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Ein halbes Jahr nach seiner Bargeldeinführung weckt der Euro bei vielen noch immer gemischte Gefühle. Insbesondere scheint die Kluft zwischen offizieller und gefühlter Inflation immer größer zu werden. Während das Statistische Bundesamt für Mai eine Preissteigerung von 2,1 Prozent und für Juni von nur noch 0,8 Prozent ermittelte, hat der Otto-Normal-Verbraucher am Ende eines jeden Monats effektiv immer weniger Geld im Portemonnaie. Es erscheint daher angebracht, einen ersten Blick auf die Früchte der neuen Währung zu werfen.

Und mit Früchten fing der Euro-Streß bereits zum Jahresbeginn an. Während vom Handel die meisten Waren- und Produktpreise durch 1,95583 artig umgerechnet wurden, wurde bei Obst und Gemüse anscheinend damit multipliziert. Eine Gurke war zum Beispiel vom 31. Dezember 2001 auf den 2. Februar 2002 nicht mehr 99 Pfennig wert, sondern satte 1,50 Euro (2,99 DM). Bei der Erklärung, es handele sich um einen saison
al bedingten Preisanstieg, muß man schon schlucken. Die Wintersaison fing sicher nicht ausgerechnet am 2. Januar an, oder? Und was ist mit der Globalisierung, wenn man sie braucht? Gibt es denn nur in Deutschland Gurken? Übrigens wartet man bis heute vergeblich auf die Saison, die eine Gurke wieder 50 Cent kosten läßt.

Neben Lebensmitteln gab es Preisschwankungen auch bei Bus und Bahn: Die Deutsche Bahn AG nahm die Euro-Umstellung zum Anlaß, bei ihren Fahrpreisen nicht nur aufzurunden, sondern auch noch einige andere drastische Verteuerungen einzuführen. So kann man seine Karte nicht mehr im Zug normal lösen, sondern bezahlt dort einen erhöhten Fahrpreis. Das beliebte Wochenendticket wurde vorsorglich auf eh schon teure 21 Euro taxiert, damit der Anstieg nicht ganz so heftig aussieht, wenn es ab dem Winterfahrplan auch noch 28 Euro dafür heißt. Eine Bahncard kostet ab dann im Schnitt fünf Prozent mehr.

Der Autofahrer glaubte dagegen, diesmal verschont zu bleiben. Immerhin war er mit Benzinpreisen unter einem Euro zum Jahresanfang gut weggekommen. Doch auch daraus wurde nichts. Trotz billigen Rohölpreisniveaus ließen die Mineralölkonzerne in mehreren Wellen zu Ostern und danach die Anzeigen an den Zapfsäulen auf mehr als 1,10 Euro pro Liter ansteigen.

Die Staffelung wurde wiederum auch bei Preisen wie bei Prepaid-Karten für Handys geändert. Für die kleinste X-traCard muß man nun 15 Euro zahlen, also vergleichsweise 29,34 DM statt ehemals 25 DM. Um gleich bei den Telefonanbietern zu bleiben: Wäh- rend Anschluß- und Grundgebühren teilweise drastisch angehoben wurden und SMS-Dienste im Internet nicht nur kostenpflichtig, sondern gleich extrem teuer geworden sind, konnte sich die Telekom mit einer 120-Prozent-Verteuerung bei den Kurzmitteilungen nicht durchsetzen. Ein Aufschrei der Verbraucher konnte den Quantensprung verhindern.

Internetminuten sind seit dem 1. Januar 2002 ebenfalls teurer geworden. Zunächst rundeten die Anbieter auf, so daß zum Beispiel bei Compuserve statt 1,7 Pfennig/Minute nunmehr 1,76 Pfennig/Minute fällig werden (0,9 ct). Während es vor einem halben Jahr noch zahlreiche Call-by-Call-Anbieter mit unter zwei Pfennig/Minute gab, fangen die günstigsten Minutenpreise jetzt erst bei 2,3 Pfennig an (1,18 ct).

Ein anderer Vergleichsposten ist das Ausgehen in Cafés, Restaurants und Diskotheken. Um es gleich vorweg zu sagen: In dieser Sparte ist alles teurer geworden mit dem Euro. Ein Bier wurde hier nicht einfach großzügigerweise von sechs DM auf drei Euro umgerechnet, sondern es wurden penibel mindestens 3,10 Euro daraus gemacht. Eintrittspreise für Clubs und Diskotheken wurden von anfangs fünf Euro schnell auf 5,50 Euro hochkorrigiert, was vorher fünf DM Eintritt kostete, auf drei Euro verteuert.

