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Netzwerk des guten Willens

 
     
 
Das : Herr Minister, französische Pressekommentare lassen zur Zeit vermuten, daß man in Paris an eine Vertiefung der deutsch-französischen Zusammenarbeit denkt. Können Sie sagen, wie eine solche Vertiefung der Beziehungen aussehen könnte?

André Bord: Sie haben recht, wenn Sie von Vertiefung spre-chen. Die Presse hat oft genug die Tendenz, auf dem Gebiet der deutsch-französischen Beziehun-gen irgendwelche spektakulären Gesten zu erwarten, während es das eigentlich Wichtige ist, ge-meinsam auf allen Gebieten zu-sammenzuarbeiten. Und die Ge-biete, wo beide Länder eine Vorreiterrolle für die anderen EU-Mitglieder
spielen, sind zahl-reich. Nehmen Sie das Gebiet der Verteidigung, wo die deutsch-französische Zusammenarbeit eine solide Grundlage hat, die sicher bleiben wird. Die französische Präsidentschaft, in guter Übereinstimmung mit Deutschland, hat es erlaubt, dauerhafte Strukturen für die Organe der Europäischen Verteidigungskräfte auf die Beine zustellen, ebenso wie die Kooperation zwischen der Nato und den 15 EU-Mitgliedern. Europa kann inzwi-schen Krisen bewältigen; es wird eine Kraft auf dem internationa-len Parkett werden, es weiß sich auf glaubwürdige Weise zu be-haupten und ist in der Lage, hin-sichtlich der außenpolitischen Herausforderungen autonom zu handeln. Diese europäische Ver-teidigungsidentität hat sich aus einer Anzahl von deutsch-französischen Initiativen entwickelt. Das ist vor allem im Hinblick auf die Erweiterung der Europäischen Union wichtig, die Frankreich und Deutschland gemeinsam vorbereiten.

Wenn man von einer Vertiefung des Verhältnisses spricht, dann heißt das natürlich nicht, daß jeder Standpunkt in einer einzel-nen Frage identisch sein muß. Das deutsch-französische Paar ist keine Mischung, in der die beiden Partner ihre eigene Identität verlören. Jeder hat seine. Auf dieser Komplementarität baut Europa auf. In diesem Zusammenhang ist die Entdeckung der jeweils anderen Kultur durch die Bevölkerung absolut unerläßlich. Sie wissen, daß ich darum kämpfe, daß die Erlernung der deutschen Sprache in Frankreich einen gewissen Stellenwert behält. Jedesmal, wenn in einem französischen Gymnasium eine Deutschklasse geschlossen werden soll, interveniere ich. Als erste Sprache in den französi-schen Gymnasien ist beispiels-weise Deutsch von 13,1 Prozent im Jahre 1980 auf aktuell 9 Pro-zent zurückgefallen. Gewiß ist es wichtig, das Englische gut zu beherrschen, aber wir müssen auch für die Entwicklung der Zweisprachigkeit der Europäer kämpfen. Für Frankreich ist es die deutsche Sprache, die sich entwickeln muß, weil Deutschland unser wichtigster Partner in der Welt ist.

Anläßlich des kürzlichen deutsch-französischen Gipfels hat der Deutschland-Korrespondent der täglich erscheinenden französischen Wirtschaftszeitung "Les Échos" eine Überprüfung des deutsch-französischen Élysée-Vertrages für möglich gehalten. Muß man es von daher verstehen, daß nun ein Text dem Élysée-Vertrag beigefügt werden soll?

