|
Das ist hohe Diplomatie. Wenn man eine Initiative blockieren oder neutralisieren will, dann macht man Vorschläge, ohne einen möglichen Veto-Partner zu konsultieren. Der wird vielleicht nicht gleich laut protestieren, aber es reicht ja, daß er die Faust in der Tasche ballt und bei Gelegenheit leise sein Nein ausspricht. Oder die Vorschläge sind so gut und allgemein einsichtig, daß niemand zu widersprechen wagt, und der Erfolg umstrahlt die Autoren des Vorschlags.
Der Schröder-Blair-Brief zur Reform des europäischen Ratssystems ist inhaltlich zwar diskussionswürdig, das Ei des Kolumbus ist er nicht, viele Vorschläge sind bekannt. Deshalb ist schwer vorstellbar, daß Frankreich diese Initiative nicht als Affront empfindet. Zumal Berlin früher solche Demarchen immer mit Paris auf den Weg gebracht hätte. Und überhaupt: Für Souveränität im Rat fühlt Frankreich sich allemal zuständig.
Ein europäisches Reformprojekt zu sabotieren oder auch zu fördern ist eine Sache. Eine historisch gesehen erst junge Freundschaft unter ehemaligen Erz- feinden zu gefährden eine andere. Denn daß nun schon zum zweiten Mal eine Blair-Schröder-Initiative auf dem europäischen Tisch liegt, muß in Paris zu denken geben. Ist die „Schicksalsgemeinschaft“, von der Adenauer und de Gaulle sprachen, zur bloßen Gemeinschaft, zur simplen Nachbarschaft verkommen? Oder ist die berühmte „entente élémentaire“, das Kernbündnis, das Willy Brandt und Pompidou beschworen, zum bloßen Bündnis unter anderen degradiert? Es wäre schon sehr erstaunlich und eigentlich „contre nature“, wenn Paris diese Herabstufung im deutsch-französischen Verhältnis nur so zur Kenntnis nähme. Die Kunst der Diplomatie gebietet es freilich, zunächst mit kühler Vernunft auf die neue deutsch-britische „entente cordiale“ zu reagieren. Aber ganz gleich, wie die politische Klasse in Paris öffentlich reagiert. Ein altes Vorurteil an der Seine wird wieder Auftrieb bekommen: Auf Deutschland ist im entscheidenden Moment kein Verlaß. Dieser Preis ist zu hoch für ein politisches Manöver.
Man kann es drehen und wenden, die Brüskierung der Franzosen wirft als sicheres Ergebnis einen Schatten auf die Zukunft dieser Initiative. Natürlich wird man in Paris eine Reform des Rates begrüßen. Diese Reform aber betrifft das Eingemachte, die Souveränität, und da wird jede Regierung Frankreichs mitreden wollen. Mit Kopien wird man sich nicht abspeisen lassen. Paris will den Kochlöffel in der europäi-schen Suppe selber rühren. So war es seit Beginn des europäischen Einigungsprozesses nach dem Krieg. Daß man sich nun ins zweite Glied zurückbegibt, gerade jetzt, da der deutsche Wirtschaftslöwe lahmt und Frankreichs Wirtschaft an ihm vor- beizieht, das dürfte nur von kurzer Dauer sein. Und zwar bis Mitte Juni. Dann sind die Wahl-Würfel in Frankreich gefallen, Paris wieder voll handlungsfähig. Dann wird man sich wieder um Europa kümmern. Man muß sich über das mangelnde Fingerspitzengefühl in Berlin schon wundern. In London gehört es zum Kalkül. Dort lächelt man noch heute über die „Leute vom Kontinent“. Berlin aber kann sich das nicht leisten.
Schon das erste Blair-Schröder-Partei hatte Mißstimmung auf dem Kontinent erzeugt. Offenbar gilt das Pisa-Urteil auch für die diplomatischen Zauberlehrlinge in Berlin: kaum lernfähig. Paris wird, das darf man vermuten, beizeiten eine Gelegenheit finden, die Vorschläge aus Berlin und London zu übertrumpfen oder ihnen aber auch den Garaus zu machen, vielleicht zusammen mit den Spaniern und Italienern. Der Blair-Schröder-Brief war jedenfalls nicht das letzte Wort zur großen Baustelle Europa.
|
|