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Schröders schräger Kulturmann die rückwirkende Löschung des Vertriebenenschicksals und eine deutsche Neurose

 
     
 
Es geht bloß um eine Kleinigkeit, nämlich um ein Viertel des alten deutsche Territoriums beziehungsweise das, was als "kulturelles Erbe" vom deutschen Oste übrig geblieben ist. Doch zuerst muß es um ein Amt und seinen Amtsträger gehen.

Bekanntlich hat Deutschland seit Ende 1998 einen Kulturstaatsminister, der im Wahlkamp von Gerhard Schröder als Grüßaugust oder Pausenclown lanciert wurde und als solcher da bildungsbürgerliche Segment der angepeilten "Neuen Mitte" beeindrucken sollte Weitergehendes hatte sich der Wahlsieger auch nicht dabei gedacht, als er die neue Stell im Kanzleramt plazierte. Denn Geld ist nicht zu verteilen, die Bundesländer hüte eifersüchtig ihre Kulturkompetenzen, und zu großen, durchaus notwendige Strukturreformen fehlt der Mut. Was also sollte Michael Naumann tun?

Sein Versuch, in der Debatte um das Holocaust-Mahnmal "geistige Führung" zu demonstrieren, führte zu einem intellektuellen Desaster, das auch nicht dadurch geadel wurde, daß der Bundestag es zum Gesetz erhob: Die Errichtung einer "Dokumentations und Informationsstätte" neben dem Stelenfeld. Der Besucher wird sich also bal entscheiden können, ob er sich zuerst von dem Denkmal überwältigen läßt (denn au Überwältigung durch schiere Größe läuft es bei seiner Ausdehnung hinaus) und sic hinterher im Museum den sachlichen Hintergrund für seine Erschütterung abholt, oder o er zunächst ins Museum geht und das voraussehbare Bildungserlebnis danach in Gefühlig-Sakrale transformieren läßt. So oder so läuft es auf die Verschmelzung
vo mythischem und wissenschaftlichem, museologisch-historiographischem Erzählen hinaus: Da Denkmal setzt einen unumstößlichen Fakt, der da heißt: "Das aus deutscher Hybri heraus begangene, größte Menschheitsverbrechen aller Zeiten", während die Museologen und Historiker, (anstatt diese quasi-mythische Setzung aufklärerisch zu hinterfragen und das furchtbare Kapitel der NS-Judenverfolgung dem Bereic wissenschaftlicher Betrachtung und sachlicher Analyse zu retten), die intellektuelle Argumente für diese dekretierte Empfindung herbeischaffen. So mündet die schöne neu Diskurswelt aus mündigen Demokraten wieder ins scholastische Mittelalter ein, un Schröders Vorzeigeintellektueller erweist sich als ein Mandarin der Mythologisierun einer historischen Katastrophe: Ein zweifelhafter Ruhm, den er sich obendrein mit de vulgären Lea Rosh teilen muß!

Bleibt zur politischen Profilierung Naumanns nur die Kulturförderung der Vertriebenen Zur Erinnerung: Der Paragraph 96 des Bundesvertriebenenförderungsgesetzes verpflichte Bund und Länder, "das Kulturgut der Vertreibungsgebiete in dem Bewußtsein de Vertriebenen und Flüchtlinge zu erhalten, Archive, Museen und Bibliotheken zu sichern, zu ergänzen und auszuwerten". Außerdem sollen Forschung und Wissenschaft geförder werden, wofür bislang gerade 40 Millionen Mark im Jahr zur Verfügung standen. Da ermöglichte den Aufbau einer reichhaltigen Landschaft aus Museen, Forschungseinrichtunge und Archiven sowie einem wissenschaftlich-publizistischen Netzwerk. Bis 1998 waren die Förderungs- und Vergabekompetenzen dazu vor allem im Innenministerium konzentriert. Dies hat Naumanns Staatsministerium für sich zusammengeklaubt und zum Betätigungsfel erkoren.

Die Folgen waren prompt spürbar: Das "Deutschland-Haus" in Berlin wurde End 1999 abgewickelt, der Ostdeutsche Kulturrat und die Kulturstiftung der deutsche Vertriebenen in Bonn erhalten seit Ende Juni kein staatliches Geld mehr. Über andere Institutionen schwebt noch das Damoklesschwert.

Der Plan einer zentralen "Kulturstiftung östliches Europa", die unter de Aufsicht des Bundes steht, ist zwar vom Tisch, aber an der Einrichtung eine Zentralinstitution "Nordosteuropa", in der – ahistorisch – Pommern Ost- und Westpreußen, die baltischen Staaten mit nicht näher erläuterten "Teile Rußlands und der GUS-Staaten" unter ein Dach gesperrt werden, hält Naumann fest Gewiß, nicht alle der ursprünglichen Schließungs- und Fusionspläne werden umgesetzt denn selbst sozialdemokratische Landes- und Lokalpolitiker haben es nicht gern, wen Berlin das Aus für öffentliche Einrichtungen anordnet, die ihrer Region zur Zierd gereichen.

