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Streitpunkt: Polnische Minderheit

 
     
 
Seitdem sich die deutsch-polnischen Beziehungen auf Regierungsebene deutlich verschlechtert haben, führt die polnische Seite immer wieder als eine der Ursachen - ja ein Sejm-Abgeordneter hat sogar behauptet, als die wichtigste Ursache - die Behauptung an, in der Bundesrepublik Deutschland würden die Rechte der polnischen Minderheit eingeschränkt. In einem Grundsatzbeitrag in der "FAZ" behaupteten Prof. Mariusz Muszynski, Vorstandsvorsitzender
der "Stiftung für Deutsch-Polnische Aussöhnung", und das Vorstandsmitglied der "Stiftung für Deutsch-Polnische Zusammenarbeit" Krzysztof Rak in der Behandlung der polnischen Minderheit fehle die Gegenseitigkeit. Während Polen der deutschen Volksgruppe viele Vorrechte einräume, gebe es solche Vorrechte für die polnische Minderheit in Deutschland nicht.

Der Sejm-Abgeordnete Marek Kawa der nationalkatholischen Partei LPR führte im Interview mit einer deutschen Zeitung als "Beweis" für die Benachteiligung einer polnischen Minderheit in der Bundesrepublik an, im Bundestag gebe es keine polnischen Abgeordneten wie früher im Reichstag.

In der deutschen Öffentlichkeit wird diese von den Polen angegebene Begründung für eine Verschärfung der deutsch-polnischen Situation offensichtlich kaum beachtet; jedenfalls findet man in den meinungsbildenden Medien keine kritische Prüfung solcher Behauptungen, und das obgleich offenbar die polnische Regierung beziehungsweise die die Regierung bildenden Parteien solche angeblichen Benachteiligungen als Grund vorschieben, um anzudrohen, die Rechte der deutschen Minderheit in Polen einzuschränken, was bislang allerdings nicht in die Tat umgesetzt wurde.

Was hat es mit einer polnischen Minderheit in Deutschland auf sich? Wenn der Sejm-Abgeordnete Kawa auf polnische Abgeordnete im deutschen Reichstag verweist, dann kann er nur den Reichstag im Kaiserreich, also bis 1918, gemeint haben. Damals gehörten zum Reich unter anderem die preußischen Provinzen Posen und Westpreußen, in denen ein erheblicher Prozentsatz der Bevölkerung Polen waren. Ihre Partei kandidierte zum Reichstag und konnte einige Abgeordnete ins Plenum entsenden. Mit der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg gingen aber diese Provinzen dem Deutschen Reich verloren; sie bildeten zusammen mit den vorher zu Rußland gehörenden Teilen Polens und den von Polen mit Waffengewalt eroberten Teilen Weißrußlands und der Ukraine einen eigenen Staat Polen. Seitdem gibt es in Deutschland kein polnisches Siedlungsgebiet mehr.

In der Zeit der Industrialisierung, als in Deutschland die Wirtschaft boomte, wanderten viele Polen vor allem in das Ruhrgebiet ein, um im Bergbau und in der Stahlindustrie zu arbeiten. Hier wurden sie seßhaft und leben dort seit mehreren Generationen. Sie haben sich mit der einheimischen Bevölkerung gemischt. Nur noch manche Familiennamen zeugen davon, daß in der Ahnenreihe ein Pole zu finden ist. So wie die Deutschen mit französischen Nachnamen, Zeugnisse hugenottischer Vorfahren, fühlen sich die allermeisten heute als Deutsche.

Weitere Polen sind nach dem Zweiten Weltkrieg etwa in der Zeit, als in Polen Ausnahmezustand herrschte, als politische Flüchtlinge in die Bundesrepublik gekommen. Nun ist noch nie bekannt geworden, daß diese Polen sich zusammengeschlossen hätten, um den Status einer nationalen Minderheit anzustreben. Aber selbst wenn das geschähe, wären damit noch nicht die Voraussetzungen für eine nationale Minderheit gegeben, denn es ist nicht allein ins Belieben einer Gruppe von Menschen gestellt, ob sie als Minderheit anerkannt werden. Zwar setzt diese Anerkennung voraus, daß ihre Mitglieder sich ihrer besonderen Eigenart bewußt sind, die sich von der Eigenart des Mehrheitsvolkes unterscheidet, und daß sie diese Eigenart erhalten wollen, doch reicht das nicht aus.

Kürzlich hat der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner, beim Besuch der deutschen Volksgruppe im dänischen Nordschleswig zusammengefaßt, welche Bedingungen eine nationale Minderheit in Deutschland erfüllen muß. Es sind das: 1.) Ihre Angehörigen sind deutsche Staatsangehörige. 2.) Sie unterscheiden sich vom Mehrheitsvolk durch eigene Sprache, Kultur und Geschichte, also durch eigene Identität. 3.) Sie wollen diese Identität bewahren. 4.) Sie sind traditionell in Deutschland heimisch, und 5.) sie leben hier in angestammten Siedlungsgebieten, sie sind, wie der Fachausdruck lautet, autochthon.

Auf die Polen, die frühestens Ende des 19. Jahrhunderts nach Deutschland eingewandert sind, treffen diese Merkmale nur zum kleinsten Teil zu.

Ob die in Nordrhein-Westfalen lebenden Menschen mit polnischen Familiennamen sich wirklich von ihren Nachbarn unterscheiden wollen, ist unwahrscheinlich. Vor allem aber sind sie, selbst wenn sie eine polnische Identität pflegen wollen, nicht traditionell in Deutschland heimisch.

In Deutschland sind nur vier Minderheiten anerkannt, nämlich die Dänen im nördlichen Schleswig-Holstein, die Sorben in Brandenburg und Sachsen. Ferner werden den Friesen die Rechte von Minderheiten eingeräumt ebenso wie den Sinti und Roma.

Diese Rechte sind umfangreich. Sie gehen von dem Recht auf eigene Schulen und Kindergärten, Rundfunksendungen in eigener Sprache, zweisprachige Ortsbezeichnungen bis zum Gebrauch der Minderheitensprache vor Gericht und vor Ämtern. Die Liste der Rechte ist lang.

Wenn es in Deutschland keine anerkannte polnische Minderheit gibt, dann nicht etwa, weil hier lebende Polen von der deutschen Regierung unterdrückt würden, sondern weil sie nicht die Voraussetzungen für den Minderheitenstatus erfüllen.

Vorwürfe von polnischer Seite Deutschland gegenüber sind daher nichts als Polemik.
 
     
     
 
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