Während man gerade beim Ausgehen weniger auf die Preise achtet und bei einstelligen Preisen unbedacht handelt, gibt man auch noch viel großzügiger Trinkgeld. Denn wer will schon auf 9,50 Euro bestehen, so daß der Kellner noch 50 Cent herauskramen muß? Bei einem Verzehr von 8,80 Euro wären neun Euro zu wenig, zehn Euro allerdings unverhältnismäßig viel, nämlich satte 2,40 DM Trinkgeld bei vielleicht einem Getränk. Für solch ein Trinkgeld konnte man sich vor einem Jahr noch glatt ein weiteres Getränk leisten.

Unglaublich teurer sind Mahngebühren geworden - insbesondere die von Ämtern und Behörden. Aus üblichen fünf DM wurden fünf Euro. Das subjektive Empfinden vieler Bürger, daß heute einen Euro kostet, was früher für eine D-Mark zu haben war, ist deshalb gar nicht so abwegig.

Nur kümmerlich ausgeglichen wird dieses Problem durch ein anderes Phänomen. Am Geldautomaten gibt es nämlich nur folgende vorgegebene Ausgabesummen zum Auswählen: 20, 50, 100 Euro usw. Aus dem ehemaligen Menüpunkt 50 DM sind also 39,11 DM geworden. Dies ist aus verbrauchspsychologischen Gründen günstiger, denn wer weniger Geld in der Hand hat, kann auch weniger ausgeben. Man spart vielleicht nicht gleich zehn DM, wenn man nicht öfter zum Geldautomaten geht, aber effektiv doch vielleicht die 89 Pfennig.

Im Januar gab es auf Grund dessen übrigens noch eine sehr schlechte Versorgung mit genügend 10- und 20-Euro-Scheinen an den Automaten, der Sprung zu 50 Euro ist einfach zu groß. Wer beim Geldautomaten einen "anderen Betrag", d. h. niedrigeren Betrag, wählen will, wird oft enttäuscht. Es müssen in der Regel gleich 20 Euro abgehoben werden. Die Banken freuen sich dadurch über mehr Soll-Zinsen und weniger Haben-Zinsen bei Millionen von Kunden.

Viele Preiserhöhungen geschahen schon ein halbes Jahr vor der Euro-Einführung noch schnell in DM. Lebensmittel wie Brot, Butter und Milch waren plötzlich zehn Pfennig teurer. Was sonst schon seit Jahren 0,99 DM gekostet hatte, war im Herbst 2001 nun nicht schon für 1,02 DM, sondern frecherweise meist erst für 1,12 DM zu haben. Auch dafür gab es ein Argument. Der Einzelhandel müsse die Kosten der Euro-Umstellung kompensieren. Sehr unerfreulich dabei, daß dies aus- gerechnet auf die Grund- nahrungsmittel umgelegt wird.

Doch plötzlich, welch Wunder: Preisstürze. Der Winterschlußverkauf machte es möglich. Im Sog der Preiskonkurrenz senkten auch große Lebensmitteldiscounter die Preise. Eine 300-Gramm-Tafel "Milka Schoko und Keks" kostet 1,52 Euro, was umgerechnet nur 2,97 DM sind statt früher mindestens 2,99 DM. Ein Multivitaminnektar kostet mit 0,49 Euro nur noch 0,95 DM statt 0,99 DM. Dies sind nur einige Beispiele.

Grundsätzlich pendeln sich die Preise wieder auf ihr gewohntes altes Bild von 0,99, 1,99, 2,99 usw. ein. Dabei wird zwar abgerundet, aber der vorsorgliche Preisanstieg vom letzten Jahr selten wieder ausgeglichen.

