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Nukleares Säbelrasseln

 
     
 
Auf dem Indischen Subkontinent rasseln die Säbel. Indien und Pakistan ziehen an der Grenze Truppen zusammen und bringen ihre Waffen in Stellung. Was die Lage auch aus Sicht der Europäer bedrohlich macht, ist die Tatsache, daß beide Kontrahenten über Atomwaffen verfügen. Doch so bedrohlich, wie dieses Atomwaffenpotential auf den ersten Blick erscheinen mag, ist es indes nicht. Weder Indien noch Pakistan sind quantitativ noch qualitativ in der Lage, mit ihren Nuklearwaffen über die Region hinaus zu wirken. Zur Entfesselung eines kontinentalen oder gar globalen Atomkrieges ist keiner der Konfliktgegner in der Lage. Schätzungen zufolge hat Pakistan 15 bis 20 Atomsprengköpfe in den Arsenalen, während Indien über 25 bis 40 Atomsprengköpfe verfügen dürfte. Als Verbringungsmittel stehen beiden Ländern Kurz- und Mittelstreckenraketen in unbekannter Anzahl, jedoch keine Interkontinentalraketen zur Verfügung.

Beide Seiten werden sich des großen Risikos und der Folgen eines Ersteinsatzes atomarer Kampfmittel bewußt sein. Doch dürfte die Entscheidung hierüber weniger von der Vernunft als vielmehr vom Verlauf des nächsten bewaffneten Konfliktes zwischen beiden Ländern abhängen. Indien hat derzeit mehr als 1,2 Millionen Mann unter Waffen. Seine Streitkräfte sind damit doppelt so stark wie die Pakistans und auch besser ausgebildet und ausgerüstet. Zudem sind die pakistanischen Truppen derzeit an der Grenze zu Afghanistan gebunden. Sollte es zu einem konventionellen Waffengang kommen, gilt ein Sieg Indiens also als sicher. Dann aber könnte Pakistan zur Abwendung der Niederlage zum Ersteinsatz von Atomwaffen greifen. Denn atomare Massenvernichtungsmittel sind primär die Waffe des „kleinen Mannes“, des auf dem Gebiet konventioneller Bewaffnung
Unterlegenen.

Die Folgen eines atomaren Schlagabtausches wären für beide Länder verheerend, doch wäre seine Wirkung gleichwohl auf die Region begrenzt. Denn beide Länder verfügen lediglich über taktische Nuklearwaffen, die in erster Linie als Gefechtsfeldwaffen unmittelbar und lokal begrenzt gegen die feindliche Streitmacht eingesetzt werden. Dies schließt ihren gezielten Einsatz gegen die unbeteiligte Zivilbevölkerung natürlich nicht aus.

Was aber hätten die Kriegführenden zu erwarten? Bei der Detonation eines Atomsprengkörpers werden in sehr kurzer Zeit große Energien freigesetzt. Diese wirken gemeinsam, aber mit unterschiedlicher Dauer, als Druckwelle, thermische Strahlung, Kernstrahlung und elektromagnetischer Impuls. Ihre Intensität - und damit Art und Ausmaß der Verluste, Schäden und Zerstörungen - ist von der freigesetzten Energie, der Detonationsart (Luft- oder Bodendetonation) und den Umweltfaktoren wie Geländeform, Geländebedeckung und Wetter abhängig. Die Detonation beginnt mit einem grellen Lichtblitz. Es entsteht ein Feuerball, um den sich eine Detonationswolke bildet. Eine vom Feuerball erzeugte starke Luftströmung reißt Staub, Wasser und Erdreich nach oben. Um den Detonationspunkt entsteht die charakteristische Basiswolke.

Die Druckwelle breitet sich vom Detonationspunkt nach allen Seiten zunächst mit Überschallgeschwindigkeit, dann mit Schallgeschwindigkeit aus. Sie wirkt durch Überdruck, der beim Menschen innere Verletzungen hervorrufen und ihn auf diese Weise schwer verwunden oder töten kann, sowie durch heftigen Sturm, der Gebäude und Infrastruktur beschädigt. Die thermische Strahlung besteht aus einem grellen Lichtblitz und der Wärmestrahlung. Letztere kann Hautverbrennung verursachen und Brände entfachen. Die elektromagnetischen Wellen, die bei einer atomaren Explosion in Sekundenbruchteilen freigesetzt wer- den, wirken nicht auf den Menschen, können aber elektronische Geräte unbrauchbar machen.

