im selben Verlag in Zusammenarbeit mit Sigrid Gräfin von Strachwitz der Katalog der Porträts erschienen.
Er schließt eine Lücke, bietet er doch erstmals einen Überblick über die Hensel-Sammlung im Berliner Kupferstichkabinett der "Stiftung Preußischer Kulturbesitz". Anschaulich beleuchtet er "eine bedeutende Epoche der deutschen Kulturgeschichte in Bild und Wort", wie Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung, im Vorwort zum Katalog betont.
Die fast 1100 Zeichnungen Hensels entstanden neben Gemälden mit biblischen Motiven in historisierender Art, die der Künstler bevorzugte. Der Maler Hensel ist inzwischen meist in Vergessenheit geraten, der Zeichner aber hat mit seinen Porträts die Vorstellung von bedeutenden Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts bis heute geprägt. Theodor Fontane verglich ihren Wert mit dem der "Initialenbücher des Mittelalters, aus denen berühmte Städte und Persönlichkeiten allein zu uns sprechen. Die 47 Mappen Wilhelm Hensels werden dann ein Bibliothekenschatz sein, trotz einem, eine historische Quelle, und der Name des Predigersohns aus Trebbin wird zu neuen Ehren erblühen." Aus den ursprünglich 47 Mappen, die Sohn Sebastian nach dem Tod des Vaters binden ließ, sind nun zwei Bände geworden, die in ihrem Wert nach wie vor Bestand haben und eine Fundgrube für Historiker, Kunstgeschichtler, Soziologen und Genealogen gleichermaßen sind. Hensels Œuvre vereint nahezu alles, was damals Rang und Namen hatte. Allein die Zahlen machen schwindeln: Elf Könige und Königinnen, zwei Großfürten, 15 Fürsten, ein Erzherzog, sieben Großherzöge, fünf Herzöge, 36 Prinzesinnen und Prinzen, 153 Künstler, 66 Dichter und Schriftsteller, 84 Militärs, 69 Politiker, Diplomaten, Juristen, hohe Beamte sowie 29 Wissenschaftler hat Hensel mit dem Bleistift verewigt. Nicht zu rechnen die Bildnisse, die sich noch unerkannt in Privatbesitz befinden, und die rund 80 Porträts, die bisher nicht identifiziert werden konnten. Fast 400 Frauen sind unter den Porträtierten und mehr als 250 Ausländer, darunter sind Engländer am stärksten vertreten. Die Porträts werden ergänzt durch kurze Biographien, so daß sich ein interessanter Blick in die Welt des 19. Jahrhunderts öffnet.
Als Hensel 1821 den Auftrag erhielt, die "Lebenden Bilder" auf einem glanzvollen Hoffest in Berlin zu dokumentierten, begann seine eigentliche Karriere. Er erhielt Zugang zur "feinen" Gesellschaft und das Wohlwollen des Königs. "Die aristokratische Gesellschaft und das gebildete Großbürgertum, die jeweils durch familiäre und politische, ökonomische oder berufliche Verbindungen national wie international verflochten waren, wurden Hensels soziale Fixsterne", so die Herausgeberinnen. "Sie bestimmten das weitere Leben und Wirken des konservativen, königstreuen, zugleich weltoffenen Künstlers und prägten das breite Spektrum seiner Sammlung." Eine Sammlung, die - ebenso wie der Katalog - zeitlos ist und die Begabung des Porträtisten Wilhelm Hensel zeigt, der stets das Charakteristische eines Menschen herauszuarbeiten wußte.
Cécile Lowenthal-Hensel / Sigrid Gräfin von Strachwitz (Hrsg.): "Europa im Porträt - Zeichnungen von Wilhelm Hensel (1794- 1861)", Gebr. Mann Verlag, Berlin, 652 Seiten, etwa 1100 Abb., zwei Bände geb. im Schuber, 128 Euro. |
|