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Unbehagen Von Peter Fischer

 
     
 
Tiefgreifende Umbrüche müssen nicht zwangsläufig mit dröhnenden Paukenschlägen einsetzen, Wandlungen können sich still, ja geradezu schleichend vollziehen. Trutzig und wie für die Ewigkeit errichtete Mauern brachen oft schon unter nur gelindem Ansturm – ihre Unterhöhlung geschah unbesehen unterhalb des Wasserpegels, lange bevor der Deichhauptmann ein erstes warnendes Protokoll erstellte. Ähnlich brisant wirkt nunmehr ein Warnruf von Allensbach-Meinungsforschern, die dieser Tage die Elle an die hier vorherrschende Staatsräson Demokratie und an uns Deutschen anlegten, um festzustellen, ob diese Staatsform auch künftighin geeignet scheint, die politischen und wirtschaftlichen Probleme unserer Nation zu lösen.

Die Zweifel und das Unbehagen des Deutschen Volkes daran scheinen seit 1992 groß geworden zu sein: Im Westen Deutschlands sank die Zahl der Zustimmenden von 75 auf 56 Prozent, in Mitteldeutschland gar von 52 auf nur 30 Prozent. Diese fallende Tendenz wird begleitet von der festen Überzeugung, daß "unsere Gesellschaft unaufhaltsam auf eine ganz große Krise zusteuert". Hiervon gehen 59 Prozent der Mitteldeutschen und 39 Prozent der Westdeutschen aus. Selbst das einstige wirkliche Prunkstück der Nachkriegszeit
, die soziale Marktwirtschaft, rutschte im Wert von 69 Prozent in Mitteldeutschland im Jahr der Währungsunion, 1990, auf nur noch 22 Prozent ab, während es im Westen unseres Landes nur noch 44 Prozent sind.

Eine verwirrende Abfolge von Zahlen, die gleichwohl die deutliche Sprache des Mißtrauens spricht. Dabei muß sich das Unbehagen keineswegs unbedingt gegen die Staatsräson richten, vielmehr gerät die angemaßte Macht der Parteien unweigerlich in den Vordergrund, die laut Grundgesetz eigentlich nur an der politischen Willensbildung beteiligt seien sollen. Vielleicht war es nur ein mitteldeutsches Erbe, möglicherweise aber auch schon ein erstes Symptom für den beginnenden Wandel, weil seit 1993 erstmals wieder politische Witze in Westdeutschland im Umlauf waren: immer ein sicheres Zeichen dafür, daß der ja nie ganz zu überbrückende Graben zwischen Führern und Geführten, Wissenden und Unwissenden sich verbreiterte, wobei freilich im Fortgang der Zeit oftmals offen blieb, ob die Führenden noch als die Wissenden gelten konnten.

Zugleich vergrößerten sich mit dem Abstand von 1990, dem Zeitpunkt, von dem an eine Politik der nationalen Souveränität die unerläßliche Forderung des Tages gewesen wäre, die Zumutungen an das Volk: Ohne außen- oder innenpolitische Not wurde der Osten Deutschlands einem Grenzbestätigungsvertrag überantwortet, die Vertriebenen gleichsam über Nacht zu vaterlandslosen Hyksos, die aus einem ominösen Sowjetsk in Rußland oder einem Kolobrzeg in Polen stammen sollten, während Erfurt und Weimar, Leipzig und Halle unvermutet zu ostdeutschen Städten mutierten. Nur wer gänzlich ohne historischen Sinn "lebt", kann darauf hoffen, daß dies selbst bei denjenigen, denen die historische Wirklichkeit ausgetrieben wurde, ohne irritierende Wirkung bleibt.

Ähnlich verhält es sich mit der Preisgabe der eigenen Währung, von der 70 Prozent der Deutschen nicht zu überzeugen waren, der Politik gegenüber Wirtschaftsflüchtlingen, der Aushöhlung der sozialen Marktwirtschaft und einer Vielzahl ebenfalls gewichtiger Probleme, die gleichwohl gegen den Willen breiter Teile unseres Volkes entschieden werden. Es fällt auch auf, daß die in früheren Zeiten üblichen, relativ offenen Befragungen von Politikern im Beisein von willkürlich geladenen Bürgern im Fernsehen längst entfallen sind. Eine zur Fernsehdiskussion geladene Klientel, die durch den Proporz-Filter der Parteien geseiht wurden, hinterläßt ein flaues Gefühl.

Ebenso wenn wissentlich verlogene Selbstbezichtigungskampagnen gegen die eigene Geschichte und damit gegen das eigene Volk, vorgebracht von fragwürdigen Lohnschreibern oder Hiwis ominöser Fremdmächte, als geistige Orientierungshilfe angeboten werden, während doch eine offen geführte nationale Bestandsaufnahme und die Proklamation von nachvollziehbaren Nah- und Fernzielen zu Kernpunkten unserer Politik formuliert werden müßten. Es geht daher nicht eigentlich gegen die Demokratie, sondern gegen den von den Parteien bisher offenkundig so grob verachteten nationalen Konsens, von dem aus überhaupt der Begriff unserer Staatsräson, der Volksherrschaft, erst möglich wird und Sinn stiftet.

Ein Volk aber, das nach einem Wort des russischen Schriftstellers Gennadij Bondarew durch seine Größe das "geistige Antlitz Mitteleuropas zutiefst beeindruckt" hat, sich am Ende eines langen Prozesses durch seine Verantwortlichen derart "richtiggestellt" sieht, als gleiche seine Geschichte "einer großen Verbrecherkartei", muß daher geradezu zwangsläufig seine Gefolgschaft aufkündigen.

 

 
     
     
 
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