Die Folge einer Atomexplosion, gegen die es den geringsten Schutz gibt, ist die Kernstrahlung. Dabei wird zwischen der Anfangs- und der Rückstandsstrahlung unterschieden. Die Anfangsstrahlung tritt unmittelbar nach der Detonation auf. Sie breitet sich vorwiegend geradlinig aus, ein Teil wird abgelenkt und trifft als Streustrahlung auf die Erdoberfläche. Die Rückstandsstrahlung besteht aus der Strahlung von radioaktiven Stoffen um den Detonationspunkt und der Strahlung des radioaktiven Niederschlages (Fallout). Die Rückstandsstrahlung schwächt sich im Laufe der Zeit von selbst immer mehr ab, sie kann aber Wochen oder auch Monate anhalten. Kernstrahlung schädigt Lebewesen. Das Ausmaß der Schädigung hängt von der aufgenommenen Dosis, also der Menge an absorbierter Kernstrahlung und der Dauer der Bestrahlung, und davon ab, ob der ganze Körper oder nur Teile davon getroffen wurden. Die vom Fallout ausgehende Kernstrahlung gefährdet den Menschen, wenn er sich zu lange ohne ausreichenden Schutz in verstrahltem Gelände aufhält oder verstrahltes Material benutzt, wenn sich strahlende Teilchen auf der Haut oder der Bekleidung ablagern oder wenn strahlende Teilchen durch Nase, Mund oder Wunden in den Körper eindringen. Kernstrahlung wird durch Materie abgeschwächt. Je dicker und dichter die Materie (z. B. Fahrzeugwände, Mauerwerk) ist, umso mehr Strahlung hält sie zurück.

So furchterregend sich dieses Szenario liest, so ist es doch lokal begrenzt und nur für die beiden Kontrahenten wirklich beängstigend. Die Waffenwirkung wäre auf das Gefechtsfeld und wichtige Infrastruktureinrichtungen des Feindes beschränkt. Ein Masseneinsatz der verfügbaren Atomsprengköpfe aber wäre, ganz abgesehen von politischen Erwägungen, für keine der beiden Seiten ratsam. Zu groß wäre die Gefährdung des eigenen Territoriums durch die eigene Waffenwirkung. Denn Winde, die den Fallout über das Land treiben, kennen keine politischen Grenzen. Auch wäre eine Zerstörung und langfristige Verstrahlung des zu gewinnenden Raumes sinnlos. Und schließlich würde die atomare Reaktion des Feindes auf dem Fuße folgen. Es bleibt also zu hoffen, daß in Neu Delhi und Islamabad die Vernunft siegt.

Die gegenwärtige globale Sicherheitslage schürt auch ebenso diffuse wie unbegründete Ängste vor einer atomaren terroristischen Bedrohung. Mancher sieht islamische Fundamentalisten bereits an einer Atomrakete basteln oder eine in einem Koffer abgestellte Atombombe in der New Yorker Innenstadt detonieren. Angeblich lassen sich Anleitungen für den Bau einfacher Atombomben im Internet finden. Nun mag die Konstruktion einer Atombombe ja in der Theorie einfach sein, doch dürfte sie in der Praxis nicht zuletzt daran scheitern, daß waffentaugliches Atommaterial eben nicht frei verfügbar ist. Der „kleine Atombaukasten für jedermann“ mit Material aus der Drogerie um die Ecke ist lediglich das Produkt einer allzu blühenden Phantasie.

Jemand mit den Verbindungen und der Finanzkraft eines Osama bin Laden wäre vielleicht in der Lage, waffentaugliches Material - beispielsweise aus der Konkursmasse der Sowjetarmee - zu beschaffen. Doch bis zur Konstruktion einer funktionstüchtigen nuklearen Massenvernichtungswaffe wäre es dann noch immer ein sehr weiter Weg.

Horror-Szenario: Wie ein riesiger Pilz steht die sogenannte Basiswolke über dem nuklearen Detonationsherd.
 
     
     
 
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