|
Im Streit um das vom Bund der Vertriebenen und den Freundeskreisen geplante "Zentrum gegen Vertreibungen" in Berlin ist der polnischen Seite eine neue Variante eingefallen: Der Vizepräsident des polnischen Parlaments, Marek Kotlinowski, überraschte mit der Feststellung, die deutsche Hauptstadt sei "ein guter Ort" für eine Gedenkstätte. Allerdings denkt er dabei nicht an eine Erinnerungsstätte an das Leiden der aus dem Osten vertriebenen Deutschen, sondern ein "Zentrum des polnischen Martyriums", also eine erneute einseitige Betonung einer polnischen Opferrolle. Es gehe ihm aber "nicht um Revanchismus ", sondern darum, an die "gemeinsame Geschichte" zu erinnern und "den Weg zur deutsch-polnischen Freundschaft" zu weisen, betonte er im "Neuen Deutschland", jener Zeitung, die auch schon zu Zeiten des Warschauer Paktes eine unangenehme Nähe zu den bei Deutschlands östlichen Nachbarn Regierenden pflegte. Kotlinowski, der auch Vorsitzender der regierungsnahen LPR ist, äußerte sich leider nicht dazu, ob er sich im Gegenzug auch ein "Zentrum des deutschen Martyriums" in Warschau vorstellen könnte. So scheint sich, wie auch nachfolgender Hintergrundbeitrag belegt, an der selektiven Wahrnehmung und Darstellung der Geschichte vorerst nichts zu ändern.
Für viele Deutsche besteht die Schwierigkeit, mit dem polnischen Nachbarn zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zu gelangen, in den ständigen Bemühen polnischer Massenmedien wie auch namhafter polnischer Politiker, dem eigenen Volk die Rolle des ständigen Opfers in der Vergangenheit zuzuschreiben, während die Deutschen zu Dauerschuldigen gestempelt werden. Die Absicht ist klar: Man will moralische Überlegenheit gegenüber Deutschland bewahren, die dann bei Bedarf instrumentalisiert wird, wobei es häufig nicht einmal notwendig ist, sie noch einmal den deutschen Verantwortlichen gegenüber deutlich zu wiederholen. Die deutsche Schuld ist im Bewußtsein der deutschen politischen Klasse permanent vorhanden, so daß der geringste Wink von polnischer Seite genügt, um bei den Deutschen den Schuldkomplex zu aktivieren, der sie willfährig auf die polnischen Forderungen eingehen läßt.
Typisches Beispiel für die Reinwaschung Polens von jeder politisch-historischen Verantwortung liefert immer wieder Wladyslaw Bartoszewsky, der zwei polnischen Regierungen als Außenminister diente und als Buchautor und scharfsinniger Intellektueller bei der deutschen politischen Klasse geschätzt wird. Er fand vor einigen Jahren sogar eine halsbrecherische Argumentation, um die Polen selbst von der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten von Schuld frei zu sprechen. Nach seiner Auffassung sei die Annexion großer Teile Deutschlands „nicht das Ergebnis einer freien Willensäußerung unserer (der polnischen) Gesellschaft“ gewesen, ja, sie sei nicht einmal „zur ungetrübten Freude für die Polen“ geschehen. Die Polen hätten viel lieber die 1920 (mit militärischer Gewalt eroberten) östlichen Gebiete (die allerdings überwiegend mit Ukrainern beziehungsweise Weißrussen besiedelt waren, was Bartoszewsky allerdings nicht erwähnte) behalten. Auch in der Rolle der Vertreiber der Deutschen seien die Polen eher Opfer des Zweiten Weltkrieges als Sieger gewesen. Verursacht hätten das Ganze Hitler und die Deutschen, in zweiter Linie aber, und er nennt sie namentlich, „Churchill, Attlee, Roosevelt und Truman“, die „kein besseres Rezept als den Bevölkerungstransfer“ gesehen hätten, um funktionsfähige Staaten zu schaffen. Und seine Biedermann-Rede schlägt ins Zynische um, wenn er die Meinung vertritt, die deutschen Vertriebenen hätten „nicht die schlechteste Karte gezogen“, denn „ihre Kinder und Enkel wurden geboren und wuchsen auf als freie Bürger Westdeutschlands und Europas“, wobei man versucht ist hinzuzusetzen: soweit sie den „Bevölkerungstransfer“ überlebt hatten.
