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Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke (CDU), zeigt sich besorgt über die „alarmierende polnische Stimmungsmache“ im Zusammenhang mit der im Berliner Kronprinzenpalais präsentierten Vertriebenenausstellung „Erzwungene Wege“. Gegen die Ausstellung werde gehetzt und auf die polnischen Leihgeber massiver Druck ausgeübt, so Nooke. In Polen sei das Menschenrecht auf freie Meinungsäußerung „akut gefährdet“.
Nooke hat früher „stets mit großer Ehrfurcht auf Polen geschaut“, das für ihn ein Hort der Gedankenfreiheit gewesen sei. Heute sieht er in Polen eine Politik der Gleichschaltung. In Polen herrsche eine „Pogromstimmung“ vor, kommentiert die in diesen Dingen eher zurückhaltende Tageszeitung „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.
Erika Steinbach, die Vorsitzende der Stiftung „Zentrum gegen Vertreibungen“, sprach von einer in Wissenschaft und Kultur singulären Hetzjagd in Polen. Unterstützer der Ausstellung müßten mit Stigmatisierung und Ausgrenzung rechnen und Verantwortliche öffentlicher Einrichtungen um ihre Stellung fürchten, soweit sie der Ausstellung Exponate zur Verfügung gestellt hätten.
In einem Fall haben die Ausstellungsmacher um Erika Steinbach eine Vereinsstandarte ehemaliger polnischer Deportierter vorzeitig zurückgeben, da dem Verein der Stalinismusopfer von 1940 seitens der Woiwodschaftsverwaltung die Zusammenarbeit gekündigt worden ist, sprich die öffentlichen Mittel gestrichen worden sind, und die Deportationsopfer nun unter erheblichen Diffamierungen leiden.
Nachdem unmittelbar nach Eröffnung der Ausstellung zwei Exponate des Historischen Museums Warschau zurückgezogen worden waren, hat nun auch die polnische Küstenwache das zentrale Ausstellungsobjekt, die Schiffsglocke der 1945 mit rund 10000 Menschen versenkten „Wilhelm Gustloff“ zurückgefordert. „Wir fühlen uns überrascht und getäuscht“, erklärte Tomasz Sagan, Sprecher der Gdinger Küstenwache, im Fernsehsender „3sat“ den Rückzug. Man sei davon ausgegangen, daß Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundestagspräsident Norbert Lammert die Schirmherrschaft übernommen hätten.
Sagan forderte die schicksalsträchtige Schiffsglocke bis spätestens Anfang September zurück. An anderer Stelle hat es geheißen, man habe nicht gewußt, wer hinter der Ausstellung steht.
Die Leihgabe jedes Exponates beruht allerdings auf einem schriftlichen Vertrag, aus dem als Leihnehmer das „Zentrum gegen Vertreibungen“ hervorgeht. Zumindest in dem Fall der „Gustloff“-Glocke ist die Leihgabe sogar von oben abgesegnet worden, denn die Glocke hat immerhin einen Versicherungswert von 500000 Euro. Der polnische Landeskonservator, zuständig für die Kulturgüter der Republik, hat der Leihgabe zugestimmt, läßt Ausstellungskuratorin Doris Müller-Toovey durchblicken. Frau Steinbach will daher um den Verbleib der Glocke bis zum Ende der Ausstellung am 29. Oktober kämpfen.
Allerdings gibt es auch Gegenbeispiele: Der „Verein der Freunde von Witnica“ in Vietz bei Landsberg beispielsweise verweigert jegliche Rückforderung mehrerer der Ausstellung zur Verfügung gestellter Exponate. Dort lobt man vielmehr die Zusammenarbeit mit den deutschen Vertriebenen. Diese suchten nach Wegen der Versöhnung.
Auch das „Institut des Nationalen Gedächtnisses“ (IPN), die polnische Variante der Gauck-Birthler-Behörde, hat die Ausstellung „Erzwungene Wege“ inzwischen auf Revanchismus abgeklopft und abschließend erklärt, man werde die zur Verfügung gestellten Exponate in Berlin belassen und mit der Ausstellung auch weiterhin kooperieren.
Nach Angaben der Kuratoren hat die Befürchtung vor Repressionen seitens der Kaczynski-Regierung bei fast allen polnischen Leihgebern von vornherein bestanden. Die meisten hatten sich trotzdem zur Zusammenarbeit mit den deutschen Ausstellungsmachern durchgerungen. Dies ist den Leihgebern hoch anzurechnen.
In der Zwischenzeit hat auch Bundeskanzlerin Angela Merkel die Ausstellung vor dem Vorwurf verteidigt, man wolle die Zeit des Nationalsozialismus relativieren.
Polen steht kurz vor landesweiten Kommunalwahlen, und es ist bekannt, daß der demokratische Wahlkampf in Polen mit rhetorischen Spitzen durchgeführt wird. Deftige Kampagnen sollen dem polnischen Wahlberechtigten, und der ist im Durchschnitt ein kaum zähmbarer Wechselwähler, helfen, Gut von Böse zu unterscheiden.
Wenn also die Kaczynski-Zwillinge und ihre Parteifreunde so heftig agieren, so ist dies sicherlich auch dem Umstand anstehender Wahlen zuzuschreiben.
Aus deutscher Sicht dürfte auffallen, daß sich die geschichtsorientierten Polen im Spiegel ihrer Nachbarn sehen.
Die polnische Geschichte ist - kurz gerafft - die eines kleinen Volkes, das zwischen den beiden Großen, Deutschland und Rußland, immer wieder existentiell bedroht wurde. Die polnischen Teilungen und die Besatzungszeit prägen dieses nationale Bewußtsein maßgeblich. Der freie Diskurs über die dunkleren Schatten in der Geschichte des eigenen Volkes ist erst seit 16 Jahren möglich, oder war es zumindest. Heute aber wird jeder Zweifel an einer reinen Opferrolle in die Nähe von Hochverrat geschoben. Viele Dinge werden nicht offen angesprochen, auch deshalb nicht, weil das deutsche Gegenüber keine offene Diskussion verlangt.
Das Fehlen eines greifbaren deutschen Nationalbewußtseins macht es für Polen nicht leichter, sich der historischen Klärung zu stellen. |
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