|
Die Vergabe doppelter Pässe als Antwort auf Integrationsprobleme und kulturelle Konflikte infolge moderner Massenzuwanderung ist sicherlich ein zweifelhaftes Rezept. Plausibler sind Doppelpässe dagegen, um bestimmte ältere Volksgruppenprobleme in Europa einer gerechteren Lösung zuzuführen.
Sehr wenig bekannt ist in diesem Zusammenhang zum Beispiel ein Vorgang aus dem Jahre 1992, als in der damaligen Tschechoslowakischen Republik Petr Pithart als Ministerpräsident amtierte und Staatspräsident Václav Havel dem deutschen Kanzler Kohl inoffiziell folgenden Vorschlag unterbreitete:
Die Sudetendeutschen erhalten auf Wunsch die Staatsangehörigkeit der Tschechoslowakei wieder und können somit, wenn sie es wollen, als gleichberechtigte Bürger in die Heimat zurückkehren
Gleichzeitig können sie die deutsche Staatsangehörigkeit behalten, um ihre in der Bundesrepublik erworbenen Rechte abzusichern
Allerdings gibt es keine Rückerstattung des alten Eigentums (nach wie vor könnte keine tschechische Regierung einen solchen Vorschlag machen, ohne nicht innerhalb von 24 Stunden von der Macht verjagt zu werden; Anm. d. Verf.)
Wer auf dieser Grundlage in seine Heimat zurückkehren will, hätte dank der Stärke der D-Mark die Möglichkeit, dort einen passenden Besitz eventuell sogar das verlorene Eigentum zu erwerben
Von diesem Vorschlag aus Prag hörten die Sudetendeutschen erst zu spät, nämlich als er bereits in der Presse durchgesickert war und daraufhin von tschechischer Seite dementiert wurde. Von seiten der Bundesregierung erfuhren die sudetendeutschen Vertreter überhaupt nichts. Man ließ sie uninformiert, und als durch das tschechische Dementi die Sache nicht mehr zu verheimlichen war, erklärte man in Bonn (ebenfalls inoffiziell), den Vorschlag deshalb nicht weitergegeben zu haben, weil er "Unzumutbares" beinhaltet hätte.
Der Fehler der Tschechen war es damals, etwaige Reaktionen der Sudetendeutschen nicht im vorhinein sondiert zu haben. So war man schließlich in der eigenen Schlinge gefangen (nämlich dem Grundsatz, nicht offiziell mit den Sudetendeutschen zu verhandeln).
Den wahren Hintergrund, warum eine Antwort aus Bonn ausgeblieben war, erhellte Jahre später eine Aussage des damaligen tschechischen Botschafters gegenüber dem Autor. Demnach fürchtete die unionsgeführte Regierung, daß "dann auch chilenische Flüchtlinge und andere (vor allem Türken) die doppelte Staatsbürgerschaft verlangen" könnten. Man nahm für den Fall eines Eingehens auf die Offerte offenbar eine Instrumentalisierung im Sinne des schon von der damaligen Opposition verfolgten Doppelpaß-Projekts an.
Die Sudetendeutschen hätten den Vorschlag aus Prag, der ernst gemeint war, zwar nicht en bloc bejaht, aber sicherlich ebensowenig unisono abgelehnt. Sie hätten ihn als Basis ehrlicher Diskussionen begrüßt. Statt dessen hat man fünf Jahre später den Schwindeltext der Deutsch-Tschechischen Erklärung formuliert, der eine Totgeburt ist.
Dr. Hilf ist Mitglied des Sudetendeutschen Rates
|
|