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Mit der Saxonia von Berlin nach Breslau

 
     
 
In den vorpommerschen Häfen ist sie während der Sommermonate ein bekannter Gast, die schneeweiße "Saxonia".

Auf ihren wöchentlichen Rundreisen von Berlin via Stettin nach Rügen und Hiddensee legt sie in Stralsund eine Pause ein. Passagierwechsel und Proviantergänzung stehen dann meist auf dem Programm der Besatzung. Aber das Schiff der schweizerischen Reederei Scylla Tours geht auch drei Mal auf Südost-Kurs.

In Tegel startet der Tausendtonner. Nicht etwa auf dem Flughafen, sondern in viel gemächlicherem Tempo von der Greenwich-Promenade am Wasser. Weiter geht es über die Havelseen-Kette, den Oder-Havel-Kanal, Eberswalde, vorbei am Schiffshebewerk Niederfinow nach Frankfurt/Oder.

Eisiger Wind fegt den dort zusteigenden Passagieren ins Gesicht. Kapitän Johann Magner, Pionier der Oder-Kreuzfahrt, freut sich

dagegen, daß die neue Anlegestelle - nach seinen Wünschen konzipiert - langsam Form annimmt. Noch muß er beim Festmachen und Ausbringen der Gangway improvisieren. Man nimmt es mit Gelassenheit.

Als die "Saxonia" in den trägen Fluß dreht, ist das Zittern kaum zu spüren. "Wie ein sanfter Schauer", meint die Schweriner Seniorin Christa Heimann poetisch, "kriechen die Schwingungen aus dem Maschinenraum durch die Kabinen." Mit dreifacher Schrittgeschwindigkeit und 1000 PS gleiten die "Saxonia" und ihre 60 Passagiere zu Berg, wie die Flußaufwärts-Richtung in der Fachsprache heißt.

Kilometer um Kilometer schlängelt sich das 82 Meter lange Vier-Sterne-Binnenschiff auf dem windungsreichen Fluß mit seinen oft schilfgesäumten Ufern voran. Die Oder hat für Auge und Kamera vor allem stille Sensationen zu bieten: Landschaft satt samt seltener Vögel wie Seeadlern und Kranichen; hin und wieder äsen Rehe auf den Wiesen, Ortschaften werden selten passiert. Die für Abwechslung sorgende Frachtschiffahrt ist nach der Wende fast eingeschlafen.

"Unter den deutschen Flüssen ist die Oder wie ein Bauernweib unter Großen und Edlen", schrieb einst ein schlesischer Dichter. Seit dem Zweiten Weltkrieg
hat sich an den weitgehend naturbelassenen Ufern nicht viel getan. Nachdenklichkeit erregen allerdings zerschossene Brücken- und Hausruinen, die manchmal hinter den ausgefransten Ufern über den Deich ragen.

Buhnen - sie sollen die Strömung regulieren und das Fahrwasser ausreichend tief halten - sind auf polnischer Seite, also in der einstigen preußischen Provinz Schlesien, unter- und überspült. "Das ist nicht ganz ungefährlich", kritisiert Magner diesen Zustand. Ist es Desinteresse oder Geldmangel, fragt man sich.

Noch ist der Wasserstand hoch genug für eine relativ unproblematische Schiffahrt. "Im Hochsommer", erklärt der Kapitän, "sinkt er jedoch auf Werte ab, bei denen selbst wir mit knapp über einem Meter Tiefgang nicht mehr fahren können". Daher beschränke sich die Oderfahrt auf ganze drei Reisen jährlich.

Niedrige Brücken sind ein zusätzliches Hindernis. Mannschaft und Passagiere werden gleichermaßen gefordert: während die einen sich an Deck flach hinlegen, müssen die anderen Schornstein und Reling abbauen.

In Crossen (Krosno Odrzanski) scheint nichts mehr zu gehen. "Fünf Zentimeter!" meldet Chief Jens Mosel nach einer Peilstab-Messung über Sprechfunk an Mag-ner. Der gibt "Stoff" und drückt damit das Achterschiff tiefer ins Wasser. Schließlich heißt es für alle "Köpfe einziehen!" Nur der Kapitän behält aus seiner Luke im abgesenkten Steuerhaus den Überblick. Sein "Trick" hat geklappt. Beifall auf offener Szene!

Aber auch manche nicht ausgebaute Anlegestellen und schiffsenge Schleusen machen das Manövrieren zu einem Abenteuer. Zwar möchte man hier vom Tourismus profitieren, aber dafür kein Geld ausgeben. Ganz im Gegensatz zu den baltischen Ländern.

So will zum Beispiel Litauen ins florierende Geschäft mit den Flußkreuzfahrten einsteigen. Das Kurische Haff und der idyllische Memel-Fluß wären bestens geeignet. In der Hafenstadt Memel würde gestartet werden. Via Schwarzort und Nidden könnte man Tilsit, Kaunas und Wilna ansteuern. Die passende Infrastruktur ist fast fertig. Entsprechende Pläne sind bereits von einem deutschen Reiseveranstalter entwickelt worden.

Doch zurück an die Oder: Vor Breslau müssen Steuermann Andreas Zarwel und Bootsmann Andreas Türk sogar einen Teppich zwischen Schleusenmauer und Bordwand halten, um sie - bei gerade mal fünf Zentimetern Luft auf der rechten und auf der linken Seite - vor Kratzern zu bewahren. Ein Nervenkitzel für die Seh-Leute an Bord wie an Land.

Konzentriert dirigiert der Kapitän das Schiff vom Außensteuerstand. "Das geht am besten im Schneckentempo", meint er seelenruhig. Jedenfalls ist es eine gute Gelegenheit für die Fotografen, schnell noch ein paar "abenteuerliche" Bilder in den Kasten zu bekommen.

Während der Landausflüge nach Grünberg (Zielona Gora), Kloster Leubus (Lubiaz), Liegnitz (Legnica), Breslau und ins Riesengebirge bis zu Gerhart Hauptmanns einstigem Domizil in Agnetendorf hat man mehr Zeit.

In der Regel wird aber, anders als auf Hochsee-Kreuzfahrtschiffen, nachts angelegt und tagsüber gefahren. Die meisten Passagiere sind sogenannte "Heimweh-Touristen". Wie zum Beispiel Christa Neuendorf aus Eberswalde, geboren in Birksdorf bei Breslau.

Als sie von der Flucht 1945 bei minus zwanzig Grad berichtet, kann sie die Tränen nicht zurückhalten. "Schreckliche Erinnerungen, die ich nie vergessen werde!" seufzt sie. Per Taxi unternehmen Christa Neuendorf und ihr Mann dann einen Ausflug in den unvergessenen Heimatort und damit zugleich in ihre eigene Vergangenheit.

Kapitän Johann Magner kann solche Gefühle nachempfinden. Er war bis 1957 im oberschlesischen Kattowitz zu Hause.

Wer auf dem Oder-Kreuzfahrtschiff "Saxonia" Erholung vom Alltag sucht und sich - auch ohne biografische Bindungen an die Region - von der Historie ergreifen läßt, wird eine solche Reise genießen.

Strom der stillen Sensationen Unbegradigter Flußlauf irgendwo in Schlesien: An den Ufern der Oder hat sich seit Jahrzehnten wenig verändert
 
     
     
 
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