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Die realsozialistische Gewaltpolitik seit 1945 holt den gesamtdeutschen Gesetzgeber immer wieder ein. Im Innern beschäftigen Tausende von Klagen Behörden und Gerichte, die von Geschädigten des SED-Regimes angestrengt werden. Von außen, konkret vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, wurde am 22. Januar ein weiteres Feld geöffnet: mit einem Urteil zugunsten jener Kleinbauern, die ihre Flächen im Zuge der sogenannten "Bodenreform " 1945/46 erhalten hatten. Auf Grund eines Befehls der sowjetischen Besatzungs- macht waren damals alle Bauern mit Betrieben ab 100 Hektar Größe einschließlich ihrer Häuser und des gesamten Hab und Gutes entschädigungslos enteignet, von ihren Höfen (deren Gebäude meist willkürlich ausgeplündert und vielfach zerstört wurden) vertrieben worden, durften nur in Notunterkünften außerhalb ihrer Kreisgrenzen untergebracht und sollten nur noch "als einfache Landarbeiter" beschäftigt werden. Wie viele das nicht überlebt haben, ist nie exakt festgestellt worden.
Das enteignete "Junkerland", so die offizielle Bezeichnung der Sozialisten, wurde zum größeren Teil an Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten, zum kleineren an land-arme Bauern oder interessierte Arbeiter verteilt, die sich angesichts des Hungers und Elends dieser Nachkriegszeit eine Besserung ihrer Lebensverhältnisse versprachen. Etwa ein Drittel, vor allem die großen Gutshöfe, wurden Staats- und später "volkseigene" Güter (VEG). Die "Neubauernhöfe" (Sprachgebrauch der SED) hatten eine Größe zwischen fünf und 20 Hektar. Nach geltendem SED-Recht war das Land Eigentum der Neubauern, es durfte vererbt, aber nicht verkauft, verpachtet oder anderweitig "veräußert" werden. Der Hintergrund für diese Einschränkung stellte sich bald heraus. Weil diese Kleinbetriebe weder lebensfähig waren, noch wesentliches zur Versorgungslage der Bevölkerung beitrugen, ging die SED Anfang der 50er Jahre zur Großproduktion über und zwang die Kleinbauern in "Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften" (LPG), wo sie ihr Land "einzubringen" hatten. Auf dem Papier blieben sie Eigentümer ihres Landes. Doch wer aus einer LPG auszutreten wagte, wurde vielfältig als "Reaktionär" schikaniert, erhielt nicht "sein" Land zurück, sondern wurde mit schlechterem abgespeist oder geringfügig entschädigt. Vor allem mit Grundbüchern und deren Ordnung hat es das SED-Regime nie sonderlich ernst genommen.
Mit der Wende von 1989/90 und der dann schnell folgenden Wiedervereinigung hat sich am Eigentumsrecht nicht allzu viel gebessert. Das ist Laien rechtlich kaum zu verdeutlichen, politisch aber einfach zu erklären: Weder die letzte SED-Regierung unter Modrow noch die erste demokratisch gewählte DDR-Regierung unter de Maiziere wollten mit "dem Sozialismus" wirklich Schluß machen. Ihnen schwebte ein "demokratischer" Sozialismus mit breit gestreutem "tatsächlichen Volkseigentum" vor. Auf den Bereich der Land- und Forstwirtschaft sowie das allgemeine Bodenrecht bezogen hieß dies, daß sie kurz vor der Wiedervereinigung all jenen Kleinbesitzern, die Land oder Grundstücke selber bewohnten oder betrieben, entsprechende Grundbucheinträge verschafften und sie somit zu "Voll-Eigentümern" machten. Davon profitierten vor allem gute Genossen, denen das SED-Regime für wackere Treue und Standfestigkeit als "redliche Erwerber" Schnäppchen in allerbesten Lagen zukommen ließ. Wer Eigennutzung nicht nachweisen konnte, in den Westen gegangen war, seinen Boden oder sein Grundstück anderen wie auch immer "übertragen", verpfändet oder veräußert hatte, mußte die entsprechenden Einnahmen an den Staat abführen. Sein Land ging zurück an die staatlichen Bodenfonds, aus denen der Bund und die neuen Länder das Geld für den Neuaufbau schachern wollten. Die so Geschröpften sprachen von der "zweiten und endgültigen Enteignung", nun durch den gesamtdeutschen Rechtsstaat.
Vor allem aber sollte verhindert werden, daß die tatsächlichen Eigentümer, nämlich die 1945 bis 1949 enteigneten "Junker und Kapitalisten", ihr väterliches Erbe zurückbekommen. Das ist der Hintergrund jener Lügenkonstruktion im Zusammenhang mit dem Einigungsvertrag, die unser Rechtssystem aufs schwerste beschädigte.
Mit der Straßburger Entscheidung muß das gesamte bisherige Wiedergutmachungs- und Entschädigungsrecht neu aufgerollt werden. Allein jener Passus des Urteils, der Entschädigungen nicht wie bisher nur nach alten (Vorkriegs)-Grundbuchwerten, sondern nach "angemessenen" gegenwärtigen Verkehrswerten manifestiert, würde den Staat Milliarden kosten. Und das nur bezogen auf die ehemaligen "Neubauern"! Schon klagen die Ministerpräsidenten der neuen Länder, daß sie sich dies keinesfalls leisten können, und bringen eine Erhöhung des Solidarzuschlags ins Gespräch.
Klares und garantiertes Eigentumsrecht ist die Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft. Vielleicht verhilft das Straßburger Urteil dazu, daß wir dem endlich wieder näher kommen.
Freude über Straßburger Urteil: Wigbert Jethon (Neusiedlererbe), Anwalt Thorsten Purps, Klaus-Dieter Ziehnert (Vertreter einer erkrankten Beschwerdeführerin) und Erhard Sell (Betroffener aus Mecklenburg) hoffen auf baldige Entschädigungszahlungen. |
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