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Deutschland rüstet sich für den Pockenalarm. Die Pocken gelten seit Jahrzehnten als ausgerottet. Vorher starben jährlich etwa zwei Millionen Menschen an dieser Seuche. Deshalb wird auch seit 20 Jahren nicht mehr gegen diese Krankheit geimpft, die Impfstoffvorräte wurden weltweit vernichtet.
Die Viren können genetisch resistent gemacht werden
Doch gerade der Sieg über eine der ehemals furchtbarsten Geißeln der Menschheit macht das Pockenvirus so gefährlich. Denn schon längst könnte das, was nur noch unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen in den Labors der Militärs in Rußland und den USA gezüchtet wird, in Terroristenhand gelangt sein. Islamistische Fanatiker wittern vielleicht schon ihre Chance, Deutschland mit den schwarzen Blattern zu überziehen und das Land so, ohne Anwendung klassischer terroristischer oder militärischer Mittel, innerhalb kurzer Zeit zu Boden zu zwingen. Beweise hierfür gibt es indes noch nicht.
Vor dem Hintergrund dieses nicht sehr wahrscheinlichen Szenarios trifft die Bundesregierung Vorkehrungen, um im Ernstfall sofort die gesamte Bevölkerung impfen zu lassen. Bundesweit werden Impfvorräte angelegt und Ärzte in der Erkennung und Behandlung von Pockenfällen geschult. Eine vorbeugende Impfung "für alle Fälle" ist derzeit nicht möglich. Der Impfstoff wird von der Bundesregierung unter Verschluß gehalten und erst dann zur Verfügung gestellt, wenn der erste Pockenfall weltweit aufgetreten ist. Tritt die Krankheit dann auch in Deutschland auf, sollen innerhalb von fünf Tagen alle Personen in dem betroffenen Gebiet und anschließend die gesamte Bevölkerung zwangsgeimpft werden. Dann werden nicht nur staatliche Impfstellen aktiv, sondern auch die Hausärzte werden verpflichtet, bei der Massenimpfung mitzuhelfen. Die Impfung erfolgt mit einer neuen Lanzentechnik, bei der Infusionslösung gespart wird. Dabei dringt der Impfstoff in die Haut ein und verbreitet sich im ganzen Körper. Das Risiko, daß der Impfling andere ansteckt, ist nicht sehr groß. Treten keine Komplikationen auf, hat der Patient in ein bis zwei Wochen alles überstanden.
Biologische Waffen: Eine neue Dimension des Terroristischen Kampfes
So jedenfalls sieht es das Impfmodell vor, das eine Kommission von Gesundheitsexperten des Bundes und der Länder erarbeitet hat. Kritiker einer Massenimpfung bezweifeln allerdings deren Erfolg, denn Pockenviren lassen sich genetisch manipulieren, wodurch sie resistent gegen die durch die Impfung erzeugten Antikörper werden.
Nur in zwei Labors werden die Erreger gezüchtet
Ungeklärt ist bislang auch, was mit den Menschen geschieht, für die eine Pockenimpfung eine Gefahr für Gesundheit und Leben darstellt. Nach ersten Schätzungen wäre eine Pockenimpfung für jeden fünften zu gefährlich, möglicherweise sogar tödlich. Deshalb wird auch im Notfall eine individuelle Untersuchung und die Erstellung einer Nutzen-Risiko-Analyse für jeden einzelnen Patienten unverzichtbar sein. Die Risikopatienten würden zunächst zu Hause isoliert werden, um sie vor einer Infektion zu schützen. Dies könnte allerdings nur eine vorübergehende Maßnahme sein. Was dann mit den Nichtgeimpften geschehen soll, weiß bislang noch niemand.
Noch ungeklärt ist auch, wer für etwaige Impfschäden aufkommt. Die zur Impfung herangezogenen Hausärzte dürften kaum bereit sein, für Komplikationen bei einer staatlich verordneten Massenimpfung die Haftung zu übernehmen. Ungeachtet der beträchtlichen Impfrisiken und der bisher fehlenden Regelungen für die praktische Durchführung einer so kurzfristigen Massenimpfung will die Bundesregierung bei Pockenfällen in Deutschland trotzdem eine Impfpflicht für die gesamte Bevölkerung verfügen.
Alles nur Panikmache? Der anerkannte deutsche Biowaffen-Experte Jan van Acken hält die Pockenangst für unbegründet. Seiner Meinung nach ist die Wahrscheinlichkeit einer von Terroristen hervorgeru- fenen Pockenepidemie so hoch wie ein Asteroideneinschlag oder "wie die Invasion von der Wega". Der amerikanische Fachjournalist Richard Preston hält dagegen. In seinem neuen Buch "Superbox" beschreibt er den Albtraum eines Terrorangriffs mit genmanipulierten Pockenviren. Zweifellos ist dieses Horrorszenario möglich, doch Preston macht nicht deutlich genug, daß es nicht sehr wahrscheinlich ist.
