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Alexander Marinesco, Kapitän Dritten Ranges der Rotbannerflotte, der sowjetischen Kriegsflotte, galt unter seinen Kameraden nicht nur als Frauenheld, sondern auch als Trinker. So war der 1913 im Hafenviertel von Odessa zur Welt gekommene Offizier denn auch nicht an Bord, als am 2. Januar des letzten Kriegsjahres 1945 das unter seinem Kommando stehende Unterseeboot "S 13" auslaufen sollte. Nachdem er drei Tage durchgezecht hatte, mußte ihn erst die Militärpolizei aufspüren, bevor sein Boot am 11. Januar mit neuntägiger Verspätung endlich aus dem finnische n Hangö auslaufen konnte. Da den Sowjets die durch die deutschen Evakuierungsmaßnahmen und Rückzugsbewegungen verursachten starken deutschen Schiffsbewegungen in und vor der Danziger Bucht nicht unbemerkt geblieben waren, lauerte "S 13" hier auf deutsche Beute.
19 Tage nach dem Auslaufen von "S 13", am 30. Januar, verließ das ehemalige KdF-Flaggschiff "Wilhelm Gustloff" mit über 10000 Menschen, darunter etwa 9000 Flüchtlinge und 1000 U-Boot-Soldaten, um 12.30 Uhr Gotenhafen-Oxhöft Richtung Schleswig-Holstein. Fünfeinhalb Stunden später, um 18 Uhr, erreichte den Kapitän Friedrich Petersen die Funkmeldung, daß seinem Schiff ein aus mehreren Fahrzeugen bestehender Minensuchverband in geöffneter Formation mit zwölf Seemeilen Fahrt genau entgegenlaufe. Petersen befahl daraufhin, zur Verhinderung einer Kollision Positionslichter zu setzen.
Kaum, daß der Befehl ausgeführt war, wurden die Lichter vom wachhabenden Offizier des aufgetaucht fahrenden sowjetischen U-Bootes "S 23" gesichtet. Der sofort informierte Kommandant beschloß, daß deutsche Schiff so lange zu verfolgen, bis er mit seinem Boot eine günstige und erfolgversprechende Schußposition erhielt. Er entschied sich dafür, achtern um die "Gustloff" und das sie an Steuerbord begleitende Torpedoboot "Möwe" zu laufen und sie von der ungeschützten Küstenseite her anzugreifen. Marinesco ging dabei davon aus, daß die Deutschen von dieser wegen Untiefen und Minen für U-Boote riskanten Seite keinen Angriff erwarteten und die Wachposten sich darauf konzentrierten, die See abzusuchen.
Tatsächlich war Marinescos Plan recht riskant, doch der Ehrgeiz war stärker als die Vorsicht. Er ließ "S 13" volle Fahrt laufen, bis es sich auf einem Parallelkurs zum ausgeguckten Opfer und der Küste befand. Nach zwei Stunden war die "Gustloff" überholt. Gegen 22.45 Uhr Moskauer Zeit, als das Boot und das Schiff etwa zwei Kilometer trennten, gab der Navigationsoffizier Redkoborodow die zur Vorbereitung des Angriffs nötigen Befehle.
Die vier Bugtorpedos, die der Maat Pichur mit Genehmigung des Politkommissars Kapitänleutnant Wladimir Krylow schon vor dem Auslaufen mit den Aufschriften "Für das Vaterland", "Für Stalin", "Für das sowjetische Volk" und "Für Leningrad" versehen hatte, wurden für den Überwasserangriff fertig gemacht und auf eine Tiefe von drei Metern eingestellt. Um 23.08 Uhr Moskauer Zeit erfolgte gemäß dem Logbuch bei einer Entfernung zwischen 400 und 600 Metern der Feuerbefehl des Kommandanten. Je ein Torpedo traf das Vorschiff, das Schwimmbad und den Maschinenraum der "Wilhelm Gustloff".
Für das Schiff war der Angriff tödlich; für das Boot war er es nicht, aber er war gefährlich. Im Gegensatz zu den drei anderen Torpedos, die ihr Ziel trafen, hatte der Stalin gewidmete vierte feuerbereit geladene Bugtorpedo sein Rohr 2 nicht verlassen, sondern war vielmehr zur Hälfte in ihm steckengeblieben. Bei der kleinsten Erschütterung konnte die Zündung losgehen. Der Torpedoschütze, Bootsmann Erster Klasse Wladimir Kourotschkin, gab der Nummer 2 einen kräftigen Stoß, doch bewirkte dieses nichts. Es gelang jedoch nach dem Ausfall des Motors den Torpedo in das Rohr zurückzuschieben. Als dies geglückt war, konnte Kourotschkin die äußeren Klappen des Torpedorohres schließen und sichern. Es war das Glück der Besatzung, daß das Boot bei diesem gefährlichen Vorgang im noch aufgetauchten Zustand von der "Möwe" unbehelligt blieb, die mit der Aufnahme der Schiffbrüchigen voll ausgelastet war.
Nachdem die "S 13" endlich abgetaucht war, begannen die Deutschen mit ihrem Angriff. Obwohl die Wassertiefe nur 15 bis 20 Meter betrug und die deutschen Schiffe nach der Zählung Krylows 234 Wasserbomben abwarfen, blieb "S 13" unversehrt. Es erwies sich als Glück für die U-Boot-Besatzung, daß das zur Rettung der Schiffbrüchigen herbeigeeilte Torpedoboot "T 36" nur Schreckwasserbomben an Bord hatte. Nach vier Stunden gaben die Deutschen ihre Jagd auf. "S 13" konnte von der gefährlichen Küste ablaufen, um wenig später die sichere offene See zu erreichen. Der Tod von über 9000 Menschen, überwiegend Frauen, Kinder und Greise, blieb ungesühnt. D. Beutler
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