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Rußland darf nicht untergehen! Wenn das eurasische Riesenreich im Chaos versinkt, droht ganz Europa ein politisch-wirtschaftliches Erdbeben, das Friedenspaläste und Wohlstandsburgen zum Einsturz bringen kann. Und Deutschland würde zu den ersten gehören, die vor Scherbenhaufen stehen; denn hundert Milliarden Mark sind selbst für das wunderreiche Restdeutschland keine Portokassenlappalie. Mit soviel nämlich sind wir dabei seit 1990 mit etlichen anderen auch, die mit Krediten und Sonderhilfen Rußland zu helfen versuchten, die lebensunfähige Sowjetwirtschaft auf eine tragfähige Grundlage zu stellen. Hilfe zur Selbsthilfe sollte es sein, aber begriffen wurde es drüben offenbar nicht.
Der Internationale Währungsfonds, an dem Deutschland mit Milliarden beteiligt ist, hat außerdem über vierzig Milliarden Dollar Kredithilfe gewährt oder verbindlich zugesagt. Wofür eigentlich? Wie alle anderen auch für ein Faß ohne Boden?
Die Wirtschafts- und Finanzreform, für die das Ausland Rußland unter die Arme griff, ist im undurchschaubaren machtpolitischen Verwirrspiel zwischen Präsident, Regierung, Parlament und Gouverneursherrlichkeiten steckengeblieben. Die marode Staatswirtschaft ist noch immer nicht ernsthaft durch Privatisierung saniert worden. Grund und Boden Schlüsselelemente für Investitionen können noch immer nicht in rechtlich abgesicherter Form erworben werden. Steuernzahlen zählt zu den seltensten Finanzübungen der noch immer von alten Kaderfunktionären verwalteten Betriebe. Eine Finanzverwaltung, die fähig wäre, die Steuern einzuziehen, existiert noch immer nicht. Das Ergebnis: Der Riesenstaat hat kein Geld. Er kann seine Schulden nicht bezahlen. Die Lehrer erhalten kein Gehalt, die Bergarbeiter keinen Lohn über viele Monate hinweg. Und die Soldaten leiden Hunger, buchstäblich, nicht im übertragenen Sinne. Und zu allem Überfluß wird bei erfolgreichen ausländischen Investoren, die Arbeitsplätze schaffen und sichern, willkürlich abkassiert bis zur Geschäftsaufgabe.
Und das viele Geld, die Kre- dite, die abkassierten Sum- men, die trotz allem anfallenden Gewinne (auch solches gibt es in Rußland)? Wohin versickern sie, wenn nicht in Einkaufsorgien mit Luxusgütern in Dubai? Westliche Finanzexperten haben errechnet, daß die Fluchtgelder auf Schweizer Konten bedenklich ähnliche Größenordnungen erreichen wie die diversen Kredite (Die Deutsche Bank hat übrigens bereits 60 % ihrer Rußlandkredite abgeschrieben).
Das märchenhafte Ausmaß dieser Fluchtgelder dokumentiert das fehlende Vertrauen der neuen reichen Russen in die Zukunft ihres Landes. Der pure Eigennutz ist König, die Verantwortung für den eigenen Staat ein Bettelmann.
Und diesem bankrotten Entwicklungsland mit Atombomben und sonst nichts sollen wir helfen? Für Deutschland und den Internationalen Währungsfonds ist die Schmerzgrenze erreicht. Dennoch: Rußland darf nicht untergehen! Rußland kann ein Zukunftsland sein auch für Deutschland, das mit Rußland keineswegs nur durch zwei Weltkriege schrecklich verbunden ist, sondern auf eine reiche Geschichte vielfältiger Kooperationen zurückblicken kann. Zehntausende aus Deutschland, Handwerker, Wissenschaftler, Bauern, Pastoren, Heerführer haben mitgeholfen, Rußland aufzubauen in Moskau, in St. Petersburg, an der Wolga, in Sibirien, auf den Weltmeeren. Rußland kann für Deutschland wieder ein Zukunftsland sein, ja, wenn Rußland endlich die Kraft findet, sich selbst helfen zu wollen.
Ein letztes Angebot finanziel- ler Hilfe sollte gemacht wer- den. Aber diesmal Mark und Dollar erst dann, wenn die Vertragsbedingungen wirklich erfüllt sind, wenn Duma oder Präsident oder beide dafür sorgen und sei es mit Macht die zugesagten Reformen zu realisieren. Wir wollen Rußland helfen, weil ohne Rußland das Haus Europa nicht weitergebaut werden kann und Europa ist größer als die EU. Aber Rußland muß sich auch selber helfen.
Vielleicht öffnet das Finanzdesaster der letzten Tage den Herrschaften drüben die Augen. Am Ende einer großen Abwertung stehen Inflation, soziale Verelendung vielleicht Rebellion. Bei Verweigerung der Kreditrückzahlung totale Isolation. Das können die Mächtigen und Scheinmächtigen drüben nicht wollen. Die Zeit für Spielchen ist vorbei. Wir wollen helfen, aber die Schmerzgrenze ist erreicht.
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