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Oh Gott: Klaus Bednarz

 
     
 
Die Beispiele häufen sich, sie waren im vergangenen Jahr so unübersehbar, daß man schon von einer Tendenz sprechen kann, die zu ignorieren Selbstbetrug wäre! Die Tendenz ist erkennbar, und das Ziel kann benannt werden: Die Auslöschung Ostdeutschlands, seiner Geschichte und Kultur im Bewußtsein der Deutschen und ihrer östlichen Nachbarvölker jetzt und für alle Zeiten!

Beginnen wir mit einem Interview des polnischen Ministerpräsidenten Jerzy Buzek über "Kirche, Kommunisten und sein besonderes Verhältnis zu den Deutschen", nachzulesen im "Spiegel" vom 15. Dezember 1997. Befragt nach seiner Kindheit im oberschlesischen Gleiwitz
, dem Geburtsort (1930) übrigens des Schriftstellers Horst Bienek, antwortete er: "Der schlesische Dialekt, den ich gesprochen habe, ist ein urpolnischer – durchsetzt mit deutschen Wendungen, weil diese Region lange, das ganze 19. Jahrhundert hindurch, bis zum Ersten Weltkrieg, von Deutschen bestimmt war." Diese Antwort steckt voller Geschichtsklitterung. Denn "diese Region" Oberschlesien, einschließlich des Geburtsorts Teschen (1940) des polnischen Politikers, gehörte seit der Ostkolonisation im Hochmittelalter zum Herzogtum Schlesien, einem Nebenland des Königreichs Böhmen, fiel 1526 an Habsburg und 1740 an Preußen. Dieses Herzogtum Schlesien, das von 1740 bis 1945 eine preußische Provinz war, war keineswegs nur "das ganze 19. Jahrhundert hindurch… von Deutschen bestimmt", sondern seit 1163, als das Herzogtum lehnsabhängig vom Reich wurde. Möglicherweise meint aber Jerzy Buzek nicht Schlesien insgesamt, sondern lediglich die 1922 an Polen abgetretenen Gebiete Ost-Oberschlesiens mit Kattowitz, Pleß und Rybnik, zumal er den Ersten Weltkrieg erwähnt. Warum aber wird dann an anderer Stelle des Interviews von Gleiwitz gesprochen, das 1922 beim Deutschen Reich verblieb?

Spricht man mit polnischen Studenten, womöglich noch mit Germanisten, wo man Kenntnisse in deutscher Geschichte vermutet, werden die Antworten auch nicht klarer. So kann man heute, wo noch einige hunderttausend Schlesier im vereinigten Deutschland leben, auf Tagungen oder im Hörfunk die Meinung hören, Schlesien sei eigentlich immer ein "multikulturelles Land" gewesen, wo Polnisch, Tschechisch, Sorbisch, selbstverständlich auch Deutsch gesprochen wurde. Nach der Jahrtausendwende wird man vermutlich von polnischer Seite zu hören bekommen, daß die Deutschen in Schlesien vor 1945 eine Minderheit gewesen seien, schränkt man doch heute schon die "deutsche Zeit" Schlesiens auf die Zeitspanne von 1871 bis 1945 ein, also zwischen Reichsgründung und Ende des Zweiten Weltkriegs. Die preußische und österreichische Zeit davor zwischen 1526 und 1871 wird offensichtlich als nichtdeutsch gewertet, wo Schlesien imperialen Mächten unterworfen war. Eine polnische Referentin auf einer Tagung über den ostdeutschen Dichter Johannes Bobrowski (1917–1965) im Herbst 1997 in Lübeck-Travemünde sprach schließlich von den "wiedergewonnenen piastischen Westgebieten". Auf meine Frage, ob das denn nicht nur, wenn überhaupt, auf Schlesien zutreffe, nicht aber beispielsweise auf Pommern, wurde entgegnet, die schlesischen Piastenherzöge hätten auch geplant, Pommern zu erobern, um sich einen Zugang zur Ostseeküste zu verschaffen!

Solche Antworten, die vielleicht nicht einmal aus böser Absicht, sondern aus purer Ahnungslosigkeit gegeben werden, verschlagen dem Zuhörer den Atem, auch wenn man sich damit beruhigt, daß das eben polnisches Geschichtsdenken sei. Leider nur hat diese Ahnungslosigkeit längst auch in deutschen Köpfen Wurzeln geschlagen.

Mag es manchmal noch schiere Ahnungslosigkeit sein, so mußte man bei der Berliner Ausstellung über die Kinderbuchautorin Else Ury (1877–1943) schon von böser Absicht sprechen (noch bis Ende August montags bis freitags 10–18 Uhr, am Wochenende 14–18 Uhr im Haus der Wannsee-Konferenz, Am Großen Wannsee 56–58). Die Verfasserin der zehn "Nesthäkchen"-Romane 1918/25, an deren 120. Geburtstag am 1. November 1997 zu erinnern war, ist während des Krieges als Jüdin im Konzentrationslager Auschwitz ermordet worden. Im schlesischen Krummhübel am Riesengebirge konnte sie sich, vermögend geworden durch ihre Buchhonorare, 1926 ein Haus kaufen wo sie bis Kriegsbeginn mit Mutter und Geschwistern immer die Sommer- und Winterferien verbrachte. In ihrem Roman "Hänschen Tunichtgut" (1920/21) ließ sie den von ihr verehrten Dichter Gerhart Hauptmann auftreten, die Erzählung "Das Rosenhäusel" (1930) spielt im Riesengebirge. Trotz dieser offensichtlich starken Bindung der Autorin an Schlesien, seine Landschaft und Mundart vermieden es die Ausstellungsmacher im Heimatmuseum Charlottenburg krampfhaft, den schlesischen Lebensabschnitt unter dem Namen "Schlesien" darzustellen. Verschämt und ausweichend steht über dem Schaukasten "In Rübezahls Reich". Selbst der Dichter Klabund (1890–1928), geboren als Alfred Henschke in Crossen an der Oder, das zwischen Guben und Züllichau liegt, hat unter dieser "Geschichtsvergessenheit" (Hans-Peter Schwarz) zu leiden. In einem Jahrbuch 1997/98 "Wanderungen durch Südostbrandenburg" werden der Dichter und die Einwohner Crossens als "Krosnoer" bezeichnet, wie es der polnischen Namensgebung entspricht. Einige Professoren, die aus den deutschen Ostgebieten stammen, sind auch schon dazu übergegangen, im "Deutschen Gelehrten-Kalender" ihren Geburtsort tunlichst zu verschweigen, so der 1939 in Heydekrug/Memelland geborene und in Münster lehrende Germanist Ernst Ribbat, ein Fachmann für ostdeutsche Literatur.

Den Gipfel solcher "Vergangenheitsbewältigung" erklomm freilich der Kölner Journalist Klaus Bednarz. In seiner Magazin-Sendung "Monitor" vom 17. Dezember 1997 wetterte der Redakteur penetrant dagegen an, daß auf dem Truppenübungsplatz Bergen-Hohne noch immer einige Gefechtsstände nach den ostdeutschen Städten Insterburg, Stallupönen und Tilsit benannt seien. Hier forderte er, der an Filmen und Büchern über Ostdeutschland üppig verdient hat, eine Geschichtsrevision, da das heute russische Städte seien. Sieht er nun wieder die apokalyptischen Reiter des westdeutschen "Revanchismus" gen Osten aufbrechen? Wann wird er endlich öffentlich dazu auffordern, dem Tilsiter Käse einen neuen Namen zu geben?

 

 
     
     
 
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