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Als Deutscher ist man hier die Ausnahme, zumal als Tourist. Am Grenzübergang Heiligenbeil zwischen dem südlichen und nördlichen Ostdeutschland herrschen eigene Regeln, und in denen kommen die deutschen Reisenden nicht vor.
Nicht die russischen oder polnischen Behörden allein bestimmen das Vorrücken der Schlange, tatsächlich tut das die Hierarchie der Händler und Schmuggler - die Straße der „Ameisen“, wie die Schmuggler genannt werden, hat eigene Gesetze.
Das Problem ist, überhaupt erst einmal zum Abfertigungsterminal zu kommen, zu dem in unregelmäßigen Abständen ein paar Autos vorgel assen werden.
In der Schlange herrscht das Faustrecht. Von hinten kommen Autos herangefahren und halten scheinbar unbeteiligt am Straßenrand. Hier ein Wort, dort eine Geste oder ein Blick, die Eingeweihten kennen die Bedeutung, wissen, an welchen Platz in der Grenzgängerhierarchie dieser Fahrer gehört.
Wenn sich die Schlange in Bewegung setzt, weil vorne ein paar Autos zum Terminal fahren dürfen, beginnt der Kampf. Von rechts und links verschaffen sich die Fahrer der eben noch harmlos an den Straßenrändern stehenden Pkws ruppig ihren Platz in der Schlange, weit vorn natürlich. Man hält zusammen hier, Außenstehende werden im Reich der Ameisen abgedrängt.
Das System ist einfach: wer zurückweicht, gar Angst zeigt, schlägt Wurzeln, wer nicht irgendwann selbst die Ellenbogen ausfährt, schimpft wie ein Rohrspatz - wenn irgend möglich polnisch oder russisch, noch besser beides abwechselnd - und wild gestikulierend droht, kommt nie zum Terminal - Streß beherrscht die Szene.
Solches wiederholt sich alle Viertelstunde, so lange, bis man endlich diesen entscheidenden Schlagbaum hinter sich hat.
Zwischendurch beteiligt sich noch die Gemeinde Braunsberg an dem Spiel. Eine Gemeindemitarbeiterin überreicht jedem Fahrer einen bunten Zettel. Diskutieren hilft nicht, entweder man entrichtet das Zwangsgeld zur Entwicklung der Infrastruktur, oder die Reise endet hier. Man wundert sich schon längst über gar nichts mehr, fragt sich nur, warum an allen Zufahrten zu den ostdeutschen Grenzübergängen kleine blaue Schilder stehen, die verkünden, die EU finanziere den Ausbau der Grenzzubringerstraßen.
Steht man dann endlich in der Schlange am Terminal, hat das Wildwestgehabe ein Ende, die Reihenfolge ist nun fix, jetzt heißt es einfach nur warten, bis man dran ist, aber das wenigstens entspannt. Die Lage entspannt sich schnell, man kommt jetzt leicht ins Gespräch und hat Zeit, sich das Treiben genauer anzusehen.
Da wird sowohl mit polnischen als auch russischen Beamten ungeniert verhandelt, da wird mit polnischen Grenzern besprochen, an welchen russischen Beamten man sich wenden soll, da wird sich bei Uniformierten vertraut nach dem Befinden erkundigt. Autofahrer verhandeln untereinander, sprechen sich ab, geben Bestellungen auf. Niemand schert sich darum, daß jeder mithören kann.
Drei Stunden hat dieser Grenz- übertritt gedauert, bei der Einreise ins Königsberger Gebiet gibt es auf der polnisch verwalteten Seite keine Möglichkeit, an der Schlange der „Ameisen“ vorbeizufahren, es sei denn, man besticht irgendwen.
Das ist bei der Ausreise aus der Russischen Föderation in die Republik Polen in Preußisch Eylau/Beisleiden ganz anders - wenn man sich auskennt. Kurz vor Preußisch Eylau wird man von der Polizei von der Straße gewinkt und nach rechts auf einen riesengroßen Parkplatz geschickt, auf dem die Autos hübsch ordentlich in zig Schlangen nebeneinander stehen.
Hier auf dem von den Russen „Vorspeicher“ und den Polen „Bratpfanne“ genannten Platz darf man als deutscher Tourist alles tun, nur sich ja nicht an einer der Schlangen hinten anstellen - die Wartezeiten betrugen, wenn man das tat und auch niemanden schmierte, Ende August bis zu 70 Stunden.
Ganz rechts auf der Standspur kann man bis nach vorne durchfahren. Dort geht man zu der Bude, auf der „Kasse“ steht, und zahlt dort die Grenzgebühr. Mit der Quittung geht es dann zum allerletzten Häuschen, in dem die Abfertigung ist. Schilder, auf denen steht, was man zu tun hat, oder was in dem Häuschen passiert, vor dem man gerade steht, gibt es hier nicht, man muß sich durchfragen.
Im Zweifelsfall geht man zum letzten Häuschen, denn aller Erfahrung nach fällt dort die Entscheidung. Da steht man dann und steht und steht, Menschen zucken die Schultern, lächeln sich gequält an, ein Russe sagt entschuldigend „Eta Rossija - so ist Rußland“. Nach einer Anstandsfrist hilft auch Geduld nicht weiter, weil man schlicht ignoriert wird. Dann muß man notfalls freundlich, aber bestimmt sagen, daß man Deutscher ist und zur Grenze will, sonst steht man dort ewig wegen des einen noch fehlenden Stempels.