Die Arbeitspapiere aus dem Hause Naumann zeigten vor allem eines: Die Verfasser hatte weder von den einzelnen Kulturregionen noch von der Verteilung der Flüchtlings- un Aussiedlerströme im Nachkriegsdeutschland die geringste Ahnung. Ihren Äußerungen wa die große Unlust zu entnehmen, sich mit dem Thema überhaupt unvoreingenommen zu beschäftigen. Sonst hätten sie zunächst festgestellt, daß die Archive, Bücher Museen, Zeitschriften, die über die ehemaligen deutschen Provinzen und Siedlungsgebiet informieren, ganz überwiegend der Initiative der Vertriebenen zu verdanken sind. Bund Länder und Gemeinden haben Hilfestellungen und Zuschüsse gegeben, aber die Initiativ lag bei den Vertriebenen selbst.

Naumann und sein Adlatus Knut Nevermann wissen offenbar nicht, daß die verfügbare Lexika, Gesamtdarstellungen, Sammelbände in ihrer Mehrzahl aus den kritisierte Kulturinstitutionen kommen oder von ihnen angeregt wurden. Die Buchreihe "Ostdeutsch Städtebilder" des Ostdeutschen Kulturrates, aus der insbesondere der Band übe Königsberg hervorragende Rezensionen in allen wichtigen Zeitungen erhielt, is vorbildlich. Die – noch nicht abgeschlossenen – handlichen Studienbuchreihen de Kulturstiftung und des Kulturrates über die Vertreibungsgebiete waren die ersten ihre Art. Sie sind wissenschaftlich seriös und können auch durch die opulente Reihe "Di Deutschen im Osten Europas" aus dem Siedler-Verlag nicht ersetzt werden, denn si sind nicht nur preiswerter, sondern auch informativer.

Wissenschaftliche Tagungen unter internationaler, mittel- und osteuropäische Beteiligung finden längst statt, verschiedene Periodika sind anerkannte Foren de grenzüberschreitenden Information und des wissenschaftlichen Austauschs.

Nun sind finanzielle Zuschüsse kein Naturgesesetz, sondern müssen jedes Jahr ne gerechtfertigt werden. Vieles in der Vertriebenenarbeit hat sich in der Tat überlebt ode ist kritikwürdig. Das Berliner Deutschland-Haus zum Beispiel, obwohl zentral gelegen, wa im öffentlichen Bewußtsein der Hauptstadt so gut wie nicht vorhanden. Ob das an de knappen Zuschüssen oder am biologischen Schwund der Hauptzielgruppen lag, se dahingestellt.

Hochbetagte Verbandsplatzhirsche blockierten die nötige Verjüngung, der Ostdeutsch Kulturrat und die Kulturstiftung der Vertriebenen, deren Tätigkeitsfelder – Öffentlichkeitsarbeit, Forschung, Preisverleihungen, Organisation von Tagungen – sich weitgehend überlagerten, brachten es nicht über sich zu fusionieren, obwohl de Zusammenschluß logisch und vom damaligen CDU-Innenminister Kanther dringend angemahn worden war.

Bestimmte Straffungen sind also angesagt, sie ergeben aber nur einen Sinn, wenn die neuen Einrichtungen mit den bisherigen Strukturen der wissenschaftlichen, kulturellen un Archivarbeit verknüpfbar sind und auf ihnen aufbauen. Sonst können sich kein "Synergieeffekte" ergeben, im Gegenteil: Verflachung, Verarmung, Wissensverlus sind die Folge.

Der Schaden ist jetzt schon groß genug. Die rund dreißigtausend Bände umfassend Spezialbibliothek des Deutschland-Hauses, die zahlreiche Bücher enthielt, die man in keiner anderen Bibliothek Berlins findet, wurde einfach eingemottet und ist der Nutzun auf Jahre entzogen.

Dabei sind die bestehenden Aufgaben auf diesem Gebiet enorm, und neue kommen hinzu Flächendeckende Regional- und Stadtgeschichten der alten deutschen Siedlungsgebiete insbesondere über die letzten Jahre vor 1945, müssen endlich die Flut subjektive Erinnerungs- und Heimatbücher wissenschaftlich ergänzen. Dazu sind die von de Vertriebenen angelegten Heimatkreisarchive zu sichern und zu erfassen; die Vertriebenenzeitungen mit ihren allwöchentlichen Erlebnisberichten müssen als geschichtliche Sekundärquellen ausgewertet werden; alte Stadt- und regional Zeitungsarchive müssen fotokopiert und zwischen Deutschland sowie den anderen mittel- un osteuropäischen Ländern ausgetauscht werden.

Die Pläne aus dem Kanzleramt legen indes nahe, daß es nicht um die Verbesserung de Bestehenden geht, sondern um ideologische Schlachten von vorgestern. Sparen wird man durc die jüngsten Schließungen auf absehbare Zeit keinen Pfennig. Das wird sogar in eine Naumann-Papier von 1999 eingeräumt, wo von "erheblichen finanzielle Folgeverpflichtungen" über einen "längeren Zeitraum" die Rede ist, die sich aus notwendigen Sozialplänen, laufenden Mietverträgen und den Klagen entlassene Mitarbeiter ergeben. Es geht um politische Kontrolle, um die Neutralisierung eine Bereiches, der störend wirkt und verdächtig erscheint. Woher diese starke Ressentiments, wo doch die Vertriebenen politisch nicht mehr wirklich relevant sind?

Man spürt den entschiedenen Willen, die verlorenen deutschen Staats- un Siedlungsgebiete aus dem deutschen Kulturverband rückwirkend herauszulösen, sie zu internationalisieren, um damit ihren Verlust zu verkleinern. In diesem Zusammenhang war e zuletzt interessant nachzulesen, wie in Kommentaren und in Leserbriefspalten auc seriöser Blätter die Bitten um Zahlungen für sudetendeutsche Härtefälle aus de deutsch-tschechischen Zukunftsfond behandelt wurden. Da war von der "verlogene Stilisierung der Täter zu Opfern", von "historischer Blindheit", von de "Verhöhnung der wirklichen Leidtragenden", von "Provokation" usw. die Rede. Es ist unergiebig, auf das Gebräu aus Bosheit, aus Un- und Halbwissen einzugehen.

Wenn der Begriff der nationalen Haftungsgemeinschaft, der zuletzt in de Zwangsarbeiterdebatte strapaziert wurde, einen Sinn haben soll, dann erben die Heutige nicht bloß die deutschen Untaten, sondern auch die deutschen Leiden. Dere Vergegenwärtigung bedeutet indes einen Schmerz, der um so stärker wirkt, als er durc keinen intellektuellen Hochmut und moralischen Selbstgenuß gemildert wird, wie er bei Insistieren auf "deutsche Täter" nur zu deutlich durchscheint. Die Verdrängun deutschen Leids ist eine verzweifelte Schmerzabwehr und zugleich eine unbewältigt Neurose! Um den Gedanken zu fassen, daß die Geschichte der Großeltern-Generation in weiten Teilen ebenfalls eine Passionsgeschichte ist, fehlt in Deutschland offenkundig noc die moralische und geistige Kraft.

Diese Schwäche erklärt die Fokussierung auf den deutschen Täter-Status, sein Mythisierung in Stein, den Relativierungs-Vorwurf gegen alle Versuche, eigenes Leid zu benennen, den anhaltenden Selbstflagellantismus. Der bohrende Schmerz, der in Unterbewußtsein ruht und gelegentlich geweckt wird, soll dadurch umgehend wiede unterdrückt werden. Deutsche Leiden und Verluste werden deshalb als "nicht wirklic geschehen", als "nicht so schlimm" oder wenigstens "gerecht" un "verständlich" beschrieben. Es ist politisch, kulturell und psychologisc fatal, in moralischer Hinsicht höchst unappetitlich und wird keiner Opfergruppe gerecht wenn das Trauma um die getöteten Juden oder die ausgebeuteten ausländische Zwangsarbeiter herhalten soll, um andere Traumata zu verdrängen und sich die mit ihne verbundenen Schmerzen zu ersparen – der Umkehrschluß gilt genauso!

Ideologische Konstrukte haben es an sich, durch die Konfrontation mit den Fakten in sich zusammenzufallen. Weil deutsches Leiden sich in qualvoller Anschaulichkeit in de Vertreibung manifestiert und diese immer wieder an die verkapselten Schmerzen rührt, is sie suspekt, ein Dorn im Auge, soll sie aus dem Blickfeld geschafft werden. Der Verlus Ostdeutschlands und Pommerns ist eben nicht mehr so schlimm und schmerzhaft, wenn dies Provinzen schon immer nicht eigentlich deutsch, sondern von einem "bunte Völkergemisch" (so der neue "Pommern"-Band aus der Reihe de Siedler-Verlags) bewohnt waren.

Um aus dem Gefängnis dieser Neurosen auszubrechen, bedarf es einer größeren Härt gegen sich selbst, als der Naumann-Geist ihn aufbringen kann.

 
     
     
 
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