André Bord: Der Élysée-Vertag soll, soweit mir bekannt ist, nicht verändert werden. Sie wissen, daß das ein sehr kurzer Text ist – nur fünf Seiten lang –, der das Wichtigste enthält und der sich in den 39 Jahren seiner Existenz bewährt hat, so daß man ihn eigentlich nicht zu verändern braucht. Der zweite Teil des Vertrages ("Programm") zeigt an, daß die beiden Regierungen gemeinsam die Mittel ihrer Zusammenarbeit auch auf anderen Gebieten als denen der Politik und der Wirtschaft ausbauen wollen. Im deutschen Text des Vertrages heißt es: "Die beiden Regierungen prüfen gemeinsam die Mittel und Wege, ihre Zusammenarbeit im Rahmen des Gemeinsamen Marktes in den anderen wichtigen Bereichen der Wirtschaftspolitik, der Energiepolitik, der Verkehrs- und Transportfragen, der industriellen Entwicklung ebenso wie der Ausfuhrkreditpolitik zu verstärken." Die wirtschaftlichen Angelegenheiten sind also formell in den Élysée-Vertrag eingeschlossen. Ich füge für mich hinzu, für uns alle, die wir an der deutsch-französischen Freundschaft arbeiten, daß es der Geist des Vertrages ist, der zählt, seine Inspiration, sein Wille, vorwärts zu gehen. Die "Gemeinsame Erklärung" vom 22. Januar 1963 sagt, daß sich die deutsch-französische Annäherung vollziehen solle "in dem Bewußtsein, daß eine enge Solidarität die beiden Völker hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung miteinander verbindet". Die wirtschaftliche und die kulturelle Annäherung sind ein und dasselbe Ziel. Der Élysée-Vertrag dient der Grundlegung für neue Aktionen, die man zur Zeit des Vertragsabschlusses noch nicht vorhersehen könnte. Sie wissen, daß ich anläßlich des 25jährigen Jubiläums des Élysée-Vertrages zusammen mit Rainer Barzel die Initiative ergriffen habe, mehrere neue deutsch-französische Kooperationsebenen zu schaffen. Da sind beispielsweise der deutsch-französische Fernseh-Kulturkanal "Arte", der Oberste Deutsch-französische Rat, der de Gaulle-Adenauer-Preis oder der Deutsch-französische Umweltrat. Von diesem Umweltrat wünschte ich mir, er würde noch häufiger zusammentreten, denn es wäre schade, wenn man diese Form der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern aus dem Blick-feld verlieren würde.

Wie steht es umgekehrt um den Französischunterricht in Deutschland?

André Bord: Ich habe Ihnen gerade gesagt, daß die momentane Situation schwierig, aber nicht unumkehr-bar ist. Die deutsche Sprache hat lange Zeit ihre mehrheitliche Stellung als erste, später als zweite Sprache gehabt, aber die tatsächliche Schülerzahl in Frankreich hat sich bedeutend gesenkt. Deutsch als zweite lebende  Sprache wird mehr und mehr im  allgemeinen Unterrichtsbetrieb durch Spanisch abgelöst. Es besteht vielleicht eine reale Chance, die deutsche Sprache im beruflichen Unterricht zu entwickeln. Im Elsaß ist die Situation verschieden, weil die Franzosen im Elsaß ihren Dialekt in ihrer Familie erlernen und daher Deutsch eher für ihre Studien wählen. Auf der deutschen Seite sind es natürlich vor allem die Länder entlang der Grenze wie das Saarland, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, die am ehesten Französisch lehren. Die Stellung der französischen Sprache im Norden Deutschlands ist weniger gut. Wir möchten den Französischunterricht in Bremen, Hannover, Hamburg, Kiel oder Rostock vermehrt stützen, in jenen Regionen, die eher nach Großbritannien und Skandinavien hin ausgerichtet sind.

Warum hat man die Büros des "Deutsch-Französischen Jugend-werks" (DFJW) von Bad Honnef nach Paris verlegt?