Es verschlägt einem den Atem angesichts solcher ebenso heuchlerischer wie verlogener Argumentation. Aber die polnische Propaganda hat bis jetzt ihre politischen Ziele erreicht. Die Deutschen fühlen sich als die Schuldigen und sehen die Polen als nichts anderes denn als Opfer.
So bedeutete es denn für beide Seiten, die solchen Legenden folgten, einen harten Schlag, als viele Jahrzehnte nach Kriegsende bekannt wurde, daß im östlichen Polen während des Zweiten Weltkrieges Polen viele hundert Juden umgebracht haben, und das aus keinem anderen Grund als dem, daß sie Juden waren. Und heute noch gibt es polnische Versuche, die unumstößlichen Tatsachen dadurch zu bemänteln, daß die antisemitischen polnischen Ausschreitungen durch Deutsche animiert worden seien.
Dabei war der polnische Antisemitismus längst vor 1939 virulent. Juden, die in Polen wie auch etwa in der Sowjetunion nicht als Religionsgemeinschaft, sondern als nationale Volksgruppe angesehen wurden, machten bei der ersten Volkszählung des wiederbegründeten Polens 1921 fast acht Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Das heißt es lebten 2,1 bis 2,8 Millionen Juden innerhalb der polnischen Grenzen. Das waren mehr als doppelt so viele wie die Angehörigen der deutschen Volksgruppe in Polen. Auch sie waren in den Augen vieler Polen Fremdkörper, die das einheitliche nationale Bild eines polnischen Polens störten. Von den Juden wurden bis 1938 weit über eine halbe Million zur Auswanderung gedrängt.
Ein bezeichnendes Licht auf die antisemitische öffentliche Meinung wirft ein Bericht der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika in Warschau an den US-Außenminister vom 7. Oktober 1937. Der Botschafter zitiert darin Berichte aus polnischen Zeitungen als Belege für seine Beobachtungen. Danach wurden in polnischen Universitäten und Gymnasien Regelungen eingeführt, wonach jüdische Studenten in Hörsälen und Klassenräumen von ihren polnischen Kommilitonen getrennt sitzen mußten. Polnische Studenten hatten sich geweigert, mit jüdischen Kommilitonen gemeinsam auf einer Bank zu sitzen. „Es heißt, daß jüdische Studenten während aller Veranstaltungen in den Lehrsälen standen, und dies während der letzten zwei Jahre. Zahlreiche jüngere deutsche Studenten saßen während ihrer ganzen Universitätszeit nicht.“ Der Beobachter zitiert „führende jüdische Kreise in Polen“, die davon überzeugt sind, daß dieses antisemitische System in Polen bald auf andere Gebiete ausgedehnt wird, so etwa auf öffentliche Verkehrsmittel, Theater, in denen jüdische Zuschauer separiert von christlichen Platz nehmen müßten. Sie drückten ihre Überzeugung aus, daß diese Regelungen, die aufgrund einer Absprache der Rektoren an den polnischen Universitäten und Gymnasien verfügt wurden, die Billigung der Regierung hätten. (Quelle: „Warszawski Dziennik Narodowy“ vom 6. Oktober 1937)
Solche Fakten passen nicht in das Bild engelreiner Unschuld. Ebenso wirklichkeitsfern ist die Legende, die Polen hätten während der deutschen Besatzung einhellig Widerstand geleistet. Daß dem ganz anders war, kann man in Klaus-Peter Friedrichs Beitrag in dem in der Reihe „Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus“ in Hamburg erschienenen Buch „Kooperation und Verbrechen – Formen der ‚Kollaboration‘ im östlichen Europa 1939–1945“ nachlesen, der über Zusammenarbeit und Mittäterschaft in Polen berichtet. Sehr bald nach der polnischen Niederlage gegenüber den Armeen des Deutschen Reiches und der Sowjetunion 1939 boten polnische Kreise dem Reich eine Zusammenarbeit an. Den Ursprung hatten solche Absichten in der Bedrohung, die die Polen in der Sowjetunion witterten. Die deutsche Seite zögerte, obgleich