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Die Entscheidung, die Nato in Richtung Osteuropa auszudehnen, hat in den USA und in anderen Nato-Staaten keineswegs nur Zustimmung ausgelöst. Kritiker der Nato-Osterweiterung machen immer wieder geltend, daß nachhaltige Spannungen mit Rußland befürchtet werden müssen. Weit mehr als es die hiesige Berichterstattung glauben zu machen versucht, spielt in der Diskussion um die Folgen der Osterweiterung der Nato der russisch verwaltete Teil Ostdeutschlands (im folgenden "Königsberg" genannt) eine Schlüsselrolle. Denn sollte im Falle eines Beitrittes der baltischen Staaten Königsberg durch einen Gürtel von Nato-Staaten separiert werden, sind von russischer Seite entsprechende Reaktionen zu gewärtigen.
Stanly Kober, wissenschaftlicher Mitarbeiter am konservativen Cato-Institut in Washington, sieht Königsberg in diesem möglichen Szenario als eine Art "Spiegelbild" von West-Berlin in der Ära des Kalten Krieges. Wie die russischen Reaktionen konkret ausfallen könnten, daran läßt Kober keinen Zweifel: Es stehe zu befürchten, so Kober, daß die anvisierte Nato-Mitgliedschaft der baltischen Staaten Rußland dazu verleiten könnte, sein Atomwaffenpotential wieder aufzustocken. Eine derartige Entwicklung könnte aber direkt zu einem neuen Kalten Krieg führen.
Die Möglichkeit einer neuerlichen Auflage des Kalten Krieges ist auch und gerade durch die latente antirussische Ausrichtung der Nato-Osterweiterung nicht von der Hand zu weisen. So führte z. B. General John Sheehan, ein hochrangiger Nato-Militär, bei einer Rede in Riga im Oktober 1996 aus, daß die Geschichte der baltischen Staaten eine Geschichte der Invasionen gewesen sei. Diese könnten sich deshalb kein neuerliches Jalta erlauben. Sicherheit könnten die baltischen Staaten nur innerhalb der europäischen Sicherheitsstrukturen finden. Deutlicher als General Sheehan kann man nicht enthüllen, daß die Nato-Osterweiterung gegen eine mögliche russische Bedrohung gerichtet ist. Denn welcher andere Staat als Rußland könnte die Sicherheit Lettlands bedrohen?
Noch deutlicher wurde Adrian Karatnycky im "Wall Street Journal" vom 29. November 1996: Solange der russische Transformationsprozeß hin zu einem kooperativen Mitglied der internationalen Gemeinschaft so anfällig sei, daß er durch die Nato-Mitgliedschaft von Staaten, die keine gemeinsame Grenze mit Rußland haben, gefährdet werden könnte, sei die Ausdehnung der Nato als vorausschauende Sicherheitspolitik zu bewerten.
Diese Sichtweise verkennt die nachhaltigen Gefährdungen, die sich insbesondere durch den Status von Königsberg ergeben. Sollten die baltischen Staaten tatsächlich Nato-Mitglieder werden, wird Königsberg zu einer Enklave, deren Zugang aus russischer Sicht nur über Nato-Staaten möglich ist. Peter Swartz, erster US-Botschafter in Weißrußland, wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß Rußland ein großes Problem habe, wenn die Nato erweitert werde. Die Königsberger Enklave werde mehr und mehr isoliert. Konsequenterweise werde der russische Druck auf Litauen wachsen, um den Zugang nach Königsberg aufrechtzuerhalten. Dieser Druck wird um so wahrscheinlicher, als ein Vorstoß des russischen Präsidenten Boris Jelzin, sich von Polen eine Autobahn als Zugang nach Königsberg garantieren zu lassen, von den Polen vehement abgewiesen wurde.
Von Bedeutung ist weiterhin die immer noch hohe militärische Konzentration in Königsberg, die zwar nach dem Ende des Kalten Krieges erheblich abgenommen hat, im Falle einer Bedrohung russischer Interessen aber wieder erhöht werden könnte. Mit Unwillen hat Rußland zur Kenntnis genommen, daß Polen seine militärische Präsenz an der Grenze zum nördlichen Teil Ostdeutschlands seit 1994 auf 22 000 Mann verdoppelt hat.
Diese Entwicklungen zeigen die Grenzen der Nato-Doktrin der Abschreckung auf. Die Nato-Osterweiterung beruht augenscheinlich auf dem Analogieschluß, daß die im Kalten Krieg praktizierte Strategie der Abschreckung einer möglichen sowjetischen Aggression auch nach dem Ende des Kalten Krieges erfolgversprechend ist. Eine effektive Abschreckung setzt aber ein Mindestmaß an Sicherheit darüber voraus, daß bestimmte Handlungen eher den Frieden bewahren als einen Krieg provozieren. Vor dem Hintergrund der Einbeziehung der baltischen Staaten in die Osterweiterung ist diese Strategie allerdings problematisch. Pavel Feldengauer wies bereits am 25. Oktober 1995 in einem Beitrag für die Publikation "Current Digest of the Post-Soviet Press" darauf hin, daß die Reaktion Rußlands auf mögliche ausländische Truppenbewegungen an seinen direkten Grenzen der der USA im Jahre 1961 ähneln könnte. Auf die Verstaatlichung amerikanischen Eigentums auf Kuba reagierten die USA zunächst mit massiven Drohungen, ehe es schließlich zur von der CIA geplanten Invasion von Exilkubanern in der "Schweinebucht" kam.
Daß ein ähnliches Szenario im Falle Königsbergs so unwahrscheinlich nicht ist, zeigt eine Aussage von Jelzins Regierungssprecher Sergej Yastrschemski, der am 23. Mai 1997 sagte, daß die Russen hoffen, daß die ausländischen Regierungschefs nicht russisches Roulette spielen wollen. Besorgt stellte daraufhin Kadri Liik in der estnischen Zeitung "Esti Paevaleht" (30. Mai 1997) fest, daß die Vereinbarungen zwischen Rußland und der Nato unter ihrer glatten Oberfläche ein Minenfeld beinhalten. Die baltischen Staaten, so Liik, seien eine dieser Minen. Sollte diese Mine explodieren, wird von den baltischen Staaten wenig bis nichts mehr übrigbleiben. Es sei in diesem Zusammenhang nur auf einen Beitrag von James Schlesinger im "Wall Street Journal" vom 19. November 1997 verwiesen. Schlesinger schließt in diesem Beitrag eine Verteidigung der baltischen Staaten mit konventionellen Waffen aus. Ein Angriff mit konventionellen Waffen auf baltische Staaten könne seitens der Nato nur mit einem atomaren Gegenschlag beantwortet werden. Daraus läßt sich nur eine Schlußfolgerung ziehen: Eine Einbindung der baltischen Staaten in die Nato dürfte nur dann zu mehr Sicherheit in Europa führen, wenn zugleich die bereits bestehenden Partnerschaftsbeziehungen zu Rußland weiter ausgebaut werden, damit Moskau alle irrationale Furcht vor der Nato genommen wird.
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