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Noch knapp drei Wochen trennen die Tschechei von den vorgezogenen Parlamentswahlen, die durch die Regierungskrise vom Dezember 1997 hervorgerufen wurden. Die politische Landschaft der jungen Republik, die einige Jahre als Musterschüler unter den mittelosteuropäischen Reformländern galt, erlebt unruhige Zeiten. Die Bürgerlich-demokratische Allianz, ein langjähriges Mitglied der Regierungskoalition, räumte klanglos die politische Bühne. Diese kleine Partei, die sich gerne als die wahre und einzige konservative Partei stilisierte, zerbrach an Parteispendenaffären. Auch die Partei des einstigen Ministerpräsidenten Klaus erlebt schwere Zeiten. Im Februar hat sich von ihr die "Union der Freiheit" abgespalten. Diese Gruppierung vereinigt vor allem ehemalige parteiinterne Klaus-Gegner. Angeführt wird sie von Jan Ruml, Havels Freund aus der Dissidentenzeit.
Es ist kein Geheimnis, daß Staatspräsident Havel den selbstbewußten Klaus nie mochte. Die Spaltung der Bürgerlich-demokratischen Partei und die Gründung der "Union der Freiheit" ist auch als ein Schachzug der Präsidialkanzlei anzusehen. Ob diese Rechnung aufgeht, ist sehr fraglich, denn Vaclav Klaus gibt sich nicht geschlagen. Er durchquert die böhmischen und mährischen Lande, spricht auf Marktplätzen und erntet Zuspruch. Seine noch vor wenigen Monaten durch Finanzierungsskandale erschütterte Partei könnte bei der bevorstehenden Wahl 20 Prozent der Stimmen erreichen.
Als klarer Wahlsieger gilt Milos Zeman. Seine Sozialdemokraten könnten bis 30 Prozent bekommen. Vor allem Angestellte im öffentlichen Dienst und Arbeiter aus Großbetrieben werden diese Partei wählen. Gemessen an der SPD sind die tschechischen Sozialdemokraten eher rechtsgerichtet. Aber auch sie treten für mehr soziale Fürsorge des Staates ein. Zuspruch finden sie bei allen, die von der Nachwendeentwicklung zwar enttäuscht sind, aber keine radikale Partei wählen wollen. Konkurrenz, die Stimmen kosten wird, ist ihnen in der Rentnerpartei entstanden. Nach den Umfragen könnte diese skurrile Vereinigung, die von einem ehemaligen Oberstleutnant angeführt wird, leicht die Fünf-Prozent-Hürde überschreiten und dann eine Koalition mit den Sozialdemokraten eingehen. Die Kommunisten (ca. zwölf Prozent) hingegen will niemand als Partner haben, auch für stille Duldung nicht.
Die meiste Aufmerksamkeit erntet das Enfant terrible der tschechischen politischen Szene, Miroslav Sládek. Seine Partei die "Vereinigung für die Republik" könnte acht Prozent erreichen. Als einzige Partei hält sie sich nicht an die Abmachung, keine großflächigen Werbetafeln zu benutzen. So kann man entlang der Straßen auf großen Plakaten lesen: "Die Republikaner sind gegen die Begünstigung der Zigeuner" oder "Die Republikaner sind gegen die Rückkehr der Sudetendeutschen" oder "Die Republikaner sind für die Beseitigung der Kriminalität" und noch andere Losungen. Den Untergrund der Plakate bildet die tschechische Nationalflagge, in der linken Ecke deutet der jung und entschlossen aussehende Dr. Sládek mit dem Zeigefinger nach vorne. Die Republikaner werden oft als eine rechtsradikale Splittergruppe dargestellt. Das ist aber eine grobe Vereinfachung. Ihr Programm und ihre Rhetorik sind eine Mischung von richtig erkannten Problemen und Chauvinismus, der die Minderwertigkeitskomplexe unterer Bevölkerungsschichten anspricht. Das, was sie an chauvinistischen Gedanken lautstark und grob aussprechen, findet man in seidenmatt geschliffener Form bei fast jedem tschechischen Intellektuellen.
Die Juni-Wahlen werden eine politisch instabile Zeit in Prag einleiten. Am wahrscheinlichsten erscheint eine Mitte-links-Regierung, gebildet von den Sozialdemokraten, Rentnern und der katholischen Volkspartei. Diese Regierung würde so lange im Amt bleiben, bis sie interne Spannungen sprengen. Auf Langlebigkeit kann man in der gegenwärtigen Situation nicht setzen.
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