bei ihr in den ersten Monaten nach dem deutsch-polnischen Krieg Pläne erörtert wurden, einen unabhängigen polnischen Reststaat zu schaffen, Pläne, die aber ad acta gelegt wurden, als Polen zum Aufmarschgebiet der Wehrmacht für einen bevorstehenden Krieg gegen die UdSSR wurde. So lehnte Deutschland auch die von dem ehemaligen polnischen Ministerpräsidenten Professor Leon Kozlowski vorgelegten Pläne für eine deutsch-polnische Zusammenarbeit ab, die gegen die Sowjetunion gerichtet war. Die Bereitschaft, mit dem Deutschen Reich zusammenzuarbeiten, stieg, nachdem Polen Erfahrungen mit der sowjetischen Besatzung der ostpolnischen Gebiete gemacht hatten. Nun, da man erkannt hatte, wie Großbritannien trotz seiner Garantie für den polnischen Staat keinen Finger für Polen rührte, sah man die Rettung nur noch in einer Kooperation mit den Deutschen, denn die sowjetische Polen-Politik war eindeutig auf Vernichtung der polnischen Bevölkerung ausgerichtet. Weit über eine Million Polen aus den von ihnen besetzten Gebieten deportierten die Sowjets nach Zentralasien und Sibirien.
Das restpolnische Gebiet erhielt den Status eines Generalgouvernements, das von einem deutschen Generalgouverneur beherrscht wurde. Der aber mußte sich auf einheimische Kräfte stützten, um Verwaltung, Wirtschaft, Verkehr und ähnliches zu organisieren. Autor Friedrich stellt fest, daß alle polnischen Kreise mit den deutschen Behörden zusammenarbeiteten. Daran änderte auch die im Laufe des Krieges im Geheimen sich entwickelnde „Polnische Heimatarmee“ nichts, die zunächst, gelenkt aus London von der polnischen Exilregierung, einen scharf antideutschen Kurs steuerte. Gerichte des polnischen Untergrundes verurteilten wegen ihrer intensiven Zusammenarbeit mit den Deutschen 10000 bis 12000 Polen. Nach heutigen Schätzungen waren bis Mitte 1943 zirka 206000 polnische Verwaltungsangestellte und Beamte in den Kreisen des Generalgouvernements unter deutscher Leitung tätig. Die Gemeinden wurden von polnischen Bürgermeistern geleitet, die von der deutschen Seite ernannt wurden. Es gab eine polnische Polizei, die durchaus funktionierte. Die polnische Agrargenossenschaft „Spolem“ kaufte Agrarprodukte auf und verkaufte sie an die Deutschen. Überall im Generalgouvernement gab es polnische Genossenschaften, die mit der „Spolem“ gut zusammenarbeiteten. Mit Unterstützung der deutschen Verwaltung und der katholischen polnischen Kirche wurde der „Hauptfürsorgerat“ (RGO) gegründet, der Spenden und Hilfslieferungen aus dem Ausland an notleidende Polen verteilte. Er wurde gebildet aus Konservativen, Adeligen, Angehörigen des polnischen Großbürgertums sowie vormaligen Funktionsträgern des inzwischen nicht mehr existenten polnischen Staates. Der Vorsitzende war Graf Adam Feliks Ronikier, ein glühender polnischer Patriot, der bereit war, mitzuwirken an einer deutsch-freundlichen polnischen Regierung. Im Frühjahr 1943 schlug die RGO den deutschen Stellen vor, eine polnische Bürgerwehr zu gründen, was aber deutscherseits abgelehnt wurde. Immer wieder bemühte sich Graf Ronikier, die Deutschen zu einer Änderung ihrer antipolnischen Politik zu bewegen, dabei bekämpft vom polnischen Widerstand im Untergrund, der solche Bemühungen für sinnlos hielt, aber auch abgelehnt von der in ideologischer Blindheit befangenen deutschen Seite. Ziel war eine deutsch-polnische Politik, die gegen den Bolschewismus gerichtet war. Mit Protesten wandte er sich bei deutschen Behörden gegen die Verfolgung, ja, Erschießungen von Polen durch die deutschen Behörden, bis der deutsche Generalgouverneur den Grafen als Vorsitzenden der RGO absetzte. 1945 floh er zusammen mit den Deutschen in den Westen.
