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SBZ-Enteignungen:Kommt Kanzler Kohl vor Gericht?

 
     
 
Gehört Helmut Kohl vor Gericht? Ja, meint der stellvertretende Bundesvorsitzende des Bundes Freier Bürger (BFB), Markus Roscher. Der Berliner Jurist hat Strafanzeige gegen den Kanzler gestellt. Gleich mit auf der Anklagebank will Roscher sehen: Ex-DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière, Außenminister Klaus Kinkel, Dieter Kastrup, Wolfgang Schäuble
und Friedrich Bohl. Die Anzeige lautet "Falsche uneidliche Aussage sowie Verleitung zur Falschaussage".

Ausgelöst hat die Klage Michail Gorbatschows Rede in Berlin vom 1. März (Das berichtete). Dort hatte der einstige erste Mann der Sowjetunion klipp und klar ausgesprochen, was Bonn bislang hartnäckig leugnet: Wie Deutschland die 1945 bis 1949 durchgeführten Enteignungen in der Sowjetzone heute behandelt, ob Bonn sie aufhebt oder (wie von der Regierung vorgesehen) das Unrecht einfach bestehen läßt, ist eine allein innerdeutsche Angelegenheit. "Für mich klingt es absurd, wenn man behauptet, ich habe die Unumkehrbarkeit der Bodenreform zur Vorbedingung der Wiedervereinigung gemacht", so Gorbatschow. Es sei darüber nie auf höchster Ebene gesprochen worden, es gebe auch keine Verträge, nicht einmal formlose Übereinkommen. Das Politbüro der KPdSU habe die Sache erst gar nicht erörtert.

Dies steht im krassen Widerspruch zu den Erklärungen aus Bonn. Nach dem Motto "Die Russen sind an allem schuld" wird dort noch immer behauptet, Moskau habe über die Wiedervereinigung überhaupt erst verhandeln wollen für den Preis der Unumkehrbarkeit der Bodenreform. Eine Lüge, wenn Gorbatschow recht hat. Eine Lüge, auf der der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts fußt, die Enteignungen nicht rückgängig zu machen. Karlsruhe sah sich in der mißlichen Lage, zwei fundamentale Verfassungsgüter gegeneinander aufwiegen zu müssen: das Recht auf Eigentum und die Freiheit und Einheit der Nation. Die höchsten deutschen Richter entschieden sich für letzteres, nachdem ihnen die Bonner Regierungsvertreter, darunter auch der Verhandlungsführer Bonns mit Moskau in Sachen Einheit, Staatssekretär Dieter Kastrup, erklärt hatten, daß das eine nur gegen das andere zu haben gewesen sei.

Der BFB-Vize nennt das, nachdem Gorbatschow die Bonner Auslegung für frei erfunden erklärt hat, einen "Höhepunkt staatlichen Raubrittertums". Seine Strafanzeige gegen Kohl, Schäuble und die anderen an dem Coup zentral beteiligten Bonner Politgrößen hat Roschers Angaben zufolge bereits breite Unterstützung erhalten. So etwa von der "Interessengemeinschaft Haus- und Grundeigentümer in den Neuen Bundesländern e.V.", betroffenen Privatleuten sowie dem Hamburger CDU-Rebellen Heiko Peters.

Lothar de Maizière versucht sich nun mit der Entgegnung aus der Affäre zu ziehen, Gorbatschow sage die Unwahrheit. Davon zeigt sich Markus Roscher allerdings ziemlich unbeeindruckt: "Wem soll ich mehr glauben: einem Politiker, der durch Glasnost und Perestroika eine monströse Diktatur beendet hat, der den Anfang vom Ende der Spaltung Europas einläutete und den Deutschen damit einen historischen Dienst von unschätzbarem Wert leistete, oder einem Mann, der bis heute den Vorwurf nicht entkräften konnte, für die Stasi gearbeitet zu haben?", so der BFB-Politiker.

Der so gescholtene CDU-Mann übt sich indes in Häme: Gegenüber dem "Spiegel" witzelte de Maizière: "Aber vielen (Alteigentümern) geht es nicht um Patriotismus, sondern ums Portemonnaie. Deren Heimatliebe ist dort am größten, wo die Böden am besten sind."

Frechheit siegt, so scheint die neue Bonner Losung nach den unerwünschten Worten Gorbatschows zu lauten. Schlimmer noch, so Roscher, die Menschen in Mitteldeutschland würden von der Regierungspolitik bewußt verunsichert. Den Alteigentümern gehe es – wie diese auch selbst immer wieder herausgestrichen haben – nur um noch in Staatsbesitz befindliche Immobilien; wer einst enteigneten Boden o. ä. später redlich erworben habe, bleibe unbeeinträchtigt. Dies werde von Leuten wie de Maizière stets verschwiegen, offenbar um Ängste zu schüren.

Für Kohl kann der Vorgang einen schweren Vertrauensverlust gerade bei alten CDU-Stammwählern auslösen – mitten im Wahljahr.

 
 
     
     
 
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