Die erste Hürde ist damit geschafft, nun darf man fahren.
Einen Kilometer vor der Grenze erreicht man die Warteschlange. Ein freundlicher russischer Lastwagenfahrer winkt und macht extra Platz, denn auch hier gilt für Deutsche: ja nicht hinten anstellen, sondern weiter fahren, an der Schlange vorbei, bis kurz vor den Zaun.
Dort stehen Polizisten, denen man kurz Pässe und Laufzettel zeigt. Meist lassen sie Bundes- und andere EU-Bürger gleich weiterfahren, wenn nicht, hilft es auch hier wieder freundlich, aber energisch zu verlangen, direkt zur Grenze fahren zu dürfen, erzählen wartende Polen. Sie müssen nämlich genau wie die Russen nach rechts auf den großen Warteplatz fahren.
Also fährt man die letzten knapp 100 Meter bis zum Zaun.
Dort heißt es nun warten, bis das große Tor aufgeht und man direkt zur russischen Abfertigung kommt. Die Wartezeit kann man sich wieder damit vertreiben, dem Handel und Wandel zuzuschauen. Da werden Benzinkanister herangeschleppt, Verkäufer winken mit Zigarettenstangen, und der Grenzer am Tor dreht allem demonstrativ den Rücken zu. Irgendwann wird das Tor geöffnet, und man fährt zur russischen Grenzkontrolle, die zwar etwas umständlich, aber zügig abläuft. Danach fährt man nur ein paar Meter und sieht gleich, daß die Warterei nicht von den Russen allein abhängt.
Alles wiederholt sich hier, wieder steht man hinter einem Zaun und wartet, daß das Tor geöffnet wird, wieder sieht man am Abfertigungsterminal gähnende Leere, dennoch wird kein Auto durchgelassen, wenn die Polen mal wieder gerade Mittag machen oder keine Lust haben. Irgendwann geht dann nichts mehr, kein Auto kann mehr von den Russen abgefertigt werden, weil auch der letzte Quadratmeter mit Autos zugestopft ist. Zwischen Rußland und Polen im Niemandsland brauchen die „Ameisen“ schließlich ein bißchen Zeit, damit sie im Duty-free-Shop noch genügend zusätzliche Schmuggelware ein- kaufen können, vor allem Alkohol und Zigaretten.
Da wird es dann richtig interessant, es ist erstaunlich, in welcher Offenheit da Unmengen von Wodka und Zigaretten geschmuggelt werden, direkt unter den Augen sowohl russischer als auch polnischer Beamter, niemand soll sagen, er hätte nichts gesehen, das ist unmöglich. In einem kleinen polnischen Fiat wird heftig am Reservereifen gearbeitet, aber der ist nur Tarnung, der junge Fahrer stopft Zigaretten und Schnaps in die schlauchlose Karkasse, ein älteres Ehepaar, das mit ihm reist, schleppt Nachschub aus dem zollfreien Laden heran. Ein großer, schlanker, grauhaariger Mann steigt aus einem polnischen Opel Vectra, reckt sich, zieht sein kariertes Flanellhemd aus und statt dessen eine blaue, mit lauter Taschen versehene Weste an. In diese Taschen werden ein Dutzend Stangen Zigaretten gestopft und unter das darunter getragene T-Shirt kommt noch ein Brustbeutel. Der plötzlich gar nicht mehr schlanke Mann zieht das Hemd wieder über und setzt sich anschließend in aller Seelenruhe ins Auto. Die beiden anderen Autoinsassen fummeln inzwischen geschäftig im Kofferraum herum. Irgendwann ist es soweit, ein paar Dutzend Autos fahren zur polnischen Abfertigung, die dann ebenfalls zügig vor sich geht. Der Mann mit der Zigarettenweste muß als einziger Insasse des Vectra nicht aussteigen, und sowohl dort als auch bei dem kleinen Fiat sucht der polnische Zoll nur genau an den Stellen, wo garantiert nichts zu finden ist.
Immerhin, zwei Stunden für einen Grenzübertritt vom Königsberger Gebiet ins polnische Südostpreußen ist erträglich, Men- schen mit polnischen Pässen und Lastwagenfahrer, aber auch die Hilfsgütertransporte warten sehr viel länger.
Das Schmuggeln, das für viele Menschen beiderseits der Grenze Lebensgrundlage ist, wird man auf beiden Seiten so schnell nicht unterbinden können, offenkundig will man es auch gar nicht ernsthaft, schließlich profitieren alle davon. Die meist arbeitslosen Schmuggler haben eine Existenzgrundlage, Grenzpolizisten und Zöllner beider Seiten haben einen hübschen Zuverdienst und die Regierungen der beiden strukturschwachen Gebiete weniger soziale Probleme. Besonders für die touristische Entwicklung, aber auch für den „offiziellen“ grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr wäre es allerdings hilfreich, wenn weitere Übergänge entstehen würden.
Schlangestehen: Grenzübergang Preußisch Eylau/Beisleiden
Vorbereitungen: Einige Grenzgänger nutzen die Wartezeit, um Zigaretten und andere Waren, auf denen hoher Zoll liegt, in ihrer Kleidung und im Auto zu verstecken.
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