Die polnische Bevölkerung war in ihrer großen Mehrheit uninteressiert am Schicksal der noch in Polen lebenden Juden, die von der deutschen Besatzungsmacht systematisch verfolgt wurden. Sie sahen sogar in der Judenverfolgung eine Fortsetzung der polnischen Ablehnung der Juden vor dem September 1939, gab es doch schon damals Bestrebungen, den jüdischen Einfluß auf die polnische Wirtschaft, der als zu hoch angesehen wurde, zurückzudrängen. Um aus dem Vielvölkerstaat Polen einen Nationalstaat zu machen, bemühten sich staatliche wie private Organisationen, die Juden aus dem Lande zu drängen. Während der Besatzungszeit gab es immer wieder Zwischenfälle. Bewaffnete Gruppen, von denen einige bis zu 500 Personen stark waren, überfielen jüdische Geschäfte. Auch in Polen war zwischen den Kriegen die Parole von dem „jüdischen Kommunismus“ im Schwange, den es zu bekämpfen gelte. Auch die polnische katholische Kirche, so der Autor Friedrich, scheint sich am Schicksal der verfolgten Juden uninteressiert gezeigt zu haben. Allgemein wurden die Juden ebenso wie die Ukrainer, Weißrussen, Deutschen und die anderen nationalen Minderheiten in Polen als „Fremde im polnischen Haus“, angesehen, derer man sich entledigen sollte, um ein polnisches Polen entstehen zu lassen. Diese These war bekanntlich auch das Argument für Winston Churchill, der Vertreibung der Deutschen aus Polen am Ende des Zweiten Weltkrieges zuzustimmen.
Friedrich zitiert aus polnischen Aufzeichnungen, daß Teile der polnischen Bevölkerung jüdische Wohnungen ausplünderten, nachdem deren Bewohner von der deutschen Besatzungsmacht herausgeholt worden waren, um deportiert und schließlich getötet zu werden. „Die Stimmung unter der einfachen Bevölkerung“, so das Zitat, „… sei vom Antisemitismus und von Haß ‚infiziert‘ gewesen: ‚Diese Menschen sagten, daß es gut sei, daß die Deutschen den Juden das Arbeiten beibringen, daß sie Ordnung machen‘, und sie beschuldigen die Vorkriegsregierungen, weil sie ‚den Juden zuviel erlaubt hatten‘.“
Friedrich stellt fest, daß es eine polnisch-deutsche Zusammenarbeit gegen gemeinsame Gegner – Kommunisten und Juden – gab.
Anfang 1944 gab es eine praktische Zusammenarbeit zwischen polnischen Untergrundverbänden und der deutschen Wehrmacht beziehungsweise der Sicherheitspolizei. Die national gesinnten Polen erkannten, daß ein Sieg der Sowjetunion für Polen eine Katastrophe bedeuten würde. Lokale Führer der polnischen im Untergrund tätigen Heimatarmee und deutsche Stellen nahmen Verhandlungen auf über eine mögliche Zusammenarbeit im Kampf gegen die Sowjets. Solche Bemühungen wurden der Heimatarmee von der polnischen Exilregierung in London verboten, nachdem es zu teilweise umfangreichen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen national-polnischen und kommunistischen Partisanenverbänden gekommen war, wobei die polnische Heimatarmee nicht selten von der deutschen Seite mit Waffen ausgerüstet worden war.
Wenn die aus taktischen Gründen von der polnischen Führung bisher der Öffentlichkeit sorgsam ferngehaltenen historischen Tatsachen einmal offenkundig werden, dann stellt sich heraus, daß die polnische Seite keinen Grund hat, sich gegenüber ihren deutschen Nachbarn moralisch zu erheben. „Ein jeder kehre vor seiner Tür, und rein ist jedes Stadtquartier.“ Die Deutschen kehren seit 60 Jahren vor ihrer Tür. Jetzt ist die andere Seite dran. |
|