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Mit dem Machtwechsel an der Spitze der chinesischen KP, wie er Mitte November erfolgt ist, ändert sich auch der Führungsstil. Er wird kollegialer, schätzt die französische Universitätsprofessorin und Sinologin Marie Holzman, die wir kürzlich in Paris getroffen haben. Wie allgemein in der Presse berichtet, wird Hu Jintao Jiang Zemin als Parteivorsitzender folgen.
Nach Ansicht von Frau Holzman, die den Lehrstuhl für die "zeitgenössische chinesische Gesellschaft" in Paris-Jussieu innehat, bedeutet das allerdings keinen Machtwechsel in Peking und vor allem nicht, daß Jiang Zemin seine ganze Macht verlieren wird, nur weil das chinesische Politbüro statt fünf Mitglieder sieben zählen wird. Insgesamt könnte die neue Kollegialführung der KP Chinas jedoch eine gute Sache für die Dissidenten sein, da nun eher verschiedene Ansichten im Politbüro zu Gehör kommen.
Frau Holzman verweist darauf, es sei sehr schwierig für diejenigen, die sich für die Lage im Reich der Mitte interessieren, erstklassige Auskünfte zu erhalten. Trotzdem meint sie, die Überraschung sei gerade, daß der Machtwechsel ohne Überraschung erfolgt ist. Insofern glaubt sie, China habe endgültig die kommunistischen Illusionen aufgegeben, um den Weg des Wirtschaftswachstums einzuschlagen. So gesehen, sei es unmöglich, Prognosen über die mittel- und langfristige Zukunft Chinas zu machen, denn dieses Land sei "ein Vulkan", der viele Ausbruchsrisiken in sich berge. Der Hauptgrund für diese Risiken liege darin, daß China über eine gewaltige Masse von Bauern verfüge, die unerbittlich durch die Öffnung Chinas zur freien Marktwirtschaft in die Sackgasse der Arbeitslosigkeit gedrängt werden. Nach Meinung unserer Gesprächspartnerin sei es eine Errungenschaft der Führung von Jiang Zemin, China weltoffener gemacht zu haben. Der Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation WTO, wie Jiang Zemin ihn erreicht habe, stelle allerdings eine große Gefahr für das chinesische Bauerntum dar, das gegen den Wettbewerb der amerikanischen Getreideexporteure nicht gewappnet sei. China sei auf dem Agrarsektor nicht Konkurrenzfähig, so Holzmann. Alles in allem könnte der Wirtschaftsboom Chinas fortdauern, denn zur Zeit sei die Weltwirtschaft auf "Entlokalisierung" angewiesen und China verfüge über einen Überfluß von Arbeitskräften, die sich nach Arbeit zu geringen Löhnen sehnen.
Die chinesischen Handelsüberschüsse gegenüber den USA belegen, daß Peking die aufsteigende Wirtschaftsmacht in Ostasien ist. 2002 erreichte China sogar einen Überschuß gegenüber Japan, und zwar zum ersten Mal im beiderseitigen Handel. Außenpolitisch bedeuten die Überschüsse des Außenhandels (der übrigens seit den neunziger Jahren nicht mehr staatlich ist) einen Trumpf für Pekings Führung. In seinen Beziehungen mit Rußland genieße nun China eine umgekehrte Stellung im Vergleich zu derjenigen, die es während des zwanzigsten Jahrhunderts hatte. Obschon Rußland China weiter mit Waffenlieferungen versorge, habe Rußland Angst vor China.
Der Grund dafür sei dem Vernehmen nach die Anwesenheit von Chinesen in Ostsibirien, die heimlich Forstwirtschaft betrieben. Der Kreml, der die chinesische Unterstützung gegen die Islamisten in Zentralasien brauche und die Führung Chinas, die selbst gegen Islamisten in Sinkiang zu kämpfen habe, stilisiere die Probleme Ost- sibiriens nicht gern hoch. In diesem Zusammenhang glaubt Frau Holzman, daß geostrategisch ein Zweiergespann Moskau-Peking derzeit nicht aktuell ist und das Dreieck China-Indien-Rußland "sehr labil" sei.
Auf jeden Fall unterstütze die chinesische Führung die Moskauer Politik und den daraus folgenden Krieg in Tschetschenien. China gehöre aber zu den pro- arabischen Mächten, die diese auch militärisch unterstützten. Im Falle eines neuen Irak-Krieges sei ein Kuhhandel der chinesischen Regierung wie beim ersten Krieg 1991 nicht auszuschließen, obschon der Nahe Osten eine Region sei, wohin Peking hochentwickelte Waffen ausführe. Außerdem war damals Yassir Arafat stets ein willkommener Gast in der chine- sischen Hauptstadt. |
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