André Bord: Das DFJW wurde vor einem hal-ben Jahrhundert in Bad Honnef, nahe der damaligen Bundes-hauptstadt, eingerichtet. Es war natürlich, daß der deutsche Sitz des Jugendwerkes bei der Verle-gung des Regierungssitzes nach Berlin ebenfalls verlegt würde. Man hat sogar den Umzug des Pariser Sitzes erwogen, die sich etwas beengt in ihren Büros in der Rue de l’Amiral Mouchez in Montreuil bei Paris befinden. Die Umzüge werden, so hoffe ich, einhergehen mit einer Modernisierung des DFJW, das eine grundlegende Rolle in den deutsch-französischen Beziehungen spielt, weil es den Jugendlichen beider Länder erlaubt, den anderen Partner zu entdecken und kennenzulernen, ohne sich um die Beschaffung einer Arbeit kümmern zu müssen. Mehr und mehr wird es notwendig, daß die Jugendlichen jenseits der Grenze arbeiten – und sie meistern dabei die Sprache des anderen Landes recht gut.

Sie sind sehr aktiv im Bereich der deutsch-französischen Beziehungen innerhalb der Organisationen der Kriegsteilnehmer. Wie ist die Bilanz in diesem Bereich der deutsch-französischen Beziehungen?

André Bord: Sie haben recht, mir die Frage nach den Organisationen zu stel-len, weil ich glaube, daß deren Aktivitäten absolut unverzichtbar für die Regierungstätigkeit sind. Sie wissen, daß ich insgesamt zwölf Jahre Minister unter den Präsidenten Charles de Gaulle, Georges Pompidou und Valéry Giscard d’Estaing gewesen bin. Ich habe die Verantwortung für die "Anciens Combattants" gehabt, für die Beziehungen zum Parlament, für die innenpolitischen Fragen und vor allem in Fragen der Ausstattung und der Dezentralisation. Ich kenne also die Verwaltung meines Landes sehr gut. Aber ich glaube auch, daß die internationalen Aktionen der Regierenden beider Länder, ich meine Frankreichs und Deutschlands, sich stützen müssen auf ein Netzwerk des guten Willens zwischen den einzelnen Bürgern beider Länder, damit diese sich selbst und direkt kennenlernen. Ich sitze als Direktor etwa zwanzig verschiedenen Gesellschaften vor, nicht nur solchen der Kriegsteilnehmer, sondern auch Sport- und Behindertenverbänden oder solchen, die sich für ältere Mitbürger oder kulturelle Zusammenarbeit einsetzen. Ich bin erster Vizepräsident der gemeinsamen Deutsch-französischen Stiftung, die die in die Wehrmacht zwangsrekrutierten Elsässer und Moselländer entschädigt, deren Vorsitzender der frühere Minister Jean Laurain ist und die außerdem auch kulturelle Aktivitäten entfaltet. So hat diese Stiftung beispielsweise vergleichende Studien in Auftrag gegeben, die sich mit der französischen Steuer- und Sozialpolitik befaßten. In Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Französischen In-stitut in Ludwigsburg setzte sie Treffen mit der Jugend im Berli-ner Stadtteil Wedding ins Werk. Es sind die Initiativen der Bürger selbst, die das Projekt der deutsch-französischen Verständigung weiterbringen. Präsident Chirac hat mich 1986 zum Präsi-denten der Interminsteriellen deutsch-französischen Kommis-sion ernannt, als er noch Premierminister war. Er hat mich im Jahre 1999 damit beauftragt, die Zivilgesellschaften der beiden Länder weiter miteinander zu verbinden. Ich wünsche mir schließlich, daß insbesondere die Einwohner der nördlichen Bundesländer ihre Kontakte zu den französischen Regionen noch weiter festigen mögen. Die deutsch-französische Freundschaft ist keine Sache der Amtsstuben, sie ist tägliche Praxis. Indem wir die Bevölkerung, vor allem die Jungen, miteinander verbinden, schaffen wir ein Europa, in dem es sich gut leben läßt.

Das Interview führte Francisco Lozaga. Übersetzung: Antonia Radelbeck.

 
     
     
 
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