Doch wie läßt sich die zuvor geschilderte Teuro-Abzockerei mit den Zahlen des Statistischen Bundesamtes und den Beschwichtungen der Bundesregierung in Einklang bringen. Die Antwort ist einfach: Die als offizielle Inflationsrate für Deutschland verkündeten Zahlen geben in Wirklichkeit gar nicht die tatsächliche Steigerung der Lebenshaltungskosten wieder, sondern messen nur Preisänderungen der 750 Positionen eines künstlich zusammengestellten "Warenkorbs". Die Statistik messe für einen vorgegebenen Warenkorb einen durchschnittlichen Preis- anstieg, mehr sage sie nicht aus, so der Dortmunder Statistikprofessor Walter Krämer gegenüber dem Magazin Focus. Bei genauer Betrachtung stellt man dann fest, daß der fragliche Warenkorb sich zum Teil aus völlig antiquierten Gebrauchsgütern zusammensetzt: Darin enthalten sind unter anderen Kuriositäten wie eine "Hunde-Trimm-Maschine", "Reinigung einer Herrenarmbanduhr", "Barometer (Wetterstation)" oder bis 1995 sogar Blitzlicht-würfel.

Als Alternative zur offiziellen Inflationsrate erhebt deshalb das Kölner Forschungsinstitut Empirica Delasasse für Focus seit Januar monatlich die Veränderungen für mehr als 820 Kosten- positionen. Dieser Index bemüht sich, alle wesentlichen Ausgaben, die im offiziellen Index schlicht fehlen, wie zum Beispiel Steuern, Sozialabgaben, Zinsen, einzubeziehen. "Unter diesen realistischen Annahmen kommen wir im Juni auf eine Inflationsrate für Deutschland, die mindestens dreimal so hoch liegt wie die Zahl des Statistischen Bundesamts", resümiert Wolfgang Steinle, Geschäftsführer von Empirica Delasasse. Tatsächlich ergeben die Erhebungen des Forschungsinstitutes, daß die Teuerungsrate für Juni 2002 nicht 0,8 Prozent, sondern gut drei Prozent beträgt.

"Lieber drei Prozent Inflation als drei Millionen Arbeitslose" soll der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt einmal achselzuckend gesagt haben. Sein Parteifreund Gerhard Schröder hat ihn eindrucksvoll widerlegt, indem er mit der neuen Rekordzahl von vier Millionen Arbeitslosen beweist, daß eine hohe Inflation alles andere als eine gute Beschäftigungspolitik ist.

In Anbetracht all dessen räumten die Bundesregierung und das Statistische Bundesamt unlängst ein, daß es bei der Euro-Umstellung zum Teil zu deutlichen Preiserhöhungen gekommen sei. Es darf daher auch nicht wundern, daß der Zuspruch der Verbraucher zum Euro sich in Grenzen hält. Aktuellen Umfragen zufolge ist mehr als die Hälfte der Deutschen nicht zufrieden mit der neuen Währung. Nach Berechnungen des Meinungsforschungsinstitutes Emnid ist die Zustimmung zum Euro seit der Bargeldeinführung im Januar sogar deutlich gesunken. Der erste Käuferstreik gegen den "Teuro" dürfte für die Verantwortlichen ein Schuß vor den Bug sein. "Der Verbraucher ist massiv verunsichert", erklärte der Vorstands-chef der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), Klaus Wübbenhorst, den Einkaufsstreik und die bereits seit Monaten andauernde Kaufzurückhaltung.

Die Bürger in anderen EU-Staaten haben noch größere Probleme mit dem Euro. In Spanien etwa rennt jeder mit einem kleinen Euro-Taschenrechner durch die Gegend, um nicht übers Ohr gehauen zu werden, denn der Umrechnungskurs von 166,386 Peseten für einen Euro ist nur schwer im Kopf zu bewältigen. Deutschland mit seiner groben "Ein Euro sind zwei D-Mark"-Formel hat es da wesentlich besser.

Auch daß sich der Euro mit seiner Einführung trotz 11.-September-Anschlags und US-Konjunkturflaute noch nicht - wie angekündigt - deutlich gegenüber dem US-Dollar erholt hat, ist auch nicht gerade sehr vertrauenerweckend.

Wen wundert es da, daß die Skeptikerstaaten wie Großbritannien, Dänemark und Schweden bisher noch keine Anstalten machen, sich der Euro-Zone anzuschließen. Im übrigen dürfte konsequenterweise erst nach ihrem Anschluß der Weg für potentielle neue EU-Mitgliedstaaten, wie zum Beispiel Ungarn, Tchechien oder Polen, zum Beitritt geebnet sein.

Letztlich kommen die geschichtslosen Namen "Euro" und "Cent", in der Bevölkerung nicht gut an, denn sie eignen sich einfach nicht für umgangssprachliche Spitznamen. Ein Ausspruch wie "Haste mal nen Teuro?" wäre dann doch wohl zu deprimieren
 
     
     
 
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