Tatsächlich werden Pockenviren nur in zwei hochgesicherten Militärlaboratorien in den USA und in Rußland gezüchtet. Während die amerikanische Einrichtung als sicher gilt, gibt es immer wieder Geheimdienst- und Presseberichte über Sicherheitslücken in dem russischen Labor. Danach sollen mehrere Staaten, unter ihnen der Irak, Iran, Indien, Israel, Nordkorea und Frankreich, tiefgefrorene Pockenkulturen lagern. Solche Meldungen gibt es auch über andere Bereiche der militärischen Forschung in den ehemaligen Teilrepubliken der Sowjetunion. Der Verdacht liegt nahe, daß Wissenschaftler und Militärs, die zumeist nur über ein karges Gehalt verfügen, nicht nur ihr Wissen, sondern auch Materialien weltweit gegen harte Währung anbieten, an denen die sogenannten "Schurken- staaten" wie Libyen oder der Irak, aber auch global agierende Terrororganisationen Interesse haben könnten. In der Sowjetunion wurden nach Erkenntnissen der Weltgesundheitsorganisation 20 Tonnen waffentauglicher Pockenviren hergestellt und Versuche mit Gefechtsköpfen zu deren Verbreitung gemacht. Noch ist ungeklärt, wo alle diese Krankheitserreger geblieben sind.
Trotzdem ist es eher unwahrscheinlich, daß gerade Pockenviren auf diese Weise in die falschen Hände geraten sind. Denn anders als beispielsweise der Milzbranderreger, vor dem sich die Welt noch vor kurzer Zeit fürchtete, lassen sich Pockenviren weder leicht produzieren noch einfach aufbewahren oder ausbringen. So ist das Pockenvirus als biologische Waffe für den verdeckten Kampf denkbar ungeeignet. Denn die Ausgangsmaterialien für derartige Waffen müssen leicht zu beschaffen sein und dürfen nicht viel kosten, die Herstellung muß einfach sein, und die Produktionsstätten müssen sich leicht einrichten, betreiben und tarnen lassen. Und abgesehen von Selbstmordattentätern dürfen die Täter aus Gründen des Eigenschutzes nur solche Biokampfstoffe einsetzen, gegen die wirksame Medikamente und Impfstoffe vorhanden sind.
Der Pockenerreger erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Er ist nur aus den beiden genannten Quellen zu beschaffen und nicht so einfach in der heimischen Giftküche zu züchten. Seine Handhabung wäre nur etwas für Selbstmörder, da das Impfserum nicht frei erhältlich ist. Da das Virus nicht umweltbeständig ist, ließe es sich auch nicht so ohne weiteres ausbringen. Zwar kann es sich mit der Luft verbreiten, aber diese Form der Ausbringung wäre angesichts des Zieles, innerhalb kürzester Zeit riesige Menschenmengen zu töten, nicht effektiv genug. Die wirksamste Möglichkeit, weite Bevölkerungsteile zu kontaminieren, wäre, daß Attentäter, die damit selbst dem Tod geweiht wären, sich mit dem Virus infizieren und es durch direkten Kontakt auf dem Wege der Schmier- und Tröpfcheninfektion an andere Menschen weitergeben. Um einen möglichst großen Streueffekt zu erreichen, müßten dafür Orte ausgewählt werden, wo sich viele Menschen versammeln: Einkaufszentren, Sportstadien, Theater, Bürohäuser, große Warteräume, der öffentliche Nahverkehr.
Diese "asymetrische Form" der Kriegführung mit biologischen Kampfstoffen bietet die beste Möglichkeit, einem übermächtigen Gegner größtmöglichen Schaden zuzufügen. Damit würde eine neue Dimension des terroristischen Kampfes eröffnet. Während es bisher darum ging, Sachwerte zu zerstören oder bestimmte Personen zu töten, Unbeteiligte aber zu schonen, würde sich die Biowaffe gezielt auch gegen Unschuldige und Hilflose richten. Denn biologische Kampfstoffe töten Menschen in großer Zahl; Sachschäden entstehen nicht, und die Wirkung der eingesetzten Mittel läßt sich nicht steuern. Selbst bei einem begrenzten Einsatz von biologischen Kampfstoffen besteht daher immer die Gefahr einer unvorhersehbaren und unkontrollierten weltweiten Epidemie, die Menschen aller Nationalitäten, Rassen und Glaubensrichtungen unterschiedslos träfe. Dies kann aber weder im Interesse eines Diktators noch einer Terrororganisation sein.
US-Präsident Bush begründet den von ihm geplanten Feldzug gegen den Irak unter anderem damit, daß Saddam Hussein Pockenviren züchten ließe, um sie gegen die Länder der Kriegskoalition einzusetzen. Dies ist aus den genannten Gründen eher unwahrscheinlich. Selbst wenn der Irak über Pockenviren verfügen sollte, würde der "Irre von Bagdad", dem ansonsten viel zuzutrauen ist, sicher zögern, sie einzusetzen. Er ist ein machtverliebter Tyrann und kein Märtyrer, und seine Anhänger sind keine religiös-fanatischen Selbstmörder.
Die Maßnahmen der Bundesregierung dienen der Vorbereitung auf einen eher unwahrscheinlichen Notfall. Sie sieht derzeit auch selbst keine akute Gefährdung. Für die Angst vor einer Pockenepidemie gibt es also keinen Grund. |
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