|
Sie betreute Eichmedien im Kreis Sensburg/Ostdeutschland als Gemeindeschwester, war Diakonissin. Ich bewunderte und liebte ihre Tüchtigkeit, ihre Klugheit, ihre Wahrheitsliebe, die zuweilen schroff wirkte - und ihr gütiges Herz, das an der Heimat so hing, wie vielleicht kein Herz von uns.
Im Ersten Weltkrieg arbeitete sie auf fast allen Kriegsschauplätzen - immer in Lazaretten, gleich hinter der Front. - Ihre Ruhe, ihre Bedürfnislosigkeit, ihre geschick-te Hand, nicht zuletzt ihre Kaltblütigkeit benötigten die Ärzte, besonders bei Operationen, sehr. Als sie am Ende dieser schweren Jahre von ihrer Oberin gefragt wurde, wohin sie nun gehen möchte - sie könne sich einen Bezirk aussuchen, vor allen Dingen wäre ein erster Platz in einem großen Krankenhaus für sie bereit, ihre Erfahrungen und ihre Opferbereitschaft berechtigten sie dazu - antwortete sie: "Ich habe nur den einen Wunsch, nach Eichmedien zu meiner alten Arbeit zurückzukehren."
Und sie sorgte nun wieder für die Kranken und Alten! Kein Weg war ihr zu weit, kein Wetter zu schlecht, immer zu Fuß - ein Rad benutzte sie nicht - so kannte sie jeden Stein, jeden Busch, jeden Baum, alles in ihrem Bereich. Wenn in einer Familie durch Krankheit Hilfe nötig war, tat sie nicht nur ihre Pflicht als Diakonissin, sondern sie schürzte ihren blaugepunkteten Kattunrock auf, scheuerte, wusch, kochte, sorgte für die Kranken in vorbildlicher Weise, auch für die ganze Familie.
Vereine, Zusammenkünfte, einüben von Tänzchen mit den jungen Mädchen, liebte sie nicht. Sie hatte keine Zeit dazu. Die Gemeinde war groß, die Kranken und Alten mußten zuallererst versorgt werden. In der kleinen uralten Eichmedier Kirche sah man sie jeden Sonntag andächtig der Predigt vom Pfarrer Hahl zuhören. Ihr Antlitz mochte ich dann besonders gerne. Gesammelt und weich wurden die von Sonne und Wetter mit gesunder Röte überzogenen Züge ihres schönen Gesichtes unter der weißen Tüllhaube.
An einem Sonntagnachmittag hatte uns Schwester Anna, Frau von Redecker und mich zum Kaffee eingeladen. Sie wohnte ziemlich weit. Wir fuhren im Einspänner mit einem Schecken davor zu ihr. Erna von Redecker kutschierte. Unser Ziel lag abseits von der großen Straße, ein Feldweg führte dahin zwischen Weizen und Korn mit vielen Mohnblumen. Das Haus, strohgedeckt mit einer Steintreppe aus großen, rohen Blöcken, die man von allen Seiten ersteigen konnte. Schwester Anna stand auf dieser Treppe vor der einfachen Holztüre, die nur mit einem Riegel verschlossen werden konnte. Jenes Bild steht noch heute vor meinen Augen.
Ein richtiger heißer, masurischer Sommertag. Das Gärtchen um das Haus blühte und duftete. Die alten, köstlichen Stauden! Stockrosen, Wicken, Jungfer im Grünen zeigten sich uns in ihrer schönsten, anmutigsten Pracht. Schwester Anna empfing uns etwas zeremoniell. Frau von Redecker war die Frau ihres Patrons, des Patrons der Kirche. Sie hatte überhaupt eine zurückhaltende, vornehme Art, dabei doch köstlichen Humor. Sie führte uns über eine hohe Schwelle in den Vorraum, der mit roten Ziegeln ausgelegt war. Die Röte dieser Ziegelsteine strahlte uns entgegen, denn Schwester Anna hatte sie mit Liebe gescheuert. In der niedrigen, großen Stube war es so heimelig. Schlohweiße Dielen, Blumen an den kleinen Fenstern, alte Möbel. Der Kaffeetisch gedeckt. Der Kuchen auf der kleinen Anrichte durch ein weißes Tuch vor den Fliegen geschützt. Wir saßen in weichen, bequemen alten Sesseln. Geschenke von Frau v. Woyski Ballau, in deren Haus Schwester Anna Heimatrecht hatte. Wir aßen, tranken und plauderten. Ein schöner Sonntagnachmittag, so wie ich ihn in solcher Umgebung, Harmonie und Weltabgeschiedenheit nie mehr erlebt habe. Nachzutragen wäre noch, daß diese fabelhafte Gemeindeschwester in der Nazizeit, weil sie sich nicht zwingen ließ, den Arm zum Hitlergruß zu heben, auf ihre alten Tage strafversetzt wurde in eine weitabgelegene Gegend, ins Moosbruch. Nach 1945 hat sie noch bis ins hohe Alter in Mecklenburg als Schwester gearbeite |
|