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Fast zwei Drittel der Deutschen stimmen einer Umfrage zufolge zumindest teilweise den Thesen des US-Politikwissenschaftlers Norman Finkelstein "zur "Holocaust-Industrie" zu: 15 Prozent der Befragten teilten seine Ansichten ohne Einschränkungen, weitere 50 Prozent mit Abstrichen, berichtete der "Spiegel".
Ganz anders die Meinungen unserer Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunksender. 90 Prozent lehnen Finkelstein teilweise rabiat ab, diskriminieren ihn, machen sich über ihn lustig.
Seit Jahren läßt sich die Bundesregierung darauf ein, mit großen jüdische n Organisationen in den USA über eine Art "Wiedergutmachung", besser wohl: Reparationszahlung, vorgeblich an Holocaust-Opfer zu verhandeln. Falls Deutschland nicht zahlt, drohen die Organisationen mit Repressionen gegen deutsche Firmen in den USA, und das, obgleich Wiedergutmachungen an KZ-Häftlinge längst gezahlt worden sind, teils direkt an die betroffenen Menschen, teils über eben diese Organisationen.
In Deutschland ist das Thema mit einem Tabu belegt. Die allermeisten Chefs in deutschen Zeitungen und Sendern sorgen dafür, daß ihre Redakteure brav der politischen Korrektheit folgen und kein Wort der Kritik am Vorgehen der "pressure groups" laut werden lassen. Seit vergangenem Sommer tritt in den USA ein junger Politikwissenschaftler auf, der sich als Jude ein kritisches Wort erlauben darf. Zudem sind beide Elternteile in deutschen Lagern gewesen und haben glücklicherweise überlebt. Während sein Vater bis zu seinem Tod als Wiedergutmachung direkt aus Deutschland eine Rente bekam, deren Erhalt sein Sohn durchaus würdigt, hoffte seine Mutter auf Wiedergutmachung über eine der großen jüdischen Organisationen, die von der Bundesrepublik gewaltige Summen zur Weitergabe an die Opfer bereits in den früheren Jahren erhalten hatten. Sie wartete vergebens. Die Organisationen verwandten die Wiedergutmachungsgelder aus Deutschland, so Finkelsteins Vorwurf, eher für eigene Zwecke überall in der Welt oder für die Stärkung jüdischer Gemeinden.
Das und seine übrigen Beobachtungen als Politologe ließen ihn zu einem heftigen Kritiker der einflußreichen Organisationen wie Jewish World Congress, Jewish Claims Conference usw. werden. Er beschuldigt sie, Deutschland zu erpressen, um sich zum einen selbst zu bereichern und zum anderen, um die Wiedergutmachungsgelder für politische Interessen einzusetzen. Dadurch würden sie nicht nur den Antisemitismus in der Welt stärken, sondern vor allem die Opfer der Juden mißbrauchen und entwürdigen.
Wie man hört, wurde sein zunächst in den USA erschienenes Buch "Die Holocaust-Industrie" dort zunächst totgeschwiegen. Wenn sich dann etwa in der "New York Times" jemand mit Finkelsteins Anklagen beschäftigte, dann im Stil des Zeitgeschichtlers Prof. Omer Bartov, einem Intimus von Jan Philipp Reemtsma (er sollte die USA-Version von Reemtsmas Anti-Wehrmachts-Schau betreuen), der Finkelsteins Buch verriß und den Autor "dumm", "pubertär" und "arrogant" nannte. Wie die "Tagesschau" am 25. Januar meldete, beschimpfte der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Iliam Steinberg, den Politologen Finkelstein, er sei "full of Shit" ("Voller Sch..."). In der "Washington Post" apostrophierte Stephen Zipperstein, der Direktor für jüdische Studien in Stanford, Finkelsteins Äußerungen als "altertümliche sektiererische Raserei". Ein Gabriel Schoenfeld erklärte in der amerikanischen Zeitschrift "Commentary", Finkelsteins Buch sei "wertlos". (Später änderte die Zeitschrift ihre Meinung und würdigte Finkelsteins Buch sehr sachlich.)
Dann kam das Buch nach Europa, zunächst nach England. Dort erregte es erhebliches Aufsehen, stieß aber auf genau die gleichen Beschimpfungen wie in den USA. Der einflußreiche "Guardian", eine Art britischer "Zeit", nannte am 4. Februar den amerikanischen Juden Norman Finkelstein einen "antisemitischen Akademiker".
Und am 6. Februar erschien die deutsche Fassung beim Piper-Verlag, München. Finkelstein war nach Deutschland gekommen, um in einer Pressekonferenz in Berlin sein Buch vorzustellen. Der Raum konnte die große Zahl von Journalisten kaum fassen. Ruhig und konzentriert formulierte der Autor seine Thesen: Die jüdischen Großorganisationen in den USA bereicherten sich an den deutschen Wiedergutmachungszahlungen und leiteten sie nicht an die wirklichen Opfer des Holocaust weiter. Sie wollten mit den Geldern den zionistischen Einfluß in der Welt stärken. Sie mißbrauchten den Völkermord an den Juden, um dem vor allem in der westlichen Welt von Assimilation bedrohten Judentum, das seine religiösen Bindungen weitgehend verloren habe, eine neue Identität zu verleihen, Identität als "Holocaust-Überlebende". Durch ihr raffgieriges Verhalten förderten sie das Anwachsen des Antisemitismus in der Welt.
Bereits im Vorfeld hatte es Versuche gegeben, das Erscheinen des Buches in Deutschland zu verhindern. Salomon Korn von der Jüdischen Gemeinde Frankfurt forderte sogar ein Verbot der Übersetzung. Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, erklärte: "Selbstverständlich fände ich es besser, wenn das Buch in Deutschland nicht erscheint." Zu einer Verbotsforderung konnte er sich aber nicht durchringen. Als Privatmann, so Spiegel, hätte er das Buch nie gelesen, sei aber nun gezwungen, es von Amts wegen doch zu tun. Im übrigen nannte er Finkelsteins Buch eine "Perfidie".
Daß der Piper-Verlag standhaft blieb, führen Beobachter mancherorts darauf zurück, daß er einer schwedischen Verlagsgruppe gehört. Ein deutscher Verleger wäre längst in die Knie gegangen, hieß es hinter vorgehaltener Hand. Piper dürfte dies freilich energisch dementieren.
Und nun ist das Buch also da. Innerhalb von zehn Tagen wurden rund 50 000 Exemplare verkauft. Die Neuauflage ist in Arbeit.
Und das, obgleich fast die gesamte deutsche Presse über Finkelstein und sein Buch herfiel. Die "Deutsche Presseagentur" (dpa) verbreitete eine Meldung, die in Zeitungen unter der Überschrift erschien, "Verdreht Finkelstein die Geschichte?". Die "Süddeutsche Zeitung" (SZ) nennt sein Buch ein "Pamphlet". Seinen Auftritt in Berlin schildert das linke Blatt aus München so, als ob Finkelstein nicht alle Tassen im Schrank hätte. Er habe angeblich "starr ins Nichts" geguckt. Sein Buch sei, so die "SZ" vom 10./11. Februar, "verrückt". Finkelstein sei "haßerfüllt".
Die ebenso linke "Zeit" ist der Meinung, daß über Finkelsteins "Pamphlet" der Streit nicht lohne. Michael Brenner erklärt in einem Anti-Finkelstein-Buch mit dem Titel "Gibt es wirklich eine Holocaust-Industrie?", Finkelsteins Buch sei "eine grandiose pathologische Studie über ihren Autor", die "keine ernsthafte Auseinandersetzung lohne".
Der "Südwest-Rundfunk" (SWR) hatte eine englische Journalistin namens Mendelsohn beauftragt, einen Film über Finkelstein und seine Thesen zu drehen. Der Sender verbot dann kurzfristig die Ausstrahlung, u. a. mit der Begründung, der Film böte "mehr Informationen an, als ein durchschnittlich informierter Mensch aufnehmen und dem Thema gemäß verarbeiten kann". Als dann Proteste gegen die Zensur laut wurden, ließ der Fernsehchef Schmid blitzschnell den Film überarbeiten, um ihn unter dem Druck der öffentlichen Meinung doch zu senden, wenn auch verstümmelt. Was er herausgenommen hat, weiß niemand.
Da nun einmal das Erscheinen des Buches nicht zu verhindern war, wurde Finkelstein diskriminiert. Die "Welt" behauptete, Finkelstein habe seine Thesen "mit aller Kraft herausgebrüllt", als sei er nicht ganz bei Troste. In derselben Zeitung konnte man lesen von "Finkelsteins Rechthaberei", seinem "schrillen Ton", andererseits aber auch die Meldung, daß Nachrichtenmagazine fertig recherchierte Artikel zu Finkelstein und seinen Darlegungen kurzfristig wieder aus der Zeitung gekippt hätten.
Seltsam uneinheitlich war die Meinung der "Welt", die die in Deutschland losbrechende Diskussion als "Gespensterdebatte" abqualifizierte und das Buch selbst als "Nichtereignis" herabwürdigte. Ein Autor, Allan Posemer, verteidigte die "erpreßte" (Finkelstein) Summe von zehn Milliarden Mark weiterer deutscher Wiedergutmachung mit der bemerkenswerten Begründung: "Allein durch den Solidaritätsbeitrag für den Aufbau Ost wurden bisher 169,2 Milliarden DM kassiert."
Überhaupt fanden die Milliarden-Nachforderungen aus den USA viel Verständnis. Der Berliner Professor Peter Steinbach, der sich vor Jahren hervorgetan hatte, als er durchsetzte, daß auch bolschewistische Agenten aus dem Zweiten Weltkrieg in die ehrenvolle Galerie deutscher Widerstandskämpfer aufgenommen wurden, behauptete während der Finkelstein-Diskussion in Berlin, auch die ostdeutschen Vertriebenenorganisationen hätten sich in ähnlicher Weise an den Lastenausgleichszahlungen bereichert, ohne daß er es belegte.
Der krasse Widerspruch zwischen einem über weite Strecken feindseligen Medien-Echo auf Finkelstein und seiner offenherzigen Aufnahme durch die Mehrheit der Deutschen sticht ins Auge. Sie wollen offenkundig Verantwortung übernehmen Kritik an der Entschädigung der wirklichen Opfer war nicht zu vernehmen. Nur möchte man sichergestellt sehen, daß das Geld die letzten überlebenden Opfer auch erreicht und nicht in den Kassen reicher Anwälte und konzernähnlicher Organisationen verschwindet. Das könnte bedeuten, daß Holocaust-Opfer, die noch nicht entschädigt wurden, das Geld direkt aus Deutschland bekämen ohne den Umweg über die Organisationen. So wie es in weiser Voraussicht die katholische Kirche für die von ihr beschäftigten Fremdarbeiter gemacht hat.
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