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In der Ukraine gibt es einen schwelenden Konflikt zwischen den Regierungsflügeln bezüglich des Nato-Beitritts der Ukraine. Während die westlich orientierte Präsidentenpartei "Unsere Ukraine", die Wiktor Juschtschenko unterstützt, auf eine engere Zusammenarbeit mit der EU, die Aufnahme der Ukraine in die Welthandelsorganisation WTO und einen Nato-Beitritt hinarbeitet, torpediert der rußlandfreundliche Premierminister Wiktor Janukowitsch diese. So führten die Äußerungen Wiktor Janukowitschs am 14. September in Brüssel, wo er zu einem eintätigen Arbeitstreffen mit der EU-Führung zusammentraf, zu Hause zu Mißstimmung und Verärgerung. Er hatte während eines Gesprächs erklärt, die Ukraine sei noch lange nicht reif für einen Nato-Beitritt und es wäre wohl besser, im Beitrittsprozeß "eine Pause" einzulegen. Er begründete dies damit, daß eine Aufnahme der Ukraine in das westliche Bündnis lediglich von 12 bis 25 Prozent der Bevölkerung seines Landes unterstützt würde. Er halte es für unabdingbar, über eine Nato-Mitgliedschaft in einem Volksentscheid abstimmen zu lassen. Doch selbst für ein solches Referendum sei es noch zu früh, sagte Janukowitsch.
Janukowitschs Idee, ein Referendum durchführen zu lassen, fand nach seiner Rückkehr aus Brüssel im "Werchowa Rada", dem ukrainischen Parlament, Zustimmung. Der Rat verfaßte umgehend den Beschluß, die Frage des Nato-Beitritts durch den Volkswillen bestimmen zu lassen und kündigte für den 1. November ein Gesetz zur nationalen Sicherheit an, in dem die Bedingungen des Nato-Beitritts festgelegt werden sollen.
Mit heftiger Kritik reagierten Außen- und Verteidigungsministerium auf den Alleingang des Premierministers. Sie beeilten sich, gegenüber dem Westen klarzustellen, daß die Reden Janukowitschs keinerlei Bedeutung hätten. Laut ukrainischer Verfassung hat er dazu auch keine Befugnis. Verteidigungsminister Anatolij Grizenko betonte, sein Ministerium stehe voll und ganz hinter dem Präsidenten und verfolge das Ziel des Beitritts, ganz gleich, was dieser oder jener auf einer Visite erklären möge.
Ein offizieller Vertreter des Weißen Hauses bestätigte, daß niemand dort Janukowitschs Worte allzu ernst nehme. Es müsse nun geklärt werden, welcher Art und wie tief die gegenseitigen Beziehungen zwischen der Nato und der Ukraine entwickelt werden sollen, eine Einbahnstraße könne es nicht geben.
Für die Ukraine selbst wird Janukowitschs Auftritt in Brüssel nicht ohne Folgen bleiben. Die große Koalition, die sich erst am 4. August gebildet hatte, steht vor der Zerreißprobe. Die Situation hat sich verschärft. Im Obersten Rat werden Vermittlungsgespräche stattfinden, von deren Ausgang die Präsidentenpartei "Unsere Ukraine" den Verbleib in der Regierung abhängig machen will. Sollte eine Einigung scheitern, wird es neue Koalitionsverhandlungen geben. Präsident Juschtschenko sähe sich wieder der Prozedur der Regierungsbildung ausgesetzt, die zu einem nun schon seit einem halben Jahr andauernden Problem angewachsen ist. Bei der Parlamentswahl im März konnte keine Partei die absolute Mehrheit erzielen und so war es zu einer Koalition der Freunde und Gegner der "Orangenen Revolution